Friedhelm Wolski-Prenger
Globalisierung und Utopie
Jahrbuch Ernst-Bloch-Gesellschaft
Die Arbeitswelt wandelt sich mit atemberaubender
Geschwindigkeit. "Digitalisierung" und "Rationalisierung" sind
häufige Stichworte zur Beschreibung des Strukturumbruchs. Die
Massenarbeitslosigkeit "stagniert auf hohem Niveau". Vielfach ist
zur Begründung von "Globalisierung" die Rede, die sowohl der
Aufforderung zur Lohnzurückhaltung ausführender
lohnabhängiger Schichten als zugleich auch zur Begründung
exorbitant steigender Managergehälter herhalten muss. Mit dem
Ende des "Realsozialismus" wird der endgültige Sieg des
Kapitalismus und damit das Ende der Geschichte propagiert.
Lebte er noch, so gehörte zu den unzeitgemäßen
Skeptikern solcher Gewissheit sicher der 1977 verstorbene
Sozialphilosoph Ernst Blochzu. Die in seiner Heimatstadt
Ludwigshafen angesiedelte Ernst-Bloch-Gesellschaft will
Analysemethode und Denken Blochs sichern, bekanntmachen und, worauf
es in diesem Zusammenhang besonders ankommt, fortführen.
Arbeit und Emanzipation
Dazu bedient sie sich unter anderem des Diskussionsforums einer
"Virtuellen Bloch-Akademie" (www. bloch-akademie.de). Initiiert
werden soll damit ein Dialog zwischen Wissenschaft, Gewerkschaften,
Wirtschaft, Politik und Kultur über den sozioökonomischen
Wandel. Akademieteilnehmer, die sich zum Thema "Philosophie und
Arbeitswelt" austauschten, trafen sich vor zwei Jahren zu einer
realen Tagung. Deren lesenswerte Ergebnisse finden sich nun im
Bloch- Jahrbuch 2003.
Der zeitgeistigen Resignation gegenüber der globalen
Marktökonomie setzen sie den Anspruch menschlicher
Emanzipation von illegitimer Fremdbestimmung entgegen. Einleitend
rekapituliert Jan Robert Bloch (Potsdam) den Begriff "Arbeit" in
der Philosophie seines Vaters: "Der Klangfarbe nach folgt Bloch
letztlich der taoistischen Einheit von Leben und Welt, in der (...)
Arbeit und Natur in der Menschen- und Naturheimat aufs engste
verbunden sind und die er klassenlos vorscheinen sah."
Die darauf bezogenen Beiträge nähern sich der Frage
nach dem Sinn von Arbeit als wesentlichem Faktor der
Selbstbestimmung und ihrer gesellschaftlichen Bindung. Den
Blochschen Begriff der "Ungleichzeitigkeit" aufgreifend
verdeutlicht Werner Wild (ver.di, Stuttgart) die Schwierigkeiten
der Gewerkschaften, sowohl Beschäftigteninteressen in
fortbestehenden traditionellen Arbeitsbedingungen als auch in der
"brave new world" zu vertreten.
Mit neuen Entfremdungserscheinungen in der digitalisierten,
tendenziell entmaterialisierten Ökonomie setzt sich Wolf
Schröter (Stuttgart) auseinander. Deren bereits reale
virtuelle Realität beschreibt Dirk Balfanz vom
Darmstädter Zentrum für Graphische Datenverarbeitung als
potentiell wirklichkeitsverändernd. Die herkömmlichen und
neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten verschmelzen zur
"E-Reality".
Ob und wie angesichts solcher Entwicklungen Ansprüche auf
menschlichen und gesellschaftlichen Fortschritt, auf Emanzipation
erhoben werden können, erörtern weitere Beiträge.
Francesca Vidal (Landau) fordert neben der Entwicklung einer
"Medienethik" die Verbreitung kommunikativer Kompetenzen zur
Bewältigung der medialen Umwelt. Gerechtigkeitsphilosophisch
argumentierend verlangt Klaus Kornwachs (Cottbus) die Teilung des
abnehmenden Arbeitsvolumens, um allen Menschen unserer Gesellschaft
auch zukünftig eine arbeitsvermittelte Identitätsbildung
zu ermöglichen.
Voraussetzung demokratischer Teilhabe
Dass ein solcher Anspruch nicht auf die entwickelten, "reichen"
Länder beschränkt werden dürfe, meint Hauke
Brunkhorst (Flensburg) in "Demokratie in der Weltgesellschaft". Er
sieht vor allem in den globalen rechtlichen Institutionen den Kern
einer stärker werdenden Weltöffentlichkeit, die er als
Voraussetzung demokratischer Teilhabe betrachtet.
Der Verdacht der Heiligenverehrung bestätigt sich bei der
Lektüre des Bandes nicht, ebensowenig der eines hermetischen
Philosophenjargons. Wer an fundierter Reflexion gegenwärtiger
sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung interessiert ist, wird
mit dem Jahrbuch seriös bedient.
Francesca Vidal (Hrsg.)
Bloch-Jahrbuch 2003.
Philosophie und Arbeitswelt.
Talheimer Verlag, Mössingen-Talheim 2003;
240 S., 20,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|