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Oliver Heilwagen
Die Verführung des Wählers
Eine Partei ist eine Marke: Wie die Agenturen
Politiker verkaufen
Wenn der Platz, den eine Wahlkampfmannschaft in Beschlag nehmen
darf, etwas über ihre Siegchancen aussagt, dann haben die
Sozialdemokraten die Europawahl lange vor dem Wahltermin verloren
gegeben. Vor der Bundestagswahl 2002 hatte die SPD eigens ein
ganzes Bürogebäude für ihr Kampagnenteam angemietet.
Diesmal musste es sich mit der Galerie im zweiten Stock der
Parteizentrale begnügen. Dort herrschte unter den 50
Mitarbeitern routinierte Betriebsamkeit vor: Termine wurden
abgesprochen, Werbemittel bestellt. Alles lief in ruhigem,
geschäftsmäßigen Ton ab.
So nüchtern wie dieses Großraumbüro war auch die
Wahlkampagne der SPD. Sie setzte auf zwei
Schlüsselwörter: "Friedensmacht" und "Zukunftsgerecht"
prangte in Balkenlettern auf Plakaten in den deutschen
Nationalfarben oder dem Blau-Gelb der Europafahne. Der TV-Werbespot
der Partei war gleichfalls schlicht. Sechs in schwarz-weiß
aufgenommene Zeitgenossen sagten, was sie von Europa erwarten. Dann
erklärte Kanzler Gerhard Schröder seinen Kurs.
Diese spartanisch karge Ästhetik sei "Ausdruck unserer sehr
sachlichen und inhaltlichen Kampagne. Wir wollten deutlich machen,
dass wir deutsche Interessen in Brüssel besser vertreten als
andere", erläutert Achim Post, Leiter der "Europakampa". Da
die SPD im Umfragetief steckt, übte sie sich in
Bescheidenheit. Auf Gags wollte man ebenso verzichten wie darauf,
die Köpfe der SPD-Bewerber bundesweit zu plakatieren, weil
Spitzenkandidat Martin Schulz den Deutschen kaum vertraut ist.
Europawahlen litten generell unter dem Handicap, dass den
meisten Bürgern nicht klar sei, welche Macht das von ihnen
gewählte Parlament habe, gibt der stellvertretende
Bundesgeschäftsführer der Partei zu bedenken: Kaum jemand
wisse, dass über zwei Drittel aller Gesetzesvorhaben nicht in
Berlin, sondern in Brüssel entschieden wird. "Man muss sich
auf wenige Kernbotschaften konzentrieren. Wir reduzierten sie auf
zwei Wörter, die deutsche und europäische Themen
miteinander verbinden", verdeutlicht Post seine Strategie: "Der
Begriff Friedensmacht gehört zur SPD wie der Mercedes-Stern zu
Daimler-Benz."
Ein gewagter Vergleich. Zwar wollen spin doctors, die
Imageberater der Politik, stets positiv klingende Vokabeln
"besetzen", wie ein Unternehmen seine Produktnamen registrieren
lässt. Doch Politik ist keine Handelsware wie jede andere: Die
Themen in der öffentlichen Diskussion ändern sich
ständig. Darin liegt laut Peter Funk, Head of Strategic
Planning bei McCann Erickson Communications House, das Hauptproblem
politischer Werbung: "Eine Partei ist zwar wie eine Marke, denn sie
enthält ein konstantes Element mit Wiedererkennungswert. Doch
sie muss laufend unterschiedliche Themen aufgreifen. Wenn sie die
Anpassung an wechselnde Umstände nicht mit programmatischer
Prinzipientreue ausbalancieren kann, verliert sie ihre
Glaubwürdigkeit."
Seine Werbeagentur, die die Bundes-CDU seit mehreren Jahren
betreut, setzte daher auf Bilder mit Symbolkraft. Auf einem Plakat
war ein rot-grüner Apfel zu sehen, aus dem eine Made kriecht.
Die Botschaft ist eindeutig: In der Bundesregierung steckt der Wurm
drin. Was genau, bleibt aber ungesagt. Ähnlich vage wirkten
Versuche, abstrakte Themen zu veranschaulichen. Etwa eine Sanduhr,
bei der Sand aus der oberen Hälfte namens
"Wirtschaftswachstum" in die untere Hälfte "Arbeitslosigkeit"
fällt, unter der Überschrift "Bei Rot-Grün
läuft was falsch": Ein Argument für diese Behauptung
fehlte. Auch emporgereckte Hände, die einen Basketball halten,
machten die Zeile "Damit Deutschland wieder oben mitspielt" nicht
sinnfälliger: Weder ist dieser Sport hierzulande besonders
populär, noch gilt diese Geste als Zeichen für Erfolg.
Mit dem Motiv habe man an den "Sinn für Wettbewerb"
appellieren wollen und den "Ehrgeiz anstacheln, selbst wieder
besser zu werden", erklärt Funk.
Dabei sei die Kampagne einer für Oppositionsparteien
bewährten Dramaturgie gefolgt: Anfangs würden die
Schwächen der Regierung kritisiert, dann die eigenen
Stärken herausgestellt. In der Endphase rückten Personen
in den Vordergrund, fügt der PR-Experte hinzu: Das Antlitz von
CDU-Chefin Angela Merkel füllte ganze Plakatwände. Dass
Europa dabei außen vor bleibt, stört ihn nicht: "Die
Leute denken noch recht stark in nationalen Kategorien. Die
Argumentation muss nah an dem bleiben, was sie berührt." Daher
appelliere man an patriotische Gefühle: "Menschen sind
affektive Instinkttiere. Sie entschieden sich nicht allein aus
rationalen Gründen für Parteien. Große
Wahlkämpfe sind immer auch emotional geprägt."
Pieter Schnell, der bereits drei Kommunal- und
Landtagswahlkämpfe für die FDP konzipiert hat, sieht
Schattenseiten dieses Politikverständnisses: "Wahlen gewinnt
man bei der Masse, die nur noch fähig ist, Schlagzeilen zu
lesen. Fundierte Positionierung und langsame Entwicklung von
Politik hat heute kaum noch Chancen, weil Verona Feldbusch nun
einmal sexier ist als Willy Brandt." Also rückte seine Agentur
"etwas neues entsteht" mit der Newcomerin Silvana Koch-Mehrin die
attraktive Spitzenkandidatin der Liberalen ins Bild. Ihr
Porträt wurde von Sätzen wie "Wir stärken die
Wirtschaft" oder "Wir wollen Bewegung statt Bürokratie"
eingerahmt.
Das "Kernwort Wir" sollte die "Distanz zu Europa" aufheben, die
Slogans sollten "Aufbruchstimmung und Schwung vermitteln",
begründet Schnell diese Wortwahl. Wichtig sei, dass die
Persönlichkeit des Bewerbers und die ihm in den Mund gelegten
Parolen zueinander passen. Koch-Mehrin bereitete dies keine
Schwierigkeiten: Sie arbeitet für eine Unternehmensberatung.
Man dürfe aber die Personalisierung nicht zu weit treiben,
mahnt Schnell: "Das eigentliche Produkt ist nicht der Politiker,
sondern das Parteiprogramm, das Lebensprobleme des Bürgers
lösen soll. Außerdem macht Werbung den kleinsten Teil der
politischen Kommunikation aus; dabei sollte es bleiben."
Besonders klein war der Reklame-Anteil bei den Grünen. Mit
300.000 Euro gaben sie für ihre Kampagne weniger als drei
Prozent der 12,5 Millionen aus, die beispielsweise die SPD für
ihren Wahlkampf locker macht. Dafür entwarf die Agentur "Zum
goldenen Hirschen", die seit 2002 für die Grünen
arbeitet, eine Kampagne für ganz Europa, weil die
Umweltschützer bisher als einzige eine EU-weite Partei - die
"European Greens" - gegründet haben. Der "Basis-Claim", also
der Aufhänger, sei stets die Aufforderung "Du entscheidest!",
erläutert Kreativplaner Cornelis Stettner das Konzept. Sie
erscheint auf neutralen Bildern von "großflächiger
Schönheit" wie Sonnenblumen, Tomaten oder Federn.
"Natürlich können die nationalen Parteien Motive
ergänzen und variieren. In Österreich lautet der Spruch
beispielsweise: "Sie bestimmen!'", sagt Stettner. In der zweiten
Wahlkampfphase folgten Wortspiele wie "It?s yourope" oder witzige
Collagen; etwa Fotos von Politikern, deren Bauch als
Röntgenaufnahme gezeigt wird, unter der Parole "Für mehr
Transparenz". "Anders als der Supertanker CDU können wir mehr
reizen, weil unsere Zielgruppe kleiner und anders ist",
begründet der Kreativplaner diesen Ansatz. Er betont den
Unterschied zu klassischer Produktwerbung: "Bei Waren ist Reklame
die einzige Stimme, die für sie spricht. Bei Politik stellt
sie nur einen Mitspieler unter mehreren dar; das Ergebnis ist viel
weniger steuerbar." Folglich solle die Kampagne weniger Politik
erklären als vielmehr Wähler mobilisieren.
Nichtsdestoweniger richte sich politische Kommunikation
zusehends "nach den Regeln des Mediensys-tems" aus, beobachtet
Günter Bentele, Professor für Öffentlichkeitsarbeit
an der Universität Leipzig: "Die Schere zwischen zunehmend
komplexeren Problemen und einer Verflachung der Botschaften
öffnet sich immer weiter." Stundenlange Wahlkampfreden und
TV-Formate, in denen ausführlich diskutiert werde,
gehörten der Vergangenheit an.
Nur eine Minderheit nutze die Möglichkeit, sich im Internet
oder bei öffentlichen Debatten umfassend zu informieren. Doch
gebe es den "Widerstand der Wirklichkeit" gegen allzu glatte
Inszenierungen, hebt Bentele hervor: Die Bevölkerung
schätze drängende Probleme ebenso realistisch ein wie die
"Authentizität und Glaubwürdigkeit" der Politiker. Er
rät ihnen deshalb, mehr "Profil und Kantigkeit zu zeigen" und
vor allem auf Inhalte und nicht ausschließlich auf Image zu
bauen. Insofern war die textlastige SPD-Kampagne vielleicht doch
zeitgemäß.
Oliver Heilwagen ist freier Journalist.
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