|
|
Pascale Hugues
Verderbte Schönheit
Wie die plastische Chirurgie eine Illusion
verheißt und Sinnlichkeit verleugnet
Jeden Morgen laufe ich in meiner Straße in
Berlin an einem Schönheitssalon vorbei. Im Schaufenster
hängt eine große weiße Tafel, auf die mit Bleistift
fünf kleine Frauen gezeichnet sind. Auf dem Gesicht der ersten
prangt ein enormes Lächeln, das überschwänglich von
einem Ohr zum anderen wandert. Auf dem Gesicht der letzten dagegen
liegt ein bleischweres Schmollen, das ihre schlaffen Mundwinkel
trist nach unten zieht. Die erste kleine Bleistiftfrau gehört
zur Kategorie der 18- bis 20-Jährigen, die letzte zur Gruppe
der über 80-Jährigen. Und zwischen diesen beiden Extremen
des Lebens finden wir den stetigen Verfall des weiblichen
Körpers, den langsamen, aber sicheren Abstieg in die
widerwärtige Hölle des Alterns.
Jeden Morgen bringt mich diese ebenso dumme
wie grausame Zeichnung in Rage. Weder glaube ich an die dramatische
Verwandlung dieser strahlenden Venus in eine griesgrämige
Hexe, noch an die kostspielige Behandlung, mit der der
Schönheitssalon diese Tendenz umkehren und die fünfte
kleine Bleistiftdame in einen wundertätigen Jungbrunnen
tauchen will. Jeden Morgen überkommt mich die Lust, einen
dicken Filzstift zu nehmen und die Gesichtszüge der kleinen
Frauen umzudrehen. Die Kategorie der 18- bis 20-Jährigen
würde ich in kleine Heulsusen verwandeln: Herzschmerz, Akne,
Magersucht, mangelndes Selbstvertrauen, pubertäre
Verrenkungen. Die Kategorie der über 80-Jährigen dagegen
würde aufblühen: Falten, die von einem erfüllten
Leben zeugen, Weisheit, Humor und Gelassenheit. So stelle ich mir
das hohe Alter eher vor, jedenfalls, wenn man das unschätzbare
Glück hat, dorthin zu gelangen, ohne zu erkranken. Bin ich
eine unverbesserliche Optimistin? Habe ich vielleicht einfach nur
das Glück, zwei wunderbare Großmütter gehabt zu
haben? Werde ich an jenem Tag, an dem die ersten Altersflecken
meine Arme in ein impressionistisches Gemälde verwandeln,
desillusioniert aufwachen? Mag sein. Aber diese karikaturhafte und
erniedrigende Bleistiftvision des hohen Alters ist mir
unerträglich.
Ich habe mich von der Chefin des
Schönheitssalons beraten lassen. Das Gegengift, das sie mir
vorschlug, beschränkte sich auf die Einnahme von Pflanzentees,
dazu ein paar Massagen und Packungen. Keine größeren
körperlichen Eingriffe. Lediglich das Versprechen eines
angenehmen Augenblicks in der feuchten Wärme einer stillen
Kabine, fern vom Lärm und Stress der großen Stadt. Allein
die Geldbörse verschlankt sich im Rhythmus der Sitzungen.
Aber, würden Moralisten jetzt sagen, ist das nicht nur der
erste Kolbenschlag einer infernalischen Maschinerie? Man fängt
damit an, sich die Haare zu färben - eine kleine,
rührende Eitelkeit, die man an den Haarwurzeln erkennt, wo die
Originalfarbe durchscheint. Und schon bald lässt man sich
unerwünschte Fettablagerungen wegsaugen, lässt sich
Silikon in Brüste und Lippen spritzen, lässt sich Stirn
und Pobacken liften. An welcher Stelle wird der Bluff
gefährlich? Wo endet die sorgfältige Pflege, die Ausdruck
von Selbstachtung und einer gewissen Körperkultur ist, und wo
beginnt das neurotische Streben nach Perfektion, Kennzeichen der
Ablehnung des eigenen Körpers und der verstreichenden
Lebenszeit?
Zuflucht zu Skalpell und Spritze
Jeder kennt den verunglückten
Schmollmund von Meg Ryan, die verderbte Schönheit der
Emmanuelle Béart, die unproportional aufgepumpten, abgepumpten
und wieder aufgepumpten Brüste von Britney Spears. Mit dem
Glanz der Stars kommen wir, die Gemeinschaft der Sterblichen, nur
beim Friseur in Kontakt, wenn wir die "Gala" durchblättern und
in eine exklusive Gesellschaft vordringen, in der jeder 20 Jahre
alt ist. Keiner meiner Freunde ist geliftet. Ich kenne niemanden,
der sich die Brüste hat richten lassen. Trotz des medialen
Großangriffs ist die Schönheitschirurgie nach wie vor ein
Randphänomen. Dennoch künden die Zahlen von einem rapiden
Anstieg. Nach Schätzungen (offizielle Statistiken gibt es
nicht) werden in Frankreich jährlich etwa 150.000 bis 200.000
chirurgische Eingriffe um der Schönheit willen
durchgeführt. Trotz aller Risiken und Kosten wagen es also
immer mehr Frauen, diese Schwelle zu überschreiten und
Zuflucht zu Skalpell und Spritze zu nehmen.
Was mich dabei in erster Linie erstaunt, ist
die Diskrepanz zwischen dem imaginierten und dem realen
Körper. Auf der einen Seite der glatte Barbie-Leib, mit
Brüsten wie Wassermelonen und Lippen wie reifem Fruchtfleisch,
der uns angeblich von der banalen Angst befreit, nicht mehr geliebt
zu werden, nicht mehr zu verführen. Auf der anderen Seite der
reale Körper, der meist viel anrührender und viel
schöner ist. Emmanuelle Béart, die als meist-geliftete
Schauspielerin Frankreichs gilt, ist ein wunderbares Beispiel: Sie
war vorher tausendmal schöner als nachher. Wie ist es nur
möglich, dass sich diese Frau ihrer
außergewöhnlichen Schönheit nicht bewusst war? Darin
liegt das wahre Rätsel. Und führt nicht die Verwandlung
unter dem Skalpell in der Regel zu einer Standardisierung des
Erscheinungsbildes? Frauen, die ihr Schicksal in die Hände
eines Chirurgen gelegt haben, haben alle die gleiche Nase und den
gleichen Mund. Es braucht keine besondere physiognomische Begabung,
um sie auf der Straße zu erkennen. Der imaginierte Körper
mag auf Hochglanzpapier gut aussehen, aber er ist all dessen
beraubt, was das Leben auszeichnet. Es fehlen die
Unvollkommenheiten. Es fehlt die Mimik, die Emotionen verrät.
Es fehlen die Wärme und die Zeichen der Zeit. Der imaginierte
Körper ist ein frigider Körper, denn die
Schönheitschirurgie leugnet alle Sinnlichkeit. Fragen Sie die
Männer: Die Vorstellung, einen Silikonbusen zu berühren
oder einen Botox-Mund zu küssen, löst bei der Mehrheit
absolut kein Verlangen, sondern im Gegenteil nur Ekel und Entsetzen
aus. Wie kann man sich Lippen konstruieren lassen, die beim
Küssen nichts mehr fühlen, angeblich aber besser
aussehen? Wie kann man sich die Brüste beschneiden lassen, um
ein ganzes Leben lang Narben zur Schau zu stellen? Das Bild von
Uschi Glas im Bikini ist monströs: ein 60-jähriger
Backfisch, ausgemergelt von unzähligen Ananaskuren und
morgendlichen Bürstenfrottierungen, eine Mumie ohne Seele, ein
altersloser Körper, der etwas Irreelles hat, etwas
Erschreckendes. Sind es wirklich diese Frauen, die die Männer
anziehen? Herr Glas jedenfalls hat einer Wurstverkäuferin den
Vorzug gegeben - etwas vulgär vielleicht, aber wenigstens kann
man sie anfassen.
Zurück zu den fünf kleinen
Bleistiftfrauen, zurück zur Schönheit des hohen Alters.
In diesem letzteren Punkt lassen sich vielleicht gewisse
Unterschiede zwischen den Ländern Europas ausmachen. Vor mehr
als einem Monat habe ich ein Wochenende in Lissabon verbracht. Es
waren die ersten richtigen Frühlingstage, und überall in
der Stadt sah man die alten portugiesischen Witwen mit ihren
Strickjacken aus schwarzer Wolle, mit sorgfältig ondulierten
und violett-schillernd getönten Haaren, mit kleinen
Perlen-Ohrringen. Manche saßen plaudernd auf Parkbänken
in der Sonne, die elegantesten promenierten durch die Straßen,
mit gepudertem Gesicht, Schuhen mit kleinen Absätzen und einer
Wolke schweren Parfums um sich herum. Sie sind sich ihres Alters
bewusst, diese alten Portugiesinnen, aber dennoch haben sie es
verstanden, feminin und kokett zu bleiben. Zurück in Berlin
machte ich am letzten Wochenende einen Spaziergang entlang der
Spree und trank einen Kaffee im Biergarten unter den Fenstern des
Kanzleramts. Gruppen deutscher Rentner waren übers Wochenende
aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein angereist, um
sich die Hauptstadt anzusehen. Die Frauen trugen durchweg graue,
kantige Kurzhaarschnitte, beigefarbene Anoraks und bequeme, flache
Schuhe, die ihren energischen Gang unterstrichen. Weder ihre
fleckigen Wangen noch ihre matten Lippen schienen ihnen etwas
auszumachen. Sie wirkten völlig asexuell, als hätten sie
jede Spur von Zartheit und Weiblichkeit verloren. Diese ganze
Provinzprozession wirkte, als sei sie direkt dem Schaufenster des
Schönheitssalons in meinem Viertel entsprungen. Kategorie
Nummer fünf.
Kokette und raffinierte Art des
Alterns
Jedes Mal, wenn ich aus Deutschland nach
Frankreich, Italien oder Portugal fahre, fällt mir diese
Diskrepanz auf. Nicht bei den jungen Frauen, die in allen unseren
Ländern schön und elegant sind, sondern bei den
älteren Damen. Mich rührt diese kokette und raffinierte
Art des Alterns. Mich rühren Parfumwolken, kleine Hütchen
und Haarnetze über weißen Knotenfrisuren. Mich rührt
die Grazie der Gesten und der Stolz, sich nicht gehen zu lassen,
das Spiel der Verführung nicht aufzugeben. Woher rührt
dieser Unterschied, der mir jedes Mal ins Auge fällt? Ist es
der Krieg, der die Generation der jetzigen deutschen Rentnerinnen
ihrer Weiblichkeit beraubt hat? Eine protestantisch-puritanische
Kultur, in der die tugendhafte Frau eher nach Bohnerwachs als nach
Chanel duftet? Oder ist es das Erbe des militanten Feminismus?
Für eine bestimmte Generation von Deutschen sind schon das
Tragen von BHs oder der Einsatz von Make-up ein Verrat an der Natur
- von Silikon und Botox ganz zu schweigen! Zugegeben, Deutschland
ist im Begriff, sich von Klischees, aber auch von Dogmen zu
befreien. Junge Frauen haben heute wieder das Recht, weiblich zu
sein.
Kündigt sich vielleicht sogar schon die
Rache des unvollkommenen, des realen Körpers an? Seit einigen
Wochen preisen auf Berliner Plakatwänden vier dicke
Mädchen die Vorzüge einer Feuchtigkeitscreme an. Im Kino
treten die "Calendar Girls" für eine reifere Form der
Schönheit ein. Selbst Catherine Deneuve beschreibt in ihrer
gerade in Frankreich erschienenen Autobiographie, wie der Krieg
gegen die Pfunde sie in den Wechseljahren erschöpft hat. Ein
Roman, der die Altersliebe einer Witwe beschreibt, wird in
Frankreich zum Bestseller, und in Deutschland bricht Frank
Schirrmachers Buch über das Altern die Verkaufsrekorde. Der
Beginn einer Rebellion gegen die Diktatur des Looks und der Jugend
um jeden Preis? Sie werden sehen: noch ein paar Jahre, und die
alten Damen werden endlich ihr Lächeln
wiederfinden.
Pascale Hugues ist Korrespondentin
des französischen Magazins Le
Point.
Übersetzung: Jens Muehling
Zurück zur Übersicht
|