|
|
Der Staat muss dienen und nicht herrschen
Auszüge aus der Parteitagsrede des
FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle
Wir erleben seit Jahren, dass Investitionen und
Arbeitsplätze auswandern oder ausländische Investitionen
einen Bogen um den Standort Deutschland machen. Auf diese
Entwicklung lautet die Antwort der SPD: Patriotismus! Wer im
Ausland investiere, so der Vorwurf an die deutsche Wirtschaft, sei
unpatriotisch. Der SPD-Generalsekretär Benneter hatte dem noch
einen draufgesetzt und das Wort von den "Vaterlandslosen"
gebraucht. Vaterlandslos und unpatriotisch sind nicht Unternehmer,
die sich mit neuen Märkten vor der Pleite schützen
wollen. Vaterlandslos und unpatriotisch ist eine Politik, die
Unternehmen ins Ausland oder in die Pleite treibt. Das ist die
eigentliche Lage in Deutschland...
Im letzten Jahr hat die Regierung über Steuersenkungen und
Flexibilisierung geredet. Heute sind die Themen
Ausbildungsplatzabgabe, Vermögensteuer, Erbschaftssteuer und
Mehrwertsteuer. Die SPD betreibt einen Agendawechsel. Der mag gut
sein für die Seele der SPD, aber er ist ein Programm zur
Arbeitsplatzvernichtung in Deutschland... Die
Ausbildungsplatzabgabe wird nur dazu führen, dass noch mehr
mittelständische Unternehmen in die Pleite geraten. Genau das
müssen wir in Deutschland verhindern. Im letzten Jahr gab es
über 40.000 Pleiten, insbesondere im Mittelstand. Wer Pleite
geht, kann auch nicht ausbilden. Der Mittelstand muss gestärkt
werden, dann wird auch mehr ausgebildet. Unsere Wirtschaftspolitik
ist eine bessere Sozialpolitik, weil sie die Grundlage für den
Wohlstand schafft. Unsere Mittelstandspolitik ist eine bessere
Arbeitnehmerpolitik.
Das ist nicht nur ein ökonomischer Unfug. Durch die
Ausbildungsplatzabgabe wird nicht ein einziger Ausbildungsplatz in
Deutschland geschaffen. Die Stadt Dresden müsste rund 750.000
Euro Ausbildungsplatzabgabe zahlen. Ausgerechnet die Gewerkschaft,
die sich besonders für die Zwangsabgabe stark gemacht hat,
verdi, hat bei ihren über 4.000 Beschäftigten gerade
einmal 20 Auszubildende, das entspricht einer Ausbildungsquote von
gerade einmal 2,44 Prozent...
Die Vermögensteuer war zu zwei Dritteln eine betriebliche
Vermögensteuer. Wer die Realität des Wirtschaftslebens
kennt, weiß, dass der Mittelstand zwischen betrieblichem und
privatem Vermögen kaum praxistauglich trennen kann. Und wer
die Erbschaft-steuer erhöhen will, vegisst, dass alles, was
man am Ende seines Lebens an seine Kinder und Enkelkinder vererben
möchte, im Laufe dieses Lebens bereits x-mal versteuert
wurde.
Jetzt streitet die Union über die Erhöhung der
Mehrwertsteuer. Es ist halt so: Auch die Union hat noch
marktwirtschaftlichen Klärungsbedarf. Im Bundestag und im
Bundesrat regiert noch immer eine Mehrheit der
Verteilungsfürsten. Mehr als 800 Milliarden Euro hat der Staat
insgesamt im letzten Jahr eingenommen. Wir brauchen keine neuen
Steuererhöhungen in Deutschland, auch keine
Mehrwertsteuererhöhung, wir brauchen Ausgabendisziplin.
Noch gefährlicher als der ökonomische Irrsinn, der in
dieser Steuerpolitik liegt, ist das dahinter stehende Denken. Es
ist das Denken in den Kategorien der Neidgesellschaft. Es ist Zeit,
der Neidgesellschaft eine neue Anerkennungskultur entgegenzusetzen.
Es ist zutiefst unfair, wenn jemand mit viel Risiko und Fleiß
eine Firma aufbaut, dafür aber nur Neid erntet. Fair ist, wenn
derjenige, der Besonderes leistet, auch besondere Anerkennung
erhält...
Wir stehen vor der Neugründung unserer sozialen
Sicherungssysteme. Der Reparaturbetrieb bei der Rente funktioniert
nicht mehr. Diese Bundesregierung hat die Renten zum ersten Mal in
der Geschichte der Bundesrepublik real gekürzt und auch noch
die so genannte Schwankungsreserve, also den Notgroschen der Rente
aufgebraucht. Wenn jetzt nicht ein Systemwechsel erfolgt, werden
regelmäßige Beitragssteigerungen und Rentenkürzungen
folgen. Diese politischen Notoperationen ohne einen Systemwechsel
sind unfair gegenüber der jetzigen Rentnergeneration, weil sie
in Ansprüche eingreifen, die die Rentner im Vertrauen auf eine
verlässliche Rente durch Arbeit erworben haben. Für
Liberale ist Rente kein Almosen, sondern eine Gegenleistung
für lebenslanges Arbeiten. Diese Politik ist unfair
gegenüber der arbeitenden Generation, weil sie bei den
Beiträgen weder Stabilität noch Entlastung bringt. Und
diese Politik ist unfair gegenüber der jungen Generation, weil
die soziale Sicherheit in Anbetracht der veränderten
Altersstruktur unserer Gesellschaft nicht zukunftstauglich wird...
Wir müssen jetzt unser Rentensystem so umbauen, dass die
Altersvorsorge zur Hälfte auf einer beitragsfinanzierten
gesetzlichen Grundsicherung und zur anderen Hälfte auf einer
privaten oder betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge ruht.
Nur so lassen sich Rentensicherheit, Beitragsstabilität und
Generationenfairness erreichen.
Die gesetzliche Pflegeversicherung trägt auf Grund der
demographischen Entwicklung ebenfalls den Sprengsatz immer weiterer
Beitragserhöhungen in sich. Bei ihrer Einführung Anfang
der 90er-Jahre konnten wir uns nicht durchsetzen. Nun ist genau das
eingetreten, was wir vorausgesagt haben. Wir sollten jetzt
wenigstens die Konsequenz ziehen und die gesetzliche
Pflegeversicherung durch eine private, kapitalgedeckte
Pflegeversicherung ersetzen.
Was im Gesundheitswesen als Jahrhundertreform bezeichnet wird,
hat doch bestenfalls noch die Halbwertzeit von zwei, drei Jahren.
Wir brauchen auch hier eine Neugründung unserer sozialen
Sicherungssysteme. Nicht mehr Zwangskassen sind nötig, sondern
mehr Versicherungsfreiheit.
Nicht nur Rot-Grün, sondern auch maßgebliche Teile der
Union sind für die Einführung einer Zwangskasse unter dem
Decknamen "Bürgerversicherung". Als ob ein Fass ohne Boden
gefüllt werden könnte, indem immer mehr Menschen
gezwungen werden, ihr Geld dort hinein zu schütten. Das
Gefäß muss neu gezimmert werden.
Die gesetzlichen Krankenkassen wollen wir in private
Gesundheitsversicherungen überführen. Wir wollen also aus
den gesetzlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaften
private Unternehmungen machen, die in einem echten Wettbewerb
zueinander stehen. An die Stelle der Pflichtversicherung setzen wir
eine Pflicht zur Versicherung, bei der die Bürger selbst
zwischen Anbietern und Tarifen für sich maßgeschneidert
auswählen können...
Und wenn der Staat von Bürgern und Unternehmen verlangt,
sich dem Prinzip des Wettbewerbs zu stellen, darf er sich selbst
nicht dem Wettbewerb entziehen. Deshalb treten wir Liberale
für einen Wettbewerbsföderalismus ein, mit erkennbaren
Verantwortlichkeiten. Dazu zählt die Abschaffung der
Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern. Klare
Verantwortlichkeiten stärken die Bürgermacht. Mit anderen
Worten: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen. Und wer sie
bezahlt, bestimmt auch das Lied, das gespielt wird.
Ob beim Privatisierungsgebot, der Steuerpolitik, dem
Subventionsabbau, der Reform der sozialen Sicherungssysteme oder
dem Bürokratieabbau, dahinter steht ein liberales
Staatsverständnis, das sich von den anderen Parteien
unterscheidet. Der Staat muss dienen, nicht herrschen. Er soll
nützen, nicht belasten. Was der Staat nicht regeln muss, das
soll er auch nicht regeln dürfen...
Zurück zur
Übersicht
|