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Claudia Heine
Rost am Eisernen Vorhang
Damals... vor 15 Jahren am 17. Juni 1989: Letzte
Feierstunde des Bundestages zum 17. Juni vor dem
Mauerfall
Irgendwie schienen sie ihn alle anzuhaben, den "Mantel der
Geschichte", damals im Juni 1989: Michail Gorbatschow, Helmut Kohl
und Erhard Eppler. Historisch war nicht nur der viertägige
Staatsbesuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail
Gorbatschow in der Bundesrepublik. Kurz danach, am 17. Juni 1989,
hielt der SPD-Politiker Erhard Eppler im Bundestag eine Ansprache
zu jenem Feiertag, mit dem das westliche Deutschland
alljährlich an die Unruhen in der DDR im Jahr 1953 erinnerte.
Es war keine Sonntagsrede der üblichen Art.
In versöhnlichem Grundton formulierte der "linke Vordenker"
Eppler Perspektiven einer künftigen Deutschlandpolitik, die
einer kritischen Analyse nicht auswichen. Den 17. Juni 1953
berührte er dabei nur am Rande. Schwerer wog seine Forderung
nach einer vorwärtsgewandten und von überholten Begriffen
geläuterten Politik. Eppler plädierte zum Beispiel
dafür, die Frage des künftigen Verhältnisses beider
deutscher Staaten vom Begriff der "Wiedervereinigung" zu trennen.
Es gelte, deutlich zu machen, "dass wir nicht Vergangenes
restaurieren, sondern Neues schaffen wollen, und zwar gemeinsam mit
unseren Nachbarn". Er wandte sich aber auch gegen den Begriff vom
"Verrat" in diesem Zusammenhang: "Weder hat Adenauer die deutsche
Einheit noch Brandt die deutschen Ostgebiete verraten", stellt er
fest und zog so einen Schlussstrich unter die bisher prägenden
Streitigkeiten in der Deutschlandpolitik. Der Applaus aller
Fraktionen des Bundestages war ihm sicher.
Im Unterschied zu vergangenen Jahrzehnten fand die Rede vom
geeinten Land vor einem Hintergrund statt, der eine solche
Neubewertung nahelegte. Zwar schien die Einheit noch nicht in
greifbarer Nähe. Die Entwicklungen in der Sowjetunion und
anderen osteuropäischen Staaten verlangten jedoch ein
Nachdenken, das über bloßes Wunschdenken hinausging. Die
Reformpolitik Michail Gorbatschows nährte auch im Westen neue
Hoffnungen auf einen nicht mehr ganz so "Eisernen Vorhang" zwischen
Ost und West. Noch nicht wissend, wie schnell er tatsächlich
fallen sollte, klangen Epplers Worte trotzdem wie eine Vorahnung:
"Wir haben bisher nicht präzise sagen können, was in
Deutschland geschehen soll, wenn der Eiserne Vorhang rascher als
erwartet durchrostet."
Einige Tage zuvor, am
13. Juni, traten Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und der
sowjetische Staatschef Gorbatschow mit einer "Gemeinsamen
Erklärung" an die Öffentlichkeit. Ganz vom Wunsch
gegenseitiger Annäherung getragen, stellte sie das
Verhältnis beider Länder auf eine neue Stufe. Zahlreiche
Kooperationen auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem
Gebiet sollten nun Wirklichkeit werden. Über Systemgrenzen
hinweg formulierte sie als politisches Ziel, "an die geschichtlich
gewachsenen europäischen Traditionen anzuknüpfen und so
zur Überwindung der Trennung Europas beizutragen". Wie aber
sollte eine Trennung aufgehoben werden, die nicht nur einen
Kontinent, sondern ein Land und eine Stadt teilte?
Gorbatschow machte auf einer Pressekonferenz am 15. Juni in Bonn
deutlich, dass eine Lösung der deutsch-deutschen Frage im
Sinne einer Vereinigung nicht auf der Tagesordnung stehe: "Die
Situation in Europa, die wir heute haben, ist eine Realität."
Die Mauer könne nur verschwinden, "wenn jene Voraussetzungen
entfallen, die sie ins Leben gerufen haben". Gorbatschow
formulierte in diesem Zusammenhang lediglich die vage Hoffnung,
"dass die Zeit selbst über das Weitere bestimmen wird".
Wie schnell "das Weitere" Realität werden sollte, konnte im
Juni 1989 niemand wissen. Auch Erhard Eppler forderte vor dem
Parlament, die Situation so anzuerkennen, wie sie ist und die
Existenzberechtigung der DDR nicht in Frage zu stellen. Dennoch
wies er all jene in die Schranken, die die Einheit des Landes schon
abgeschrieben hätten. Für Eppler, der als Vorsitzender
der SPD-Grundwertekommission in den 80er-Jahren zahlreiche
Gespräche mit SED-Politikern geführt hatte, war das Thema
noch nicht erledigt. Aber, so Eppler, "die freie Entfaltung der
Menschen in der DDR begrüßen wir auch dann, wenn sie
deren Loyalität zum anderen deutschen Staat stärken und
damit diesen Staat stabilisieren".
Es war eine Anerkennung, die zugleich an starke Zweifel
über die Reformfähigkeit der SED-Führung
geknüpft war, ohne die das Land jedoch nach Ansicht Epplers
keine Zukunft hatte. Die DDR könne nur überleben, "wenn
sie eine Funktion erfüllt, die ihren eigenen Bürgern
einleuchtet", sagte er. Dazu sei ein Dialog zwischen Bürgern
und Politikern nötig. Als dieser im November 1989 begann, war
es dafür schon zu spät.
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