|
|
"Oft liege ich nachts wach"
Dagmar A., Akademikerin, alleinstehend und mit
einem Kind, zu den Sorgen und Nöten, mit wenig Geld auskommen
zu müssen
"Geld hat man, darüber spricht man nicht",
lautet eine gesellschaftliche Regel. Letztlich bestimmt aber auch
das Sein das Bewusstsein, wie wir seit Karl Marx wissen - und das
hängt immer eng mit dem materiellen Wohlstand oder der Armut
zusammen, in der wir leben. In unserer Gesellschaft werden Menschen
stark daran gemessen, wie viel Geld sie verdienen. Wir haben mit
einer Frau über Geld und Werte gesprochen, die nicht am
unteren Ende der Gesellschaft steht. Aber Armut ist immer
relativ.
Das Parlament
Was bedeutet Ihnen Geld?
Dagmar A. Geld ist das, womit ich mir mein
Leben einrichten kann, so wie ich es will. Geld ist Freiheit und
Notwendigkeit zugleich. Geld bedeutet, vergessen zu können.
Dieses Erlebnis habe ich nicht oft. Ich erlebe Geld als Mangel,
weil ich zu wenig habe.
Das Parlament
Sie haben den Doktor für
Literaturwissenschaften in der Tasche. Ein Job ist nicht in Sicht.
Wie fühlen Sie sich damit?
Dagmar A. Nicht gut. Ich kann nicht machen,
was ich möchte. Statt dessen stecke ich Kraft und Zeit in
irgendwelche Jobs, die mir nichts bedeuten - eben um Geld
zusammenzubringen. Außerdem fehlt mir die Anerkennung. Ich
fühle mich als jemand anderes als die, die ich momentan
beruflich und gesellschaftlich darstelle. Das nagt an
mir.
Das Parlament
Fehlt Ihnen nur die Anerkennung aus dem
akademischen Milieu oder auch sonst im Leben?
Dagmar A. Nein, von Freunden fehlt mir die
Anerkennung nicht. Mir fehlt aber die gesellschaftliche Anerkennung
und das drückt sich in Geld, im Job, in Erfolg haben oder
nicht haben aus. Wenn man mit dem, was man wichtig findet, keinen
Erfolg hat, zweifelt man an sich. Man fragt sich: Ist das etwas
wert, was ich mache? Kann ich irgendetwas? Bin ich etwas wert?
Meine Freunde scheint das aber alles nicht zu kümmern. Die
bemessen mich nicht danach, ob ich einen wichtigen Job habe oder
nicht.
Das Parlament
Wie viel verdienen Sie?
Dagmar A. Zwölf Euro pro Stunde. Nach
der Miete kann ich im Monat 600 Euro für meinen Sohn und mich
für Essen, Kleidung und Versicherungen ausgeben.
Das Parlament
Sind Sie arm?
Dagmar A. Nein. Aber alle anderen, mit denen
ich zu tun habe, haben mehr Geld. Armut in unserer Gesellschaft
muss man immer im Verhältnis zu anderen bemessen.
Das Parlament
Haben Sie öfters Angst, vielleicht
Panik, dass das Geld nicht reicht?
Dagmar A. Ja, ganz oft. Die Angst besetzt
mich dann regelrecht. Wenn ich zum Beispiel am Geldautomaten stehe,
und hoffe, dass noch etwas heraus kommt. Wenn dann Leute hinter mir
in der Schlange stehen - das ist schrecklich. Oft liege ich deshalb
nachts wach.
Das Parlament
Was machen Sie, wenn der Geldautomat nicht
mehr mitmacht?
Dagmar A. Dann muss ich halt mit fünf
Euro übers Wochenende kommen. Dann überlege ich mir, ob
ich Geld für eine Briefmarke ausgeben kann, um einen Brief
einzuwerfen. Außerdem fange ich dann an, nur noch einen halben
Liter Milch einzukaufen, da ich ja irgendwie über die
nächsten Tage kommen und alles genau einteilen muss. Solche
Tage beengen mich. Manchmal mache ich mir dann aber auch einen
Sport aus der Situation und finde es schön, mit der
Thermoskanne Kaffee im Park zu sitzen, statt mit einer Tasse
Milchcafé im schicken Café.
Das Parlament
Bemisst man in dieser Gesellschaft Menschen
daran, wie erfolgreich Sie sind? Spüren sie das?
Dagmar A. Ja, natürlich, und zwar sehr
stark. Es gibt Orte und Gelegenheiten, wo man in einer bestimmten
Weise gekleidet sein muss, und es fällt auf, wenn man nicht so
schick angezogen ist. Manchmal ficht mich das an. Wenn ich eine
elegante Frau im Café sehe, die dort sitzt und dauernd auf
ihrem Handy angerufen wird, strahlt das Wichtigkeit aus. Dann
beneide ich sie und denke, ich möchte auch so wichtig sein und
ich kann doch auch so viel. Das ist eine Form von Geltung, die sehr
äußerlich ist. Aber trotzdem möchten wir alle gerne
so gesehen werden. Dabei kommt mir Marx in den Sinn, der vom
Fetisch der Ware spricht. Alles bekommt über den Preis eine
ganz andere Bedeutung als über die Herstellung und Benutzung.
Wenn der Tauschwert Preis sehr hoch steigt, müssen die Inhalte
gar nicht toll sein, trotzdem ist der Wert dann hoch. Der Preis
übt ein Image, eine Faszination aus, der man sich schwer
entziehen kann. Jeder will im wahren Sinn etwas "wert"
sein.
Das Parlament
Aber man vermutet doch auch, dass derjenige
der auf dem Handy angerufen wird, vielleicht wichtige
Entscheidungen trifft, dass er Einfluss hat, Macht hat . .
.
Dagmar A. Ja genau. Viele Leute finden diese
Person wichtig. Aber das Schlimme ist, dass diese Leute durch ihren
Einfluss, durch ihre Kaufkraft auch entscheiden, wie unsere
Gesellschaft geprägt wird. Was wir wertvoll finden sollen und
was nicht. Die bestimmen, was "in" ist. Dieser Schein-Wert
produziert sich auf diese Weise so weiter. Es entsteht allein
dadurch eine Bedeutung, dass man die Zahl der Kontakte
multipliziert. Es kommt nicht mehr darauf an, was in einem Buch
drin steht, sondern wie häufig es sich verkauft. Viele setzen
sich nicht mehr intensiv mit einem Buch auseinander, das sie weiter
bringt, sondern wichtig ist, dass sie viele Buchtitel nennen
können oder ungefähr wissen, was drin steht.
Das Parlament
Gibt es Erfolg ohne Geld?
Dagmar A. Gesellschaftlichen Erfolg nicht.
Der ist immer an Geld gekoppelt. Es wird alles in Geldwährung
gemessen. Ohne Geld gibt es kleine Momente des Glücks. Die
sehen für jeden Menschen anders aus.
Das Parlament
Hat sich durch Ihre Situation Ihr
Selbstvertrauen verändert?
Dagmar A. Oh ja. Leider. Das ist bisweilen
extrem schwankend. Allein dadurch, dass es nicht so etwas gibt wie
eine feste Arbeitsstelle, an der ich jeden Tag erscheine. Es ist
schwer, wenn man kaum Bestätigung bekommt. Man droht seinen
eigenen Leistungen, seinen eigenen Fähigkeiten gegenüber
unrealistisch zu werden. Das ist anstrengend.
Das Interview führte Annette
Rollmann.
Zurück zur Übersicht
|