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Ralf Hanselle
Gott ist eine Marke
Die Werbung liebt den Sündenfall
Gott ist ein Label. Zumindest, wenn man den Strategien der
Werbeagenturen glauben darf. Dort, wo man seit Jahren aus den
großen religiösen Erzählungen die
unterschiedlichsten corporate designs zusammenbastelt, scheint
klar: der letzte Schrei liegt näher an den letzten Dingen, als
gemeinhin geglaubt. Während die Kirchen in der pluralistischen
Gesellschaft vermehrt an "Marktanteilen" verlieren, schlagen sich
neue Sinnanbieter mit ausgeklügelten Kampagnen bewusst in die
frei werdende Lücke.
Dabei geht es nicht mehr nur darum, dass PR-Agenturen
hemmungslos aus dem klassischen Fundus heiliger Texte
plündern. Längst ist vom Sündenfall bis zu
Michelangelos Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle jeder Code
durchgespielt worden, der aus dem religiösen Bewusstsein der
Moderne herausgepurzelt ist.
Als in den 70er-Jahren erste Marken wie "Jesus Jeans" anfingen,
die Religion für die eigene Sache zweit zu verwerten und sich
mit Slogans wie: "Du sollst keine andere Jeans neben mir haben",
ketzerisch in die Tabuzone warfen, sorgten derartige Samples und
Zitate noch für kulturelles Unwohlsein. Heute, wo jede
Volksbankfiliale bereits den "Weg frei gemacht" hat, um so die
Gläubiger trockenen Fußes durchs Schuldenmeer zu
schicken, erzeugen solche Sinngebilde beim Konsumenten allenfalls
noch müdes Gähnen.
Seitdem das Produkt mehr und mehr zum Markenfetisch aufgepuscht
worden ist und neben Funktion auch noch kurzweilige
Sinnbefriedigung zu liefern hat, wird mit jeder Werbepause Kredit
und Credo ausgeklügelter auf Sendung geschickt. Die
Bild-Zeitung etwa machte erst jüngst den Dalai Lama zu ihrem
hochkarätigen Werbeträger. Während das geistige
Oberhaupt der Tibeter sein Buch "Ratschläge des Herzens"
exklusiv in "Bild" vorabdrucken ließ, erkor Deutschlands
größte Boulevardzeitung in einer Plakatkampagne seine
schreibende Heiligkeit zu ihrem Hausautoren. Nutzen hatten am Ende
beide davon. Dem Dalai Lama, im Konkurrenzkampf der Kulturen
längst selbst zu Chiffre und Label geworden, brachte es die
nötige Publicity und der Bild-Zeitung jenes spirituelle
Feeling, das aus konventionellem Meinungsjournalismus einen Stein
der Weisen machen kann.
Der amerikanische Medienkritiker Neil Postman, zu Lebzeiten
bereits für seinen Kulturpessimismus bekannt, erkannte in
solchen Strategien schon früh einen Ausverkauf von Werten und
beklagte "die Entleerung der Symbole in der entmündigten
Gesellschaft". Doch handelt es sich bei diesem Boom des
Religiösen, bei den PR-Sperenzien mit Engeln, Teufeln und
himmlischen Boten tatsächlich nur um die sinnentleerte
Zwischennutzung eines tradierten Kommunikationssystems oder bricht
sich hier die religiöse Natur unserer postmodernen Daseins
Bahn?
Hatte der Soziologe Max Weber die Moderne noch mit den Klischees
von "Entzauberung", "Ernüchterung" und "Rationalisierung"
beschrieben, so hielt der Germanist Jochen Hörisch vor einigen
Jahren in der Wochenzeitung "Die Zeit" dagegen: "Verzauberter,
fetischistischer, rätselhafter und exzentrischer", so die
Erkenntnis des Professors nach einem langen Fernseh-abend,
"dürfte keine Kulturepoche gewesen sein als die der
späten Moderne".
In der Werbung als komplexem Zeichengefüge zur Erzeugung
von Images, Emotionen und Lebensgefühlen zeitigen die
Sakramente einen konsumistischen Kult. Heilszeichen, die vom
geglückten Leben durch Einkauf und Verbrauch zeugen. Hier
kommen nicht nur die bedeutenden Markenmythen zur Darstellung, nach
denen Reichtum ein sichtbares Zeichen der Auserwählung ist,
Armut aber der Gottesferne. Hier wird auch der Weg zur
Erlösung im Lifestyle gewiesen.
In einem Fragment gebliebenen Werk aus dem Jahr 1921 hat der
Philosoph Walter Benjamin als erster die These vertreten, dass im
modernen Kapitalismus eine Religion zu erblicken sei: "Der
Kapitalismus", so Benjamin, "dient essentiell der Befriedigung
derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten
Religionen Antwort gaben." Das neue Bekenntnis mag sich zwar auf
dem Christentum parasitär entwickelt haben. Von nun an aber
sei die Geschichte des Abendlandes wesentlich die "Geschichte
seines Parasiten, des Kapitalismus". So weit vorgewagt hatte sich
bis dato noch niemand. Und als wäre dem Philosophen sein
eigener Mut nicht ganz geheuer, erklärte er seine Thesen bald
zu einer "Universalpolemik": "Wir können das Netz, in dem wir
stehen, nicht zuziehen. Später wird das jedoch überblickt
werden."
Nach dem Ende der Ideologien und dem Fundamentalismus der
neoliberalen Märkte scheint Benjamins Überlegung wieder
aktueller denn je. Dort, wo der "invisible Hand" der Marktlogik
längst die gleiche Macht zugesprochen wird wie dem Wirken der
allmächtigen Hand eines unsichtbaren Gottes und wo
gesellschaftlicher Konsum zum letzten verbindlicher Wert geworden
ist, hat sich der Kapitalismus längst zu einer Sache von
Glauben und Erlösung verstiegen.
Ralf Hanselle ist freier Journalist in Berlin.
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