Hans-Martin Schönherr-Mann
Brücken zwischen Geist und Macht
Jürgen Habermas wird 75
Wenn man nach dem bedeutendsten deutschen
Gegenwartsphilosophen fragt, dann wird man als Antwort sehr
häufig den Namen Jürgen Habermas hören. Am 18. Juni
feiert der in Düsseldorf geborene Gelehrte seinen 75.
Geburtstag. In der Reihe "rowohlts monographien" hat der
Wissenschaftsjournalist Rolf Wiggershaus den Lebensweg dieses
ebenso tiefsinnigen Wissenschaftlers wie streitbaren Publizisten
nachgezeichnet und dabei den Akzent vor allem auf den
wissenschaftlichen Werdegang gelegt.
Dass Habermas eine derart weit verbreitete
nationale, aber auch internationale Anerkennung genießt, liegt
nicht allein an seinem immensen Werk, das vornehmlich
sozialphilosophische, politische und ethische Motive vereinigt und
die aktuellsten philosophischen Themen reflektiert. Es liegt auch
nicht nur daran, weil er praktisch an allen wichtigen
intellektuellen Debatten der letzten Jahrzehnte an exponierter
Stelle teilgenommen hat. Die Stichworte heißen
Positivismusstreit und 68er Studentenbewegung, Historikerstreit und
Postmoderne-Debatte oder Embryonenforschung und
Menschenrechte.
Zum bedeutendsten deutschen Philosophen am
Ende des 20. Jahrhunderts avancierte Habermas auch deshalb, weil
sein Leben wie sein Wirken eng mit den Wandlungen der zweiten
deutschen Republik verflochten sind - ein Zusammenhang, den die
Biographie von Rolf Wiggershaus mit manchen überraschenden
Erinnerungen vergegenwärtigt.
Als junger Assistent bei Theodor Adorno am
Frankfurter Institut für Sozialforschung fiel Habermas 1958
dem Institutsleiter Max Horkheimer als zu linksradikal auf.
Habermas musste daraufhin beim Marxisten Wolfgang Abendroth in
Marburg habilitieren. Doch im Gegensatz zu den beiden
Gründervätern der Frankfurter Schule eines kritischen
Neomarxismus, die angesichts von Faschismus und Stalinismus alle
Hoffnung auf sozialen Fortschritt aufgegeben hatten, knüpfte
Habermas an die Anfänge der kritischen Theorie in den
20er-Jahren an. Damals ging es noch darum, wie eine kritische
Sozialwissenschaft eine gesellschaftsverändernde Praxis
stützen könnte. Dementsprechend war Habermas dann bereits
den 68er-Studenten bald nicht mehr links genug.
Aber diese Bemühung spiegelt vor allem
sein bisheriges Hauptwerk, die zweibändige "Theorie des
kommunikativen Handelns" aus dem Jahr 1981. Gerade gegenüber
einer sich tendenziell entsolidarisierenden Umwelt insistiert
Habermas auf der Notwendigkeit universeller ethischer Prinzipien,
die er in einer verständigungsorientierten und nicht bloß
technischen Vernunft beheimatet sieht.
Die Strukturen der Sprache zielen auf
Verständigung zwischen den Menschen und bergen daher ein
ethisches Ideal von herrschaftsfreier Kommunikation - Strukturen,
die aber in der heutigen sozialen Realität zunehmend von
ökonomischen, politischen oder technischen Systemen
unterwandert werden. Indem diese eine freie Kommunikation
verhindern, verfestigen sie die undemokratischen Verhältnisse.
In diesem Zusammenhang fällt das berühmt gewordene Wort
von der Kolonialisierung der Lebenswelt.
Diesen verständigungsorientierten
Strukturen der Sprache gilt es philosophische zu entnehmen, um
dadurch der Lebenswelt, also der Alltagswelt der Menschen, zu Hilfe
eilen zu können. Derart, so hofft Habermas, lasse sich das
vielfältig geschmähte Projekt der Moderne doch noch
vollenden. Solche theoretischen Zusammenhänge für den
Laien verständlich zu erklären, fällt Wiggershaus
indes auf seinem knappen Raum eher schwer.
Habermas jedenfalls verteidigt in diesem
Sinne bis heute eine seit der Ära von Brandt und Scheel
demokratischer werdende Bundesrepublik vornehmlich in der Linie
eines rationalen Verfassungskonsenses vor allem gegen
nationalstaatliche Reminiszenzen, die gerade nach der Vereinigung
der beiden deutschen Staaten im konservativen Spektrum von Ernst
Nolte und Michael Stürmer keimten. Insofern spiegelt Wirken
und Werk den Wandel der zweiten deutschen Demokratie aus den
autoritären Strukturen einer untergegangenen
Kriegergesellschaft zu den libertären Lebensformen einer
zweiten Moderne.
Gleichzeitig trug Habermas damit zur
Versöhnung der westdeutschen Linken mit dem Staat bei - eine
Entwicklung, die sich heute weniger in Gerhard Schröder, einem
ehemaligen Juso-Vorsitzenden, als eher in Joschka Fischer, einem
früheren Frankfurter Sponti, personifiziert hat.
Rolf Wiggershaus
Jürgen Habermas.
Rowohlt Monographie, Reinbek 2004; 157 S.,
8,50 Euro
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