|
|
Stefan Braun
Der Raum für Politik wird immer enger
Der Kanzler, die Ohrfeige und die
Medien
Es war einmal ein Mann. Und dieser Mann hat
einem anderen Mann eine Ohrfeige verpasst. Nichts Dramatisches;
nichts, was den Getroffenen wirklich hätte verletzen
können. Trotzdem ist eine Ohrfeige in unseren zivilisierten
Zeiten nicht der Regelfall untereinander. Und sie ist alles andere
als normal, wenn sie den Bundeskanzler trifft. So gesehen hat Jens
Ammoser mit seiner Watsch'n für Gerhard Schröder etwas
Bemerkenswertes getan. Auf alle Fälle etwas, das Schlagzeilen
produziert hat in den deutschen Medien.
Besonders ist an der kleinen Affäre um
Herrn Ammoser und den Kanzler deswegen nicht, dass über sie
berichtet wurde. Besonders ist, wie berichtet worden ist. Denn
Ammoser, ein arbeitsloser Lehrer, wohnhaft im Schwarzwald, 52 Jahre
alt und seit neun Jahren ohne Job, hat nach seinem Angriff auf den
Bundeskanzler genau das erhalten, was er sich gewünscht hat:
höchste publizistische Aufmerksamkeit.
Im Duktus der Aufklärung, aber ganz und
gar in der voyeuristischen Manier des Boulevard haben ihn gleich
zwei führende Nachrichtenmagazine ausführlich zu Wort
kommen lassen - mit Zorn über diesen Kanzler, mit Ärger
über dessen Politik, mit Warnungen wie "Lieber jetzt 'ne
Ohrfeige als später 'ne Bombe". Renommierte Tageszeitungen
haben Reporter losgeschickt, um Ammosers Hintergründe zu
erforschen, um ein Psychogramm zu erstellen und am Ende vor allem
eines festzustellen: dass der Mann keineswegs verrückt ist,
dass er keine schlechte Kindheit hatte, dass er die Ohrfeige lange
im voraus geplant hat. Anders ausgedrückt: Dass er ganz
kühl kalkulierend zu geschlagen hat - im tatsächlichen
wie im übertragenen Sinne. Er wollte los werden, für wie
schlecht er diesen Kanzler hält. Dafür musste er die
Medien aktivieren. Das ist ihm gelungen. Und genau das muss zu
denken geben. Wenn eine Ohrfeige gegen einen Politiker es schafft,
mit politischen Statements des Schlägers aufgefüllt statt
schlicht abgelehnt und verurteilt zu werden, dann wird sich die
politische Auseinandersetzung in Deutschland verändern. Und
die Medien werden daran ihren nicht geringen Anteil
haben.
Nun könnte man den Umgang mit Herrn
Ammoser als Einzelfall beschreiben. Man könnte und wird sagen,
dass Aufklärung wichtiger ist alles Verschweigen. Ehrlicher
aber wäre es festzustellen, dass die Medien "einen Erfolg
witterten" und ihren Lesern Ammosers Geschichte als besonderes
Produkt bieten wollten. Das ist in Zeiten rasant wachsender
Konkurrenz und dramatisch zunehmender Überlebensangst
verständlich. Aber es ist auch ein Synonym dafür, wie
sich die Koordinaten verschieben. Dass die Medien neben ihrer
politischen Rolle als Aufklärer auch eine politische
Verantwortung haben, dass sie sich trotz einer verlockenden
Geschichte manchmal fragen müssen, ob ebendiese Geschichte
ihre Berechtigung hat, was sie bewirkt, wozu sie einlädt, ob
dabei noch Maß und Mitte gehalten werden, tritt immer
häufiger in den Hintergrund.
Und dieses Problem ist längst kein
Kleines mehr. Es hat sich eingeschlichen und
verselbstständigt, ist Teil auch jenes Systems geworden, das
sich mit den Stichworten Politik, Hauptstadt und
Parlamentsberichterstattung verbindet. Es gibt in immer mehr Medien
die immer rücksichtslosere Tendenz zur Zuspitzung, zur
Verschärfung (und oft genug auch Verzerrung) von Nachrichten
und Äußerungen, weil immer mehr Medien und Politiker sich
an der Quantität der mit dem eigenen Namen verbundenen
Agenturmeldungen messen. Nur wer den Weg in die Agenturen findet,
taucht in anderen Zeitungen auf. Nur wer das schafft, ist was
wert.
Masse schlägt Sache, Menge regiert
über Gewissenhaftigkeit. Das Nachrichtenwesen ist zum
Durchlauferhitzer geworden - für Politiker, mehr und mehr aber
auch für Journalisten und Zeitungen, die nach Karriere oder
Wettbewerbsvorteil streben. Mit anderen Worten: auch durch die
Medien wird der Wind wichtiger als das Segelboot, das er antreiben
soll. Da wird aus der nachdenklichen Selbstkritik eines
SPD-Bundestagsabgeordneten eine "Attacke gegen Ulla Schmidt" und
aus den nicht minder nachdenklichen Interviewsätzen des damals
Noch-SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz über mögliche
Fehler bei Tempo und Vermittlung der Reformen die angebliche Parole
"Das Nötige ist getan". Auf diese Weise ist den beteiligten
Zeitungen und Magazinen das Zitiertwerden in den Agenturen sicher.
Nur die Wirklichkeit, auch die des durchaus kritikwürdigen
Heute-nicht-mehr-Generalsekretärs, haben sie um eine kleine,
aber entscheidende Nuance verfehlt: Dass er - erkennbar bei voller
Lektüre des Interviews - gerade nicht angekündigt hatte,
die SPD werde ihre Reformbemühungen einstellen.
Weitere Beispiele erbeten? Leider kein
Problem. Da wäre Florian Gerster, ehedem Vorsitzender der
Bundesagentur für Arbeit. Der Mann hat einige schwere Fehler
gemacht. Er ist reichlich uneinsichtig gewesen. Er hat sich
gegenüber dem Parlament arrogant gegeben. Doch alle Kritik an
dem Ex-Vorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit begann mit
einem Skandal, der keiner war. Die Meldung kam auf, er habe
für Millionen sein Büro luxuserneuert. Eine Meldung, die
gut klang, eine, die von vielen Medien übernommen wurde und
bis in die letzten Tage Gersters als Amtschef am Leben blieb. Sie
stimmte nur nicht. Gerster hat Geld in die Räume für die
Presse gesteckt, aber bis zum Schluss in den Möbeln seines
Vorgängers Jagoda gearbeitet.
Oder Friedrich Merz. Er ist bekannt als
streitbarer Konservativer. Er ist angriffslustig und schießt
dabei auch mal über das Ziel hinaus. Da passte es für
eine sich links und liberal verortende "Tageszeitung" gut, dass er
auf einer CDU-Veranstaltung in seiner Heimatstadt Brilon zum
??Sturm auf das Rote Rathaus" aufrief - und dabei auch noch daran
erinnerte, dass sein Großvater zwanzig Jahre lang in
ebendiesem Rathaus regiert hatte. Die Zeitung bemerkte, dass vier
dieser zwanzig Jahre in die Herrschaft der Nazis fielen. Also
suchte sie nach belastendem Material gegen den Großvater,
wähnte sich nach kurzer Zeit fündig und brauchte nur
Stunden, um Merz zu einem ??biologischen und politischen Enkel von
Nazikollaborateuren" zu machen.
Dabei hatte die Zeitung nur übersehen -
oder viele Tage lang nicht zu Ende recherchiert -, dass der
Großvater von Friedrich Merz am Ende seiner Amtszeit von den
Nazis wegen Unbotmäßigkeit aus dem Amt gehievt worden
war. Mehr noch: dass er später nach dem Krieg von
jüdischen Mitbürgern entlastet wurde. Doch statt das oder
auch einfach nur sich selbst vor der Veröffentlichung zu
prüfen, griff der verantwortliche Redakteur tagelang zum
Telefon, um die Kollegen in anderen Redaktionen und
Korrespondentenbüros auf die doch so brisante Geschichte
aufmerksam zu machen.
Wie es zu dieser Fehlentwicklung kommen
konnte? Wer sich das fragt, stößt natürlich auf den
gestiegenen Wettbewerb zwischen den Medien. Er stößt auf
die Folgen des Umzugs von Bonn nach Berlin, der - ähnlich der
Börsenblase bei der New Economy - die Zahl der Journalisten
wie der Jobs in der Hauptstadt anschwellen ließ, um
anschließend, als die wirtschaftliche Krise zahlreicher
Verlage begann, mindestens ebenso viele Journalisten wieder auf die
Straße zu werfen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der
Medienunternehmen sind längst bei den Journalisten direkt
angekommen. Und die Not der arbeitslosen Journalisten wie die Sorge
vieler Arbeitsplatzbesitzer erhöht mindestens den
gefühlten Druck, Besonderes zu liefern.
Das hat eine weitere Konsequenz: Der Raum
für Politik wird immer enger, im tatsächlichen wie
übertragenen Sinn. Die Zeit zum Nachdenken schrumpft nicht auf
Tage, sondern oft auf Stunden zusammen, bei Politikern wie
Journalisten. Jede Fraktions-, jede Präsidiums- und jede
Klausursitzung ist längst keine geschlossene Veranstaltung
mehr. Offene Gespräche, wirkliche Diskussionen können
dort nicht mehr geführt werden, ohne dass sie - wenn es lohnt
- öffentlich werden. Parteigremien verlieren ihre
meinungsbildende Kraft. Politik wird zum Geschäft kleinster
Zirkel.
Nun wäre es verlogen, die Schuld
dafür nur bei den Medien zu suchen. Auch viele Politiker haben
sich in dieser ganz eigenen Erlebniswelt prächtig
eingerichtet. So mancher von ihnen spielt ausgesprochen gut auf der
Klaviatur schneller Erregung - und verdrängt dabei leicht,
dass er nicht immer die reine Wahrheit zur Erregung verwendet. Ein
Beispiel der vergangenen Tage: Als eine Zeitung noch einmal
ausführlich berichtete, dass im Zuge des Subventionsabbaus
auch die Förderung für Ostdeutschland schrumpfen werde,
beschwerten sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten
lautstark über diesen Skandal - obwohl sie davon im Zuge des
Vermittlungsausschusses längst wissen mussten. Schreien schien
besser mit Blick auf die Wähler. Begründen wäre wohl
schwerer geworden.
Höher, schneller, weiter: So flott und
mutig und entschlossen dieser olympische Spruch auch klingt, er ist
dabei, die Medienwelt zu prägen - und zu untergraben. Denn
dabei gehen Grundsätze verloren, die selbst im schärfsten
Wettbewerb nicht verloren gehen dürften: dass eine Information
durch zwei weitere Quellen geprüft werden muss; dass eine
Agenturmeldung noch kein Faktum sein muss; dass die Wirklichkeit
oft differenzierter ist, als es fürs Schreiben eines Textes
angenehm wäre.
Hoffnung kommt dieser Tage, manchen mag es
verwundern, ausgerechnet aus den Vereinigten Staaten. Dort ist
geschehen, was es so vielleicht noch nie gegeben hat: Eine Zeitung
bat um Verzeihung. Und nicht einmal irgendeine Zeitung irgendwo im
Mittleren Westen. Die New York Times ist es gewesen. Sie hat
mehrere Redakteure mehrere Wochen alle eigenen Artikel über
die Zeit vor dem Irakkrieg studieren lassen. Ihr Ergebnis: Wir
waren schlampig und unkritisch, wir haben nicht nachgefragt und
übertrieben, wir bedauern das und wir wollen daraus lernen.
Das ist schwer im Konkurrenzkampf unserer Tage. Und doch ist es
offenbar möglich.
Stefan Braun ist Korrespondent im
Parlamentsbüro der Stuttgarter Zeitung.
Zurück zur Übersicht
|