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Ulrich O. Weidner
"Rot-grüne Koalition vor 2006
ablösen"
55. Ordentlicher Parteitag der FDP vom 5. bis 6.
Juni in Dresden
Die Liberalen möchten die derzeitige
Koalition in Berlin baldmöglich ablösen: "Wir sind
für vorgezogene Neuwahlen jederzeit bereit und dafür
hervorragend aufgestellt", sagte FDP-Chef Westerwelle vor dem
Parteitag in Dresden in einem Gespräch mit einer
Nachrichtenagentur. Allerdings lehnte der Vorsitzende der Liberalen
eine Koalitionsaussage zugunsten der Union ab, es gebe keinen
Blankoscheck, weil es in vielen Sachfragen - etwa in der Steuer-
und Gesundheitspolitik - sehr große Unterschiede gebe. Die FDP
werde sich vielmehr als unabhängige Kraft und mit klaren
Konzepten präsentieren.
Im Vorfeld des Parteitages hatte es zum Teil
herbe Kritik vor allem an dem Vorsitzenden und der
Generalsekretärin Cornelia Pieper gegeben. Aus dem Norden und
dem Süden der Republik bemängelten Kritiker, die FDP
zeige als Partei der Bürgerrechte zu wenig Profil. Und selbst
die Spitzenkandidatin zur anstehenden Europawahl, Silvana
Koch-Mehrin, kritisierte, man setze sich zu wenig für
Konkurrenz in der Wirtschaft ein.
Mit einiger Spannung warteten viele der
über 660 Delegierten in Dresden, wie die Partei mit dem
Andenken an den früheren Stellvertreter Westerwelles,
Jürgen Möllemann, umgeht. Die Eröffnung des
Parteitages fiel genau auf den ersten Todestag des
langjährigen FDP-Vorsitzenden von Nordrhein-Westfalen,
Bundesministers und Vizekanzlers. Der Rheinland-Pfälzer Rainer
Brüderle, stellvertretender Parteivorsitzender, würdigte
in der traditionellen Totenehrung ausführlich das Wirken
Möllemanns: "Bei allen Auseinandersetzungen der Vergangenheit
hat sich Jürgen Möllemann unbestritten bleibende
Verdienste für die Liberalen und für die Bundesrepublik
Deutschland erworben", sagte Brüderle. Er sei mehr als drei
Jahrzehnte Mitglied der FDP gewesen, habe Spitzenposten in der
Partei bekleidet und dem Bundeskabinett angehört. Im Zuge der
Auseinandersetzung um seine Wahlkampfführung 2002/2003 sei
dann ein "schmerzhafter Trennungsprozess" erfolgt. Noch heute sind
allerdings die genauen Umstände, die zum Tode des Politikers
bei einem Fallschirmabsprung führten, nicht
geklärt.
In seiner programmatischen Rede "Für die
freie und faire Gesellschaft" ging Westerwelle sowohl auf innen-
wie außenpolitische Themen ein. Vehement kritisierte der
Parteichef die Folterungen der Amerikaner im Irak und die
Vorgänge im Gefangenenlager Guantanamo. Die Bundesregierung
forderte er auf, gegenüber China entschiedener in der
Tibet-Frage aufzutreten. "Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in
innere Angelegenheiten der Menschenrechte." Der Erfolg des Kampfes
gegen den Terrorismus müsse mehr Menschlichkeit sein. "Wer
foltert, kann im Kampf gegen den Terrorismus nicht seine
Rechtfertigung suchen. Wer foltert oder wer Folter veranlasst oder
billigt oder duldet, ist kriminell." Allerdings gelte dies nicht
exemplarisch für die USA.
Im innenpolitischen Teil seiner Rede betonte
Westerwelle den Kurs der Unabhängigkeit gegenüber der
Union. Die FDP wolle mit aller Kraft daran arbeiten, die
rot-grüne Koalition durch Neuwahlen vor 2006 abzulösen:
"Wir wollen regieren, weil Deutschland einen Neuanfang braucht." Zu
seinen Kritikern gewandt, meinte Westerwelle: "Die FDP ist und
bleibt die einzige liberale Rechtsstaatpartei Deutschlands."
Gegenüber den rechtspolitischen Vorstellungen der CDU/CSU
grenzte er sich scharf ab: Eine Sicherungshaft sei mit der FDP
nicht zu machen. Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie
sie in der Union erwogen werde, lehne man ab. "Wir brauchen keine
neuen Steuererhöhungen. Wir brauchen
Ausgabendisziplin."
Zum Thema Europa wiederholte Westerwelle die
bekannten FDP-Positionen: Über die EU-Verfassung sollte eine
Volksabstimmung erfolgen, die Kriterien des
Euro-Stabilitätspaktes sollten im deutschen Grundgesetz und in
der EU-Verfassung festgeschrieben werden. Zugleich sind die
Liberalen gegen eine europaweite Mindeststeuer, wie sie von
Bundeskanzler Schröder und dem CSU-Vorsitzenden Stoiber
befürwortet wird. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
erreiche man nicht, indem man andere Länder zu
Steuererhöhungen veranlasse, meinte Westerwelle.
Radikal sind die Vorstellungen der Liberalen
zum Umbau des Sozialstaates. Der Vorsitzende propagierte die
Abschaffung der gesetzlichen Krankenkassen und eine völlige
Wahlfreiheit bei der gesundheitlichen Vorsorge. Das bisherige
umlagefinanzierte System soll durch frei wählbare und
kalkulierte Tarife abgelöst werden. Damit würden
Gesundheitskosten und Lohnzusatzkosten entkoppelt. Die
Versicherungen sollen verpflichtet werden, eine Grundversorgung mit
ausreichender Absicherung bei Krankeit anzubieten. Der
Arbeitgeberzuschuss soll dann - wie bei Privatversicherten - mit
dem Lohn oder Gehalt ausbezahlt werden.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas
Pinkwart erläuterte dies: Man setze mit diesem
Versicherungsmodell auf Eigenverantwortung, Wahlfreiheit und
Wettbewerb anstatt auf eine Zwangsversicherung. Nur dadurch
könne man das Gesundheitssystem auf eine dauerhaft solide
Grundlage stellen. Denn weder die rot-grüne
Bürgerversicherung noch das Kopfpauschalen-Modell der Union
würden den demographischen Herausforderungen einer alternden
Gesellschaft standhalten.
Auch zum Aufbau Ost will die FDP
weitergehende Vorschläge machen. Ostdeutschland könne zum
Vorbild für einen Umbau Gesamtdeutschlands werden; die neuen
Bundesländer könnten wegen der hohen Flexibilität
ihrer Bürger die Speerspitze des notwendigen Wandels werden.
So fordert die FDP im Osten Sonderwirtschaftszonen, in denen
Regelungen im Bau-, Tarif- und Arbeitsrecht befristet ausgesetzt
werden. Zu weiteren Reformprojekten gehört für die
Liberalen auch das Thema Studiengebühren - darüber und
über den Aufbau Ost wird jetzt parteiintern in den Gremien
gesprochen.
Traditionell zur Außenpolitik sprach der
Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Wolfgang Gerhardt. Zur
transatlantischen Zusammenarbeit gebe es keine wirkliche
Alternative, allerdings müsse auf beiden Seiten ein Umdenken
einsetzen. Ein amerikanischer Präsident könne nicht
allein über Krieg und Frieden entscheiden, dies sei Aufgabe
der Vereinten Nationen. Gerhardt unterstützt die
Bemühungen von Bundeskanzler Schröder um einen
ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Ansonsten
ist Gerhardt mit der deutschen Außenpolitik unzufrieden. Der
Nahost-Friedensprozess komme nicht voran, von einer
Afrika-Strategie könne keine Rede sein, Lateinamerika werde
"stiefmütterlich behandelt" und die Asien-Politik werde der
Bedeutung der Region nicht gerecht, sagte der Fraktionsvorsitzende.
Deutschalnd habe sich außenpolitisch zwischen alle Stühle
manövriert, eine außenpolitische Strategie sei
nötig. Schließlich wünschte sich Gerhardt ein
verstärktes deutsches Engagement im Irak, denn keine Seite
könne ein Interesse daran haben, dass der Wiederaufbau
scheitere, egal, wie man zum Krieg gestanden habe. Eine Entsendung
deutscher Soldaten in den Irak lehnt die FDP aber strikt ab. Der
Parteitag verabschiedete dann liberale Leitsätze zur
Außenpolitik; darin wird auf eine stärkere, aber auch
kritische transatlantische Kooperation gesetzt.
Eine geplante Debatte zur Innen- und
Rechtspolitik fand aus Zeitgründen nicht statt, die Vorlagen
wurden an den Bundesvorstand oder den nächsten Parteitag
überwiesen. Gerade so strittige Themen wie Sterbehilfe,
Haschischkonsum, großer Lauschangriff oder Einsatz verdeckter
Ermittler stehen ebenso wie der Gesamtbereich Bildung noch auf der
liberalen Agenda.
Für mehr Bürgernähe in Europa
setzte sich die Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Silvana
Koch-Mehrin, ein: "Wir fordern, dass die Menschen in Deutschland
auch über die europäische Verfassung entscheiden
dürfen." Denn die besten Politiker in Europa seien die
Wähler selbst. "Wir wollen kein Europa der Staatsgipfel hinter
verschlossenen Türen, sondern ein Europa der
Bürger."
In einem folgten die Delegierten ihrer
Parteiführung nicht. Die mit rund 13 Millionen Euro
verschuldete Bundespartei sollte finanziell besser ausgestattet
werden. Dazu sollte jeder Kreisverband die pro Mitglied
abzuführende Grundumlage von 1,10 Euro im Monat auf 2,20 Euro
verdoppeln. Die Satzungsänderung mußte mit
Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden - am Ende fehlten nur
wenige, aber entscheidende Stimmen.
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