Oliver Heilwagen
Per Reisebus zum Schlachtfeld
Deutsches Historisches Museum Berlin: Der Erste
Weltkrieg
"Besuch der Schlachtfelder von
Elsass-Lothringen. Zweitägige Rundfahrt für 250 Francs,
fünf Tage für 700 Francs inklusive Verpflegung und
Unterbringung in den besten Hotels": Mit diesen Worten warb ein
französischer Veranstalter in den 1920er-Jahren für
Pauschalreisen an Schauplätze des Ersten Weltkriegs.
Heute wirkt dies makaber, doch damals fand
niemand solchen Kriegstourismus anstößig: Den
Zeitgenossen war bewusst, dass sie die "Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts" durchlitten hatten, wie der amerikanische Diplomat
und Historiker George F. Kennan diesen Krieg genannt
hat.
Die alte bürgerliche
Gesellschaftsordnung im Europa des 19. Jahrhunderts war
zusammengebrochen, vier Reiche hatten sich aufgelöst. An ihre
Stelle trat ein Sammelsurium neuer Staatsgebilde, das die einen mit
Hoffnungen, die anderen mit Bangen betrachteten. "Was vor 1914 lag
und was danach folgte, sah einander gar nicht ähnlich, spielte
nur nominell auf derselben Erdoberfläche", brachte der
Schriftsteller Max Brod die Erfahrung des Epochenbruchs auf den
Begriff. Der Wahrnehmung des Kriegs ist nun eine große
Ausstellung im Berliner Deutschen Historischen Museum zum 90.
Jahrestag seines Beginns gewidmet.
"Der Weltkrieg 1914 - 1918. Ereignis und
Erinnerung" setzt die Ereignisse weitgehend als bekannt voraus und
beschäftigt sich um so ausführlicher mit der kollektiven
Erinnerung. Dieses Konzept macht sowohl die Stärke als auch
die Schwäche der Schau aus. Wer Einzelheiten über den
Kriegsverlauf erwartet, wird enttäuscht. Er muss sich mit
einer CD-ROM begnügen. Sie lässt sich zwar an Terminals
in den Schauräumen einsehen, doch das Klicken zwischen den
einzelnen Fenstern ist mühselig. Zur Einführung liest man
besser ein kurze geschichtliche Darstellung oder die einleitenden
Kapitel des vorzüglichen Katalogs.
Dagegen glänzt die Ausstellung mit einer
gelungenen Auswahl von Schaustücken. In liebevoller
Kleinarbeit haben die Macher rund 600 Exponate von mehr als 100
Leihgebern zusammengetragen, welche die Atmosphäre des
Zeitalters heraufbeschwören. Die Hochrüstung des
Deutschen Reiches veranschaulicht etwa eine massive
"Schweißeisenplatte" von 1908 samt darin steckendem Geschoss.
Damit testete die Firma Krupp die Güte ihrer Panzerplatten.
Für das "Augusterlebnis" der weit verbreiteten Begeisterung
über den Kriegsausbruch steht exemplarisch ein so genanntes
"Assentierungssträußchen" mit Papp-Porträts der
Kaiser Franz Joseph und Wilhelm II., das österreichische
Rekruten bei ihrer Musterung erhielten.
Während der ersten Kriegsmonate setzte
die Produktion von militärischem Kitsch ein, der den
Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken sollte. Bizarr
anmutende Beispiele dafür sind etwa mit martialischen Motiven
bedruckte Zuckertüten für Kinder zum Schulanfang oder
Weihnachtsbaumschmuck in Form von Kriegsschiffen und -flugzeugen,
die in der Ausstellung zu sehen sind. Auch die
Gräuelpropaganda, mit der alle Kriegsparteien ihre jeweiligen
Feinde herabwürdigten, wird ausführlich vorgestellt: Aus
Frankreich stammt ein ausgestopfter Schweinskopf, dem eine
Pickelhaube aufgesetzt wurde, um das französische Schimpfwort
für Deutsche, "boches", zu versinnbildlichen. Im Kaiserreich
fertigte man Marionetten für ein "lustiges Kriegspuppenspiel"
an, die englische und russische Befehlshaber als verfetteten "John
Bull" und "Fürst Wodkasoff" verunglimpften.
Über Sieg oder Niederlage entschieden
indes nicht diese geschmacklosen Spielzeuge, sondern Fortschritte
in der Waffentechnik. Der Stellungskrieg in den
Schützengräben forderte hohe Opfer unter den Soldaten,
die von neuartigen Maschinengewehren niedergemäht wurden. Die
Wendung zugunsten der Alliierten brachte die Erfindung des Panzers,
der ab Anfang 1918 von ihnen massenhaft eingesetzt wurde. Warum es
den Achsenmächten nicht gelang, diese fahrbaren Geschütze
ebenfalls herzustellen, bleibt allerdings unklar.
Angesichts des nicht enden wollenden,
sinnlosen Schlachtens an den Fronten und der Unterversorgung der
Zivilbevölkerung schlug im Laufe des Kriegs die Stimmung auf
allen Seiten in verzweifelten Zynismus um. Ein Zeugnis des
herrschenden Galgenhumors stellt eine deutsche Postkarte von 1917
in Gestalt einer Traueranzeige dar: Familie Hunger gibt bekannt,
dass der "Kollege Brotlaib im hohen Alter von über 8 Tagen
nach langem Sparen endlich aufgegessen worden ist". Als die
Kämpfe schließlich aufhörten, war die Erleichterung
groß: Spontane Freudenkundgebungen in London und Paris hielten
Künstler im Bild fest.
Um der Trauer über die horrenden
Verluste in zuvor nie gekannter Höhe gerecht zu werden, suchte
man nach neuen Ausdrucksformen. Bereits 1916 wurden im Deutschen
Reich Kriegsausstellungen ausgerichtet, die Zivilisten im
Hinterland einen Eindruck vom Fronterlebnis vermitteln sollten.
Nach dem Krieg errichtete man in Frankreich und Großbritannien
viele Gräber des Unbekannten Soldaten. In
angelsächsischen Ländern wurde der Klatschmohn zum Symbol
des Gedenkens. Er war die einzige Blume, die auf den von Granaten
zerwühlten Schlachtfeldern noch wuchs.
Die Weimarer Republik baute hingegen in
Ostpreußen ein riesiges Denkmal für die siegreiche
Schlacht von Tannenberg. Mit diesem Monument täuschten sich
die besiegten Deutschen über die Tatsache ihrer Niederlage
hinweg. Dass der Friedensschluss von Versailles 1919 von ihnen als
Diktat empfunden wurde und die Mehrheit der Bevölkerung ihn
notfalls mit Gewalt korrigieren wollte, reißt die Ausstellung
nur an. Die aufgeregten Debatten um die Kriegsschuldfrage und die
so genannte "Dolchstoßlegende" kommen jedoch kaum vor. So
bleibt es beim Rückblick auf das erste Massensterben der
Moderne. Dass es das Vorspiel für ein noch grauenhafteres
Gemetzel war, kann der Besucher nur erahnen.
Bis 15. August täglich von 10 - 18 Uhr
im Deutschen
Historischen Museum Berlin. Katalog 25
Euro.
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