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Christoph Oellers
Die neue Generation der Alten
Die Werbung setzt auf Freude am
Konsum
"Früher war alles besser", sagen bevorzugt
Ältere, wenn sie Benehmen und Moden der Jüngeren
missbilligen oder wenn sie sich überhaupt in der Gegenwart
unwohl fühlen. Die Klage schwillt in stagnativen Zeiten wie
jetzt, da die Republik seit zwei Jahren auf den großen Ruck
wartet, zum gesellschaftlichen Chorgesang an. So eingestimmt,
hält man sein Geld gleich dreimal wachsam zusammen. Für
die sensible Wirtschaft ist das Gift, hängt sie doch zu drei
Fünfteln vom Verbrauch der Privathaushalte ab. Eine
konstruktive Stimmung ist gefragt. Was die Politik nicht schafft,
macht die Werbung vor.
Für heute alles besser finden als
früher", steht auf einer Anzeige des Tabakkonzerns Reemtsma.
Drei betagte Damen, eindeutig im ruhestandsfähigen Bereich,
lächeln heiter. Sie scheinen sich bestens zu verstehen und
sind mit ihrer aktuellen Situation in irgendeinem Schnellcafé
amerikanischer Art offenbar sehr zufrieden. Die Zigaretten, die
frisch entzündet glimmen, halten sie, als ob sie
Victory-Zeichen abgäben. Das Signal ist klar: Leben läuft
im Jetzt ab, und die Zuversicht ist unser. Die Anzeige polt aber
nicht nur ein allgegenwärtiges Gejammere um, sondern macht
eine neue Generation zum Thema: die Alten.
Bislang ist trotz zunehmender Vergreisung der
deutschen Bevölkerung - Frank Schirrmacher hat das den
"Methusalem-Komplex" genannt - Alter ein Makel. Zum alten Eisen
will niemand gehören, es werden mit "am Ende sein",
Hinfälligkeit und Tod verbunden. "Dem Alter ein so negatives
Image anzuhängen, halte ich für lebensgefährlich."
Für Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbandes der deutschen
Werbewirtschaft, werden Ältere nur in der Werbung positiv
dargestellt. Das Altsein stünde in Spots gelegentlich für
Vertrauen und Erfahrung. "Werbung kann aber nicht per Huckepack
Sozialpolitik betreiben. Dazu fehlt ihr die Kompetenz."
Grundsätzlich sieht Nickel den zentralen
Unterschied zur journalistischen Medienwelt - bad news are good
news - darin, dass "wir die Schwierigkeit haben, eine langweilige
Sache positiv an Mann oder Frau zu bringen." In den 90er-Jahren war
das kein Problem, als die Taschen gefüllt waren. Da konnte man
den Menschen mit Selbstverwirklichungsverlockungen zum Kauf
verführen ("100 Prozent Ich", "forever young", "Weil ich es
mir wert bin"). Die Werbebranche boomte, die Ausgaben haben sich
allein zwischen Mitte der 80er-Jahre und 2000 mehr als verdoppelt.
Seitdem ist der Markt auf hohem Niveau leicht
rück-läufig. 2003 wurden knapp 29 Milliarden Euro
für Werbung ausgegeben.
Opulente Bilderwelten schürten in den
90ern das Verlangen nach Naschen, Prassen und Spaß haben. Es
war die Zeit, in der die Branche Zulauf erhielt von
Geisteswissenschaftlern, die lieber fröhlich viel Geld
verdienen wollten als sich in der Universität mit einem
zähen Betrieb oder als Journalist mit schlechten Nachrichten
abzuplagen. Es war die Zeit, in der sich Agenturen wie Jung/von
Matt gründeten (1991). Früher.
Früher gab es Gott und die Kirche, die
ein schützendes Dach bot. Da gab es Werte, die noch was
galten. Da konnte sich der Gläubige an einem Wertekanon ein
Leben lang abarbeiten. Die Generation 68 hat damit Schluss gemacht
und den Menschen in eine selbst zu verantwortende Mündigkeit
gedrängt. Doch nicht nur die Gedanken waren frei, sondern auch
das Kapital. Mit Verzögerung, aber listenreich entwickelte die
Werbebranche besonders in den 90ern Strategien, Produkte mit einem
Mehrwert zu versehen: sie mit Sinn zu füllen, sie an ein
Lebensgefühl zu koppeln.
Die Passagierflugzeuge, die Al-Qaida ins
World Trade Center hat krachen lassen, haben einiges geändert:
Schock-Werbung im Stil von Benetton war nicht mehr opportun, und
auch Spots, welche die Welt als ein globales Zuhause darstellten,
verschwanden vom Markt. Zudem verschärfte sich in Deutschland
die wirtschaftliche Situation, die Unsicherheiten wuchsen
angesichts der Diskussionen, die um Kranken- und Rentenversicherung
geführt wurden. "Durch die Berliner Kakophonie in Sachen
Reform stecken wir ja in der Krise: weil ein großer Teil der
Beschäftigten Angst hat, was morgen kommt", sagt
Verbandssprecher Nickel.
Das Cabrioletgefühl grenzenloser
Freiheit und unendlichen Vergnügens ist der klammen Ahnung
einer transzendentalen Obdachlosigkeit gewichen. Einfache
Botschaften, die wie Hinweisschilder zu Discounterkathedralen
wirken, sind aktuell; Befehle, die einen aus der Lethargie
reißen sollen: "Kaufen. Marsch, marsch!" "Billig will ich."
"Mehr fürs Geld!" Das ist Werbung im Retro-Stil, als erinnerte
sie sich an die Zeiten von früher, als sie noch Reklame
hieß - so nackt wie eine Existenzangst.
"Das sind Beispiele für
Negativ-Hysterie", sagt Karen Heumann, Vorstand bei Jung/von Matt
und strategische Chefplanerin. "Da dreht man nur immer in eine
Billig-billig-und-alles-ist-eh-Schnäppchen-Schraube." Davon
will sie die eigene Rufezeichen-Kampagne "Geiz ist geil!"
ausgenommen wissen. "Das war eine Punktlandung auf eine
gesellschaftliche Befindlichkeit." Aus einer Untugend - im
christlichen Sinn eine Todsünde, im kapitalistischen ein GAU -
wurde eine Tugend. Denn eigentlich war ja jene Tugend gemeint, mit
der die Bundesrepublik groß wurde: Sparen. Ja zum
Geldausgeben, aber bitteschön günstig. Eine
anschließende Kampagne, die "Schluss mit Falschgeiz!"
propagiert, befreite den ersten Spruch von seiner Mehrdeutigkeit.
Er hatte zwar Diskussionen an Stammtischen und in Zeitungen
ausgelöst, aber offenbar zu sehr Eigenleben gewonnen und sich
vom Produkt (ein Elektronikdiscounter) entfernt.
Die Branche spricht dann vom "Vampir-Effekt":
Wenn Werbung nur noch aus Mehrwert, aus Idee besteht, nicht aber
mehr mit dem anzupreisenden Gegenstand verbunden wird. Um das zu
vermeiden, fragen Marktforschungsinstitute Verbraucher, an was sie
sich bei einer bestimmten Werbung erinnern können, bis dahin,
ob sie bereit wären, das Produkt weiter zu empfehlen.
Andererseits schützen sich Unternehmen, indem sie Spots vorab
testen.
Florian Schindler vom Branchenführer
BBDO sieht derartige Erforschung von Konsumentenwünschen
kritisch: "Das unterdrückt alles Neue. Es darf nicht so sein,
dass die Konsumenten über Pretests die Werbung bestimmen."
Überraschung wäre dann nicht mehr möglich. Sie
zählt aber neben Humor zum unverzichtbaren Bestandteil
gelungener Werbung. Schindler zeichnet für eine Kampagne
verantwortlich, die sich "Mitten im Leben" nennt und dem
führenden Bausparer gilt. Im mittlerweile dritten Spot ist ein
Mädchen zu sehen, das bei ihrem Alt-Hippie-Vater in einer
Bauwagenkolonie lebt. Sie erzählt von dem tollen Haus, das die
Eltern einer Freundin besitzen. Der Vater knurrt "Spießer".
Dann erzählt sie von einem Bernd, dem eine Wohnung gehört
mit Balkon, der eine tolle Aussicht biete. "Auch Spießer."
Darauf die Tochter: "Du Papa, wenn ich groß bin, will ich
Spießer werden."
Ein negativ besetztes Wort, seit den 68ern
ein Schimpfwort, wird in Erstrebenswertes umgemünzt.
Einerseits wird sich hier mit der Generation der Fischers und
Trittins auseinandergesetzt, die Machtpositionen besetzen, schon
lange selbst Spießer sind, aber noch immer alles spießig
finden. Der Spot greift andererseits den Trend auf, dass Heim,
Familie und Geborgenheit hoch im Kurs stehen.
Auch wenn das Individuelle nach wie vor eine
Rolle spielt ("Nach eigenen Regeln", Audi; "Is that you?",
Montblanc), Karen Heumann sieht die Ich-AG im Rückzug
begriffen: "Die Hinwendung zum anderen, dem anderen helfen, das
sind Werte und Lebensformen, die wieder im Aufwind sind." Heumann
glaubt aber nicht, dass man mit Werbung die Welt verbessern oder
für Utopien - liebt Euch alle, seid Freunde, lasst den Griffel
fallen - ernsthaft eintreten kann. "Wir sind ja nicht die Bibel
oder die Lutherschen Thesen. Wir wollen ein Produkt verkaufen.
Trotzdem ist Werbung ein gutes Vehikel, eine positive Stimmung zu
verbreiten." Sie will eine konstruktive Weltsicht gefördert
wissen, Menschen ermutigen. "Denen sagen, das Leben ist lebenswert,
guck mal, was es alles gibt."
Sie hat die Kampagne aus dem eigenen Haus zum
1er BMW im Blick, in dem es um Freude geht. Auf der ersten von zwei
Doppelseiten ist nur eine Läuferin zu sehen, die offenbar
einen großen Wettkampf gewonnen hat. "Ist es nicht Freude, die
uns wirklich bewegt?", steht rechts. Ein Hinweis auf das Produkt
fehlt, eine große Geschichte über Frauen in der
Leichtathletik könnte auch so aufgemacht sein. Erst die zweite
Doppelseite enthüllt den Pkw, dessen Hersteller seit 1965 in
seinem Slogan die Freude mit sich führt.
Hier wird also konkrete Tradition mit einem
allgemeinen, gesellschaftlichen Wert verknüpft. Freude ist im
Unterschied zum Spaß eine tiefere Empfindung und eine, die
sich häufig auf andere richtet. Diese Werbung macht zudem
deutlich, wie geschickt sie sich in das Bewusstsein des Betrachters
einzuschleichen versteht. Wenn er sie nicht kennt, wird er trotz
wachem Verstand fast dazu genötigt, nicht nur zu assoziieren,
sondern sich Gedanken zu machen. Diese Werbung ist so konstruktiv,
dass sie über das fast schon klassisch zu nennende Spiel mit
dem Unterbewussten hinaus geht. Um in der Terminologie Freuds zu
sprechen: Das Es wird nicht nur beeinflusst, sondern ein
Über-Ich tritt auf, das meine Gedanken mit einer
Suggestiv-Frage zu leiten sucht: positiv; nicht wie in
früheren Zeiten, als auf Basis einer negativen, christlichen
Entsagungsmoral mit dem schlechten Gewissen geworben, es gar im
Markennamen mitgeführt wurde ("Du darfst", "Danke"). Werbung
wäre so nicht nur darauf beschränkt, das
"Traumbewusstsein eines Kollektivs" (Walter Benjamin) darzustellen,
sondern hätte etwas Totales: Wir haben im Negativen wie im
Positiven keine Chance, uns ihr zu entziehen.
Christoph Oellers ist freier Journalist in
München.
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