Karl-Heinz Baum
Was stärkt die deutsche Position?
Interessenvertretung von Bund und Ländern
in der EU
Europa war das Thema der sechsten Sitzung der
Bundesstaatskommission aus Bundestag und Bundesrat. Bundes- und
Ländervertreter debattierten über die deutsche
Handlungsfähigkeit in der EU im Blick auf Artikel 23
Grundgesetz und dessen mögliche Änderungen. Die
Länder waren gegen eine Änderung des Artikels.
Zunächst aber brachte Covorsitzender und Bayerns
Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), zugleich Vorsitzender
der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder, das
gemeinsame Positionspapier einer Sondersitzung dieser Konferenz zur
Föderalismusreform ein (vgl. Das Parlament Nr. 21/22, Seite
15)
Die bei unterschiedlichen Interessen gefundene gemeinsame
Position könne eine Reform erleichtern, die die Interessen von
Bund und Ländern berücksichtige und zugleich den
Föderalismus fördere. Bund und Länder müssten
am Ende Gewinner sein. Wolle der Bund die Fesseln des Bundesrats in
der Gesetzgebung abstreifen und die Handlungsfähigkeit
gegenüber der EU erweitern, müsse er den Ländern
mehr Spielraum geben. Lebendig sei Föderalismus nur, wenn
Länder eigenverantwortlich handelten und es einen Wettbewerb
um beste Lösungen und Ideen gebe, sagte Stoiber.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelica Schwall-Düren sieht
Bund und Länder einig, wenn Deutschlands
Handlungsfähigkeit in der EU zu stärken sei und
Regelungen an die anstehende Europa-Verfassung anzupassen seien.
Strittig sei der Weg. Sachverständige hätten die zu
komplexen Regeln des Artikel 23 kritisiert. Sie behinderten
deutsche Interessen in der EU. Zudem schwächten imperative
Mandate deutsche Unterhändler, weil sie sie paralysieren
könnten. Der Bundestag komme trotz seiner Stellung in der
Verfassung zu kurz.
Die Reform müsse die Handlungsfähigkeit in Europa
stärken, imperative Mandate verwerfen und dürfe
Länderrechte nicht ausweiten. Mehrheitsentscheidungen im
EU-Rat und EU-Parlament verlangten Koalitionen und
Paketlösungen, zu denen die Länder nicht fähig
seien. Deutschland müsse in Europa mit einer Stimme
sprechen.
Für Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD)
funktioniert die Vertretung in Brüssel "noch recht gut"; vor
allem weil die Länder ihre Rechte aus Artikel 23 nicht
vollständig ausschöpften. Forderte der Bundesrat mit
Zweidrittel-Mehrheit die Regierung auf, auf bestimmten Position zu
beharren, bekäme das der deutschen Position sehr schlecht. Man
müsste die Partner hinhalten, später werde man nicht mehr
ernst genommen. Deshalb sei Artikel 23 der Verfassungswirklichkeit,
also der zurückhaltenden Beteiligung der Länder,
anzupassen, schon weil es in der 25-Staaten-EU häufig
Mehrheitsentscheidungen geben werde. Deshalb könne es kein
Alleinvertretungsrecht und Alleinentscheidungsrecht der Länder
da geben, wo sie innerstaatlich zuständig seien. Gefragt seien
vielmehr Lösungen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern verbesserten.
Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast
(Bündnisgrüne) wollte am Beispiel der Agrarpolitik
zeigen, dass nur e i n deutscher Vertreter deutsche Interessen in
Europa vertreten sollte. Zur Strategie gehöre, das Bündel
an Interessen von der Agrarpolitik über Klimaschutz,
Umweltfragen bis zum Tierschutz im Blick zu haben. Sehr früh
müsse man deutsche Interessen der Kommission, anderen Staaten
und dem Parlament signalisieren, um am Entscheidungsprozess
teilzunehmen. Manche Verhandlung laufe über Wochen, bis der
Vorsitzende feststelle, nun gebe es eine qualifizierte Mehrheit.
Ein Bundesratsbeschluss wäre schon nach der ersten Runde
überholt, weil sich die Diskussion in eine andere Richtung
bewegte.
Der Chef der Staatskanzlei in Stuttgart, Rudolf Böhmler
(CDU), bedauerte, dass der Bund Länderrechte zu Europa
einschränken wolle. Europas künftige Verfassung werde
Regionen stärken und damit die Länder. Klare Trennung der
Zuständigkeiten sorge für Effektivität.
Europapolitik werde immer mehr zur Innenpolitik. Deshalb sei ein
Bundesratsvotum von "uneingeschränkter Verbindlichkeit"
nötig auf den Feldern, für die vor allem die Länder
zuständig seien: Bildung, Wissenschaft, Kultur und innere
Sicherheit.
Für den Mainzer Justizminister Herbert Mertin (FDP) ist die
"Festung der Länder" zu Artikel 23 nicht sturmreif zu
schießen. Rheinland-Pfalz sehe die Mitwirkung der Länder
in EU-Fragen als bewährt an. Die Länder gingen damit
verantwortungsbewusst um. Deshalb brauche man da nichts zu
ändern. Sollte Europas Verfassung die Mitwirkung der
Länder verhindern, müssten sie prüfen, ob sie ihr
überhaupt zustimmen könnten.
Ernst Burgbacher, Bundestagsabgeordneter der FDP, widersprach
dem Parteifreund. Viele in der FDP-Fraktion im Bund fänden
Artikel 23 sehr unglücklich. Sie zweifelten, ob so deutsche
Interessen in Brüssel angemessen zu vertreten seien. Andere
Staaten könnten bei Verhandlungen der Länder in
Brüssel die deutsche Haltung nur schwer erkennen. Bund und
Länder hätten hier keine gemeinsame Basis. Bundestag und
Länder sollten prüfen, ob ein gemeinsamer
Bund-Länder-Ausschuss die Probleme lösen könnte. Der
unförmige Artikel 23 passe nicht ins
Grundgesetzgefüge.
Nordrhein-Westfalens Justizminister Wolfgang Gerhards (SPD) war
erstaunt, dass die Regierung Europapolitik immer noch als
Außenpolitik ansehe. Die deutschen Probleme in der
Europapolitik erforderten keine Änderung des Artikels 23:
Vielmehr sei die Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu
verbessern.
Nach Norbert Röttgen, Bundestagsabgeordneter der Union, ist
die Regierung, die im EU-Ministerrat an der EU-Gesetzgebung
mitwirkt, demokratisch zu kontrollieren. Die Spannung zwischen
Effizienz und Demokratie könne Artikel 23 nicht auflösen.
Mit ihm sei die Regierung nicht für geheime Verhandlungen an
die Kette zu legen. Doch beschere er ein Demokratieproblem: Der
Bundestag übe kaum Einfluss auf Europas Gesetzgebung aus. Die
angeblich starke Stellung der Länder sei tatsächlich
schwach. Seit 1998 habe der Bundesrat zu jeder 25. der 900 Vorlagen
seine Position "maßgeblich berücksichtigt" sehen wollen.
Die Regierung habe in über der Hälfte der Fälle
widersprochen. Um der Effizienz willen müsse die Regierung
deutsche Interessen in Brüssel wirkungsvoll durchsetzen
können - aber sie müsse für ihr Tun dort national
die Verantwortung übernehmen.
Sachverständiger Rupert Scholz (München) forderte
nachdrücklich, Artikel 23 zu ändern, schon weil der
Bundestag in Europa eine zu schwache Rolle spiele. Der Bundesstaat
Österreich überlasse der Länderkammer bei
Länderinteressen ein verbindliches Votum. Sei der Bund
zuständig, sei das Votum des Nationalrats für die
Regierung verbindlich. Davon dürfe die Regierung nur bei
"zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen"
abweichen - "eine intelligente Formel". Sachverständiger
Hans-Peter Schneider (Hannover) will Bund und Länder vor allem
während der Entscheidungsphase in Brüssel
zusammenarbeiten sehen.
Der CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Friedrich setzte
sich für mehr Parlamentsvorbehalte gegenüber der
Regierung ein, etwa bei der Neuaufnahme neuer Mitgliedsstaaten.
Zwingend sei der Vorbehalt, wenn eine Verhandlungsrunde in
Brüssel eine Grundgesetzänderung verlange. Dafür
müsste ein mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossenes
verbindliches Mandat nötig sein. Sachverständiger Edzard
Schmidt-Jortzig (Kiel) warnte vor einem Europaministerium. Europa
sei inzwischen in allen Ressorts zu Hause. Die Koordinationsstelle
für Europa müsse im Kanzleramt sein.
Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) erinnerte daran, diese
Kommission wolle die Verfassung ändern und Verflechtungen
auflösen. Doch man sei gerade dabei, das Gegenteil zu tun;
immer neue Verflechtungsgremien sollten offenbar entstehen. Die
angemahnte demokratische Legitimation für Europa könne
nicht der Bundestag, sondern nur das Europäische Parlament
leisten. Die Interessen der Nationalstaaten nehme der EU-Rat wahr.
Spiegelbildlich sei das in der deutschen Verfassung ähnlich.
Im übrigen verschwänden unterschiedliche Interessen in
Verhandlungen nicht. Das lasse sich nicht mit besserer
Koordinierung lösen sondern nur damit, dass schließlich
mit Mehrheit entschieden werde.
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