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Annete Rollmann
Das große Versprechen
Der neue Realismus: Wie die New Economy Graubrot
schätzen lernte
Klick, und die Welt gehört mir. Das Leben
ist jetzt, und das Geld ist hier. Du musst es nur mitnehmen. Als
die New Economy ins Netz und an die Börse ging, verließen
die Jungen die Old Economy. Sie wollten die Zukunft machen. Es ging
darum schnell zu wachsen, an der Börse notiert zu werden,
"auszucashen" - das Geld mitzunehmen, das die steigenden
Aktienkurse einbrachte. Die politische Linke hörte gerade auf
hip zu sein, Flipflops waren das neue Gefühl, mit dem man
durchs Leben lief: leicht, unbeschwert und gut drauf.
Die Leute kamen zu uns, haben ihre
Besprechungen gemacht, getrunken und dann sind sie joggen gegangen.
Ohne zu schlafen sind sie zurück ins Büro. Das war
normal", sagt Peri, die frühere Besitzerin des Jubinal. Das
Jubinal war lange der angesagte Treffpunkt in Berlin-Mitte für
die Mitte-Gesellschaft. Die gibt es heute nicht mehr.
Der Börsencrash hat nicht nur Geld
vernichtet, sondern auch einem Lebensgefühl ein Ende gesetzt,
das sich viele in einer neuen Realität nicht mehr leisten
konnten. Vor der Frage, "wie bezahle ich meine nächste
Miete?", mussten viele kapitulieren, denn es war eine Frage, die
man nicht mit einer Stimmung beantworten konnte.
Dennoch hat die New Economy im
Wirtschaftsleben so viel verändert, wie vorher
gesellschaftspolitisch nur die 68er, in der Wirtschaft nur die
Nachkriegsgeneration. "Das allerdings wird man erst in ein paar
Jahren erkennen", sagt Jens Schlüter (Name geändert)
Schlüter ist einer, der die New Economy so mitgemacht hat, wie
der Verlauf der Aktienkurse war: Ein Leben in Ups and Downs. Heute
steht er da, wo er vor 1999 angefangen hat. Er ist
Unternehmensberater, verdient Geld, arbeitet hart und rechnet mit
Zahlen, nicht mit Versprechen. Er spricht von Restrukturierung,
Sanierung, Verschlankung. Er geht nicht mehr Austern
schlürfen, sondern kauft Graubrot im Supermarkt, dazu
abgepackte Wurst. Das Leben hat sich verändert. Seine
Küche war früher ein unbenutztes Küchenstudio.
Schön und teuer. "Ich habe dort nicht mal Kaffee gekocht.
Für alles hatte ich externe Dienstleister", sagt Schlüter
in seiner Beratersprache. Das war normal. Aber was ist schon
normal? Graubrot ist auch irgendwie normal. Dafür hat der
39-Jährige jetzt wieder eine Freundin. Die Suche nach
Inniglichkeit hat die Suche nach Abenteuer verdrängt.
Allenfalls Affären waren damals angesagt. Denn
schließlich ist das Leben eine Drehscheibe, und wer schneller
dreht, lebt besser, dachte er damals.
Schlüter gründete Anfang 2000 mit
zwei anderen eine AG. Die drei erwachsenen Männer in
Turnschuhen versuchten Kapitalgeber für Internetfirmen im
Silicon Valley zu finden. Sie lebten im "Jet", hatten ein
"Office-Space" neben einer Garage im Tal der Zukunft. Die breite
Straße davor war gesäumt von XXL-Plakatwänden.
Darauf Werbung für Start-up-Unternehmen. Eins davon war ihres.
Sie waren "on the loop", immer in Bewegung. Ein oder zwei
Nächte nach den Meetings im Silicon Valley standen die Jungs
wieder auf Berliner Partys, solchen, die auf Dachterrassen
stattfanden. Da wurden die Ideen geboren. Am Morgen flogen sie nach
München. Da wurde das Geld verdient. Und dann begann der Kreis
von Neuem.
Irgendwann zwischendurch war ihre AG, die
eben noch eine Minibude gewesen war, mehrere Millionen Mark wert,
zumindest glaubten das die Venture-Capital-Geber, und die Hoffnung,
die glaubte das auch. Hoffnung war Realität. Zumindest hatten
sie alle damit verwechselt. "Alle haben geglaubt, du musst nur noch
zwei, drei Jahre arbeiten und dann bist du über den
Break-Even, und ab dann wird Geld gemacht", sagt Schlüter. Der
Break-Even kam dann anders, als Absturz.
Als das Geld weg war, verging auch die
Stimmung. Die Haltung blieb. "Ich habe das bewundert", sagt Peri.
Auch sie ist eine Gründerin. "Keiner hat gejammert. Die Leute
haben anschreiben lassen und später jeden Cent
zurückgezahlt." Das Vermögen war anders als früher
nicht über 30, 40 Jahre, über mehrere Generationen hinweg
hart erarbeitet, es war schönes Geld, in einem schnellen Leben
verdient. In einem Leben, das vor allem eins nicht sein sollte:
spießig. Dieses Leben hat gerade mal zwei, bei manchen drei
Jahre gedauert.
Nur ganz wenige haben aus ihren Kursen der
Online-Accounts reale Werte gemacht, haben das Geld heraus gezogen,
Immobilien gekauft, eine Riesterrente abgeschlossen oder einen
Sparplan bedient. Das galt als langweilig. Das machten Leute, die
Schlipse trugen, also welche, die wirklich nichts kapiert hatten,
glaubten sie.
Sie wagten und sie verloren. Als die, die
vollen Einsatz gefahren waren, nicht mehr zahlen konnten, musste
eine Gründergeneration anschreiben lassen. Diese Generation
hatte nicht nur an sich geglaubt, sondern auch an den
wirtschaftlichen Erfolg. Die Jahrzehnte davor waren vor allem von
Vorsicht, von Zögerlichkeit, geprägt gewesen. Man konnte
es sich leisten, weil die Sozialsysteme sich einen leisteten. Man
machte weiter, was Eltern einem vorgelebt hatten. "Morgens in die
Arbeit, bloß nicht auffallen, schön sorgfältig sein,
kein Risiko eingehen, Hierarchien achten. Kurz gesagt, am besten,
weil am sichersten, Beamter werden", sagt Peri, die bis zur Geburt
ihres Kindes jede Nacht bis fünf Uhr ihre Gäste bedient
hat.
Mit ihrem Glauben an den wirtschaftlichen
Erfolg haben die, die nicht von Problemen, sondern nur von Chancen
redeten, viel gemein mit der Nachkriegsgeneration. Die Männer
und Frauen der Stunde Null blockierten sich selbst nicht durch
unternehmerisches Sicherheitsdenken. Wer damals pfiffig war, hatte
Tauschware, konnte sich irgendwann ein Auto leisten und viel
später sogar ein kleines Häuschen. Die deutsche Variante
des amerikanischen Traums. Die Nachkriegsgeneration hat aus Ruinen
Städte gebaut. Die Generation der New Economy hat aus
Aktienkursen Schulden gemacht. "Aber sie hat nach Deutschland
unternehmerischen Willen zurück gebracht", sagt René
Griemens, Vorstand von Dooyoo. Darin ähneln sich die beiden
Generationen.
Dooyoo ist eines der wenigen Unternehmen der
Dotcom-Ära, die überlebt haben. Dooyoo bietet ein Portal
an, auf dem Verbraucher zu verschiedenen Produkten ihre Meinung
schreiben und über Partner-Shops diese auch gleich kaufen
können. Griemens ist keiner von den stets gut gelaunten
"Smileys". Er wirkt ernst. "Zurzeit", findet der Ökonom,
"werden kaum noch Risiken eingegangen, damals wurde alles zu
idealistisch gesehen". Griemens kam zu Dooyoo, kurz bevor die Krise
kam. Gerade erst 36 Jahre alt, ist er dennoch ein Ökonom alter
Schule. Er hat "restrukturiert", auf Deutsch heißt das
entlassen.
Im Frühjahr 2000 wuchs der Laden, der
sich im trendigen Berliner Bezirk Friedrichshain in einer
Fabriketage eingerichtet hatte, monatlich, wöchentlich,
täglich. Gerade erst ein dreiviertel Jahr alt, arbeiteten bei
Dooyoo im Frühsommer 2000 bereits 185 Leute. Monatlich wurden
neue Niederlassungen aufgemacht, erst Paris, Madrid und Rom, dann
kam London hinzu. Die Mitarbeiter, die fast alle neu in die Stadt
zogen, lebten mit ihrem Start-up. Alle saßen auf den zwei
großen Etagen, verbunden durch eine Wendeltreppe. Mittendrin
die Gründer. Chefs ohne Hierarchiedenken mit etwas mehr
Verdienst. Ansonsten waren alle gleich. Morgens um neun kam man in
T-Shirt und, wenn es heiß war, in Bermuda-Shorts ins
Büro. Es wurden Brote geschmiert, dann ein bisschen
gearbeitet. Mittags ging die New-Economy-Avantgarde in die
Szenekneipen der Simon-Dach-Straße. "Danach haben einige
Mitarbeiter lange Kicker gespielt", erinnert sich Griemens. Der
Arbeitstag ging manchmal bis in die Nacht, aber immer bis 22 Uhr.
Vorher verließ niemand die Firma. Samstags kamen alle ins
Büro. Sowieso. Und auch der Sonntag war Arbeitstag. "Es gab
dann Überlegungen vom Vorstand, den Sonntag als Arbeitstag zu
verbieten. Aber es gab tatsächlich Mitarbeiter, die das nicht
wollten", erinnert sich Griemens, der heute längst wieder
einen Anzug trägt.
Die Devise aller Start-Ups war, schnell zu
"skalieren", also zu wachsen, um die Plätze am Markt zu
besetzen, um den Börsengang hinlegen zu können. Doo-yoo
hat überlebt, weil es den Börsengang nicht schaffte. Der
war für Juli 2000 geplant und von den Banken in letzter
Sekunde abgeblasen worden. 1999 war noch alles vollkommen locker
gewesen. Ohne Probleme bekam Dooyoo in der ersten
Finanzierungsrunde 20 Millionen Mark: "Freitagabends haben wir vier
Venture-Capitals angerufen und gesagt, wir kommen Montag nach
München: Wollt ihr uns treffen und anlegen? Dann haben wir die
Deadline gesetzt: Ihr habt bis Mittwochabend Zeit." So war die
Stimmung. In der Finanzierungsrunde ein Jahr später hat
Griemens monatelang am Telefon gehangen, um Investoren zu finden.
"Plötzlich war das ein hartes Verkaufsgeschäft geworden."
Den fünf Gründern, die Griemens noch von der Kölner
Uni kannte, ging es wie den zehn kleinen Negerlein. Einer nach dem
anderen musste aus der Firma gehen. Ihr Hauptjob Marketing hatte
sich erledigt. Die Zahlen waren zu schlecht, die Gründer auf
die Dauer dann doch zu teuer. "Wir sind immer noch befreundet, und
darüber bin ich froh", sagt Griemens. Es klingt
ehrlich.
Irgendwann ist Dooyoo nach Kreuzberg
umgezogen, wieder in eine Fabriketage, dieses Mal mit vielen
Räumen, die Türen haben. Der Kicker steht unbenutzt in
der Ecke. "Wir kommen um neun Uhr und gehen in der Regel
spätestens um 19 Uhr. Wenn danach noch jemand da ist, frage
ich öfter mal warum. Es ist nicht gut, wenn man zu viel
arbeitet", sagt Griemens. "Die Leistung fällt dann
ab."
Die Mitarbeiter sind jetzt konzentriert.
Griemens nennt es professionell. Von den 185 sind 22 übrig
geblieben. Die werden allerdings nicht aus Venture Capital gezahlt
wie 1999 und 2000, sondern aus dem Cashflow, das heißt aus
dem, was die Firma wirklich erwirtschaftet.
Jetzt, wo die Umsätze entweder ganz
fehlen und ganz nüchtern durch Arbeit am Markt gemacht werden,
gleichen die einstigen Start-up-Unternehmen anderen traditionellen
Firmen. Manche haben einen Betriebsrat, bei Dooyoo hieß das
eine ganze Zeit lang Mitarbeitervertretung. Und auch die Züge
der "sozialistischen Marktwirtschaft" sind einem "neuen Realismus"
gewichen, wie Griemens es nennt. Natürlich wird nach Leistung
bezahlt. Natürlich bekommt der mehr, der mehr verantwortet.
Und noch etwas ist anders geworden. Die ersten Mitarbeiter von
Dooyoo fahren ganz normale Autos und sind Vater geworden. Das
wäre noch vor ein paar Jahren unvorstellbar gewesen. Denn
normal, genau das, wollte nun wirklich niemand sein.
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