|
|
Markus Feldenkirchen
Wer in den Medien nicht ankommt, fliegt raus
Früher war Politik Weltanschauung, heute
Entertainment
Der Regisseur Claus Räfle hat vor ein paar
Jahren einen visionären Film gedreht. Er hieß "Der
Kandidat". In dem Film beschließt eine Werbeagentur, den
künftigen Kanzler zu stellen. Ihr Kalkül: Wenn man die
Menschen von einer bestimmten Pickelcreme oder einem
Fertigknödelgericht begeistern kann, obwohl sie nicht helfen
oder nicht schmecken, dann sollte man sie auch zur Wahl eines
beliebig smarten Kandidaten bewegen können. Selbst dann, wenn
der Kandidat von Politik so viel versteht, wie Oliver Kahn von
Rilkes Lyrik.
Den Kanzlerkandidaten der Werbeagentur spielt
ein gewisser Peter Bond. Bond war einmal Moderator der
Fernsehsendung "Glücksrad", daher kennen ihn die meisten
Deutschen. Davor hat er auch ganz gerne in Pornofilmen mitgespielt,
aber daher kennen ihn nur wenige Deutsche. Bond ist ein
höflicher Mensch, ein bisschen glatt vielleicht, aber
ältere Frauen mögen ihn. Im Film "Der Kandidat" spielt
Peter Bond sich selber.
Es sollte ein satirischer Film werden,
gedreht im Stile einer Dokumentation. Bei den Dreharbeiten aber
wurde Grimme-Preisträger Räfle irgendwann mulmig. Die
realen Bürger, die der fiktive Kanzlerkandidat Bond auf den
Marktplätzen zu überzeugen versuchte, wollten ihn
plötzlich wirklich wählen. Die These vom Konsumgut
Politik, das sich kaum noch von Pickelcremes unterscheidet, schien
zu stimmen. Motto: Hauptsache die Produkt-Verpackung stimmt, was
drin steckt, ist egal.
Die These scheint nicht unbegründet. In
anderen Ländern wird das politische Personal längst aus
dem Reich der Unterhaltung rekrutiert. In Italien regiert der
mächtige Mediengockel Berlusconi, in Ländern der Dritten
Welt schaffen Showstars es immer häufiger in die höchsten
Ämter. Im US-Staat Illinois wählten die Menschen einen
Catcher zum Gouverneur, dessen Qualifikation vor allem darin
bestand, dass er fettleibige Gegner durch die Luft wirbeln konnte,
um sie anschließend rücklings auf den Holzboden eines
Boxrings knallen zu lassen. In Kalifornien wurde erst vor einigen
Monaten ein Muskelgebirge auf zwei Beinen zum obersten Mann im
Staate gekürt. Nicht wenige Amerikaner wünschen sich
Terminator-Darsteller Arnold Schwarzenegger sogar ins Weiße
Haus von Washington. Amerika, Du hast es schlechter.
Wirklich? Auch in Deutschland haben die
politischen PR-Strategen längst gemerkt, dass ihre Klienten
ohne einen gewissen Show-Anteil beim Wähler keine Chance mehr
haben. Man muss sich nicht gleich im Stile Guido Westerwelles wie
ein nacktes Stück Hühnerbrust im Big-Brother-Container
anbieten. Aber ohne eine kalkulierte Portion Seelenstriptease bei
Maischberger, Beckmann oder Kerner wäre mancher Minister kaum
noch wahrnehmbar. So verändern sich nicht nur Images des
politischen Personals, sondern mit ihnen die ganze Politik. Was
einst hochideologisch als Frage der Weltanschauung aufgefasst
wurde, ist heute oft nicht mehr als ein billiges Event, im besten
Falle vielleicht ein Spektakel.
Fraglich nur, ob Politiker mit ihren
Ausflügen ins Seichte nicht einfach nur eine Nachfrage
befriedigen, die der Bürger an sie richtet. Denn die
potenziellen Wähler scheinen den Politikbetrieb - wenn
überhaupt - nur noch als Showveranstaltung wahrnehmen zu
wollen, nicht mehr als ernsthaften Wettstreit um die besten
Konzepte. Sie forcieren mit dieser Grundhaltung den Weg in den von
Peter Sloterdijk diagnostizierten "Amüsierfaschismus", der
nach Ansicht des Philosophen spätestens seit dem Siegeszug der
Spaßgesellschaft im vergangenen Jahrzehnt den Zustand unserer
Zeit beschreibt.
Gerade mal elf Prozent der Deutschen geben
nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen an, ein
starkes Interesse an Politik zu haben. Der Rest konsumiert vor
allem jene politischen Krümel, die die Unterhaltungsmaschine
Fernsehen täglich abwirft. Er fragt nach Infotainment, nicht
länger nach wirklicher Information. Die meisten Medien, vor
allem die Boulevardpresse, bedienen diese Nachfrage mit wachsender
Begeisterung und erfinden dabei selbst immer skurrilere Formen der
Auseinandersetzung mit Politik. Die perversesten Auswüchse
sind allwöchentlich in der "Bild"-Zeitung zu besichtigen, die
das Big-Brother-Prinzip "Wer nicht ankommt, wird rausgewählt"
jüngst auf die Bundesregierung übertrug und ihre Leser
aufrief, in einer Telefonaktion die größten Nieten des
Bundeskabinetts zu ermitteln. Verstörend dabei war freilich
nicht nur die Idee selbst, sondern auch der hohe Zuspruch von
Seiten der Leser.
Aber haben Politiker eine Alternative zur
Infotainmentspirale? Können sie sich der seichten
Selbstvermarktung noch entziehen? Nicht wirklich. Während sich
die Talkshows am Abend über hohe Quoten freuen, lassen sich
die Zuschauer einer Parlamentsdebatte auf "Phönix" wohl
problemlos in einer mittelgroßen deutschen Stadthalle
unterbringen. Man kann Politikern schwer vorwerfen, dass sie diesen
Umstand registrieren und ihr Auftreten danach
ausrichten.
Der Unterhaltungsdruck auf die Politiker
wächst. Manche, wie der frühere Verteidigungsminister
Rudolf Scharping, gehen unter dieser Last baden und verschwinden
für immer. Doch trotz solch peinlich-abschreckender Beispiele
gilt: Wer nicht bereit ist, seine Politik unterhaltungskompatibel
zu verkaufen, braucht sich um politische Ämter gar nicht mehr
erst zu bewerben. Die SPD hatte mit ihrem mittlerweile geschassten
Generalsekretär Olaf Scholz ein letztes Experiment wider den
Entertainment-Wahn gewagt. Scholz ist einer der klügsten
Köpfe in der Politik. Sein Unterhaltungswert jedoch ist in
etwa so hoch wie der einer Brotschneidemaschine. Zudem hat er sich
beharrlich geweigert, über Privates zu sprechen. Ihm ging es
tatsächlich noch "um die Sache". Das machte ihn zum Fossil.
Bei Bürgern, Journalisten und schließlich auch bei
Parteifreunden galt er damit rasch als untragbar.
Gut möglich also, dass der sympathische
Auftritt von Politikern bei "Maischkerner" schon jetzt den Ausgang
von wichtigen Wahlen bestimmt. "Die Fähigkeit einer
geschliffenen Rhetorik", diagnostiziert der Berliner Politologe
Herfried Münkler, "ist längst durch smarte
Telegenität abgelöst; die Fähigkeit, innerhalb von
dreißig Sekunden vor laufenden Kameras eine politische
Botschaft zu pointieren, ist wichtiger als die mitreißende
Entwicklung einer politischen Idee in einer längeren Rede."
Droht also auch in der Realität die Peterbondisierung der
Politik?
Wenn ja, dann hätte der Bürger
zumindest eine schwere Mitschuld. Er hegt und pflegt seine eigene
Verdrossenheit wie Kleingärtner ihre Rosenhecke. Er
verfällt immer stärker in trotzige Politlethargie und ist
auch noch stolz darauf. Er will etwas geboten bekommen, ist aber
nicht bereit, sich dafür anzustrengen. In diesem Punkte
unterscheidet sich das Konsumgut Politik durchaus von einem, sagen
wir, Toaster. Der Käufer eines Toasters ist meistens noch
bereit, sich vorher über die Qualität des Produktes zu
informieren, es mit Konkurrenzangeboten zu vergleichen, weil es
schließlich um den eigenen Nutzen geht. Bei der Entscheidung
für eine politische Partei fehlt den meisten die Bereitschaft,
sich über das Produkt zu informieren.
Nun ist ein Toaster sicherlich leichter zu
begreifen als Hartz IV, also die Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe. Aber das war schon immer so. Auch in den 50er-
oder 70er-Jahren waren die politischen Probleme und die
Instrumente, um sie zu lösen, kompliziert. Auch damals musste
man sich anstrengen, um mitreden und urteilen zu
können.
Was sich geändert hat, ist jedoch die
Transparenz von Politik. Wo wichtige Entscheidungen mit Vorliebe
zwischen den Spitzen der Parteien in nächtlichen Geheimtreffen
ausgehandelt werden und nicht mehr als Ergebnis eines offenen
parlamentarischen Diskurses, verwischen die Konturen. Feinheiten
werden den Verwaltungsapparaten überlassen. Die
Bürokraten aller Bundesländer vereinigen sich, um unter
Ausschluss der Öffentlichkeit wichtige Projekte in Gesetze zu
gießen.
Schon der große Denker Max Weber warnte,
dass die Bürokratie sich zu einem "stahlharten Gehäuse"
entwickeln könnte, und sah ein unentrinnbares negatives Faktum
moderner Gesellschaftsentwicklung, in dem jedes
Organisationsmitglied zu einem Rädchen wird. Wer sich aber als
Rädchen empfindet, verliert irgendwann die Lust, sich selbst
zu beteiligen, sich einzumischen, also die Arbeit des
Sich-Informierens auf sich zu nehmen.
Die Unterscheidbarkeit zwischen den Parteien
verwischt sich ebenso wie die Verantwortlichkeit von
Entscheidungen. Zurück bleibt auch das Gefühl, denen da
oben gehe es in erster Linie um taktische Machtspiele, nicht um die
Lösung von Problemen.
So treffen zunehmend faulere Bürger auf
zunehmend taktierende Politiker. Das Ergebnis ist eine
Stimmungsdemokratie, in der Wahlentscheidungen immer öfter
nach Augenblickslaunen und auf der Basis von Halbwissen oder
Garnichtwissen getroffen werden. Zunächst wurde dieses
Phänomen nach der Wende in den neuen Ländern offenkundig,
wo jahrzehntelange Milieubindungen an Parteien fehlten. Doch
inzwischen hat es die ganze Republik erfasst.
Kein Wunder, dass Kulturpessimisten warnen,
es werde auch in Deutschland nicht mehr lange dauern, bis
populärpopulistische Kandidaten à la Schwarzenegger die
politische Bühne betreten. Noch aber steht dem unser
Parteiensystem im Wege. Noch ist es undenkbar, dass die großen
Volksparteien etwa einen ahnungslosen Schauspieler als
Menschenfischer engagieren. Denkbar ist dies allenfalls bei den
kleineren Parteien oder im Falle von Parteigründungen. Die FDP
hat bereits erste Versuche unternommen.
Den Glücksrad-Moderator Peter Bond zog
es nach seiner Hauptrolle im Film "Der Kandidat" in die wirkliche
Politik. Die positive Resonanz der Bürger bei den Dreharbeiten
hatten bei dem Ex-Pornodarsteller die Illusion genährt, er
könne sich auch im Reich der Politik als potentes Produkt
platzieren. Die FDP von Mecklenburg-Vorpommern kürte ihn zum
Kandidaten für die Bundestagswahl im Herbst 2002. Bond bekam
keine fünf Prozent.
Markus Feldenkirchen ist Redakteur beim
"Spiegel".
Zurück zur Übersicht
|