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Jeannette Goddar
Limonade von tropischen Inseln in der
Schatzkiste
Teilnahme Sammelbildchen: Wie der tägliche
Warenwahnsinn bei Kindern ankommt
Die Eltern von Jonas haben alles versucht. Kaum konnte der
Kleine seinen Blick fokussieren, wurde der Fernseher in den Keller
verbannt und auch von den Eltern nur noch für eine Stippvisite
bei der Tagesschau in Betrieb genommen. Als Jonas Treppensteigen
gelernt hatte, wurde die Tür zum Fernsehzimmer verschlossen.
Geöffnet wird sie lediglich sonntags um 11.30 Uhr, wenn die
Sendung mit der Maus anfängt sowie für eine weitere
Kindersendung pro Woche, die er sich - weitgehend - selbst
aussuchen darf. Völlig tabu ist für Jonas Fernsehen
während der Werbepausen. Jonas weiß nicht, dass
colahaltige Getränke- und Schokoladenhersteller seit Monaten
versuchen, über den Umweg der nahenden
Fußball-Europameisterschaft (Teilnahme! Sammelbildchen!) junge
Kunden zu werben. Er weiß nicht, welche Limonade in der
Schatzkiste auf Kinder wartet, wenn sie auf einer tropischen Insel
stranden. Er kennt den allerneuesten Hula-Hoop-Reifen mit
Gelfüllung nicht. Und er soll auch nichts davon erfahren. Ihr
Sohn, das haben seine Eltern fest vereinbart, soll nicht von
morgens bis abends von Werbestrategen manipuliert werden.
Nun steht der achte Geburtstag von Jonas an, und es vergeht kein
Abendessen, an dem er nicht auf seine Wünsche zu sprechen
kommt. Was er alles noch nicht hat! Und was seine Freunde, der Pit,
der Lukas und der Nick alles hätten!! Dabei sei doch er,
Jonas, der Klassensprecher!!! Dummerweise gehört zu den
Dingen, von denen Jonas sagt, dass er sie nicht hat, kein einziges,
von dem seine Eltern glauben, dass ein Siebenjähriger sie
braucht. Ganz oben auf der Wunschliste: das Handy, dicht gefolgt
von der Playstation, dicht gefolgt vom, wen wundert's - eigenen
Fernseher. Und auch wenn seine Eltern fest vereinbart haben,
standhaft zu bleiben, haben sie spätestens seit der
Einschulung gelernt, dass ihr Sohn der Welt des Konsums ebenso
wenig fern bleibt wie alle anderen. Wenn Mami oder Papi mit ihrem
Sohn im Supermarkt stehen, will dieser nicht irgendetwas
Süßes, sondern die längste Praline der Welt, die
Extraportion Milch oder die zarteste Versuchung.
Das ist auch kein Wunder. Jonas ist einer der letzten in diesem
Lande, deren Kaufkraft ständig steigt. Persönlich, weil
er von Jahr zu Jahr mehr Taschengeld bekommt, aber vor allem als
Teil einer Zielgruppe. Überall wird gespart, nur bei den Kids
nicht: Allein zwischen 2001 und 2003 - angesichts von fast
fünf Millionen Arbeitslosen mag man es kaum glauben - stieg
die Kaufkraft der elf Millionen Sechs- bis 19-Jährigen in
diesem Land um 24,8 Prozent. Sage und schreibe 20,43 Milliarden
Euro standen ihnen 2003 zur Verfügung - das sind 9,81
Milliarden im Monat. Errechnet haben das die Verlage Egmont Ehapa,
Heinrich Bauer und Axel Springer, die jährlich in ihrer
"KidsVerbraucherAnalyse" darlegen, wie viel Geld "Kids" und "Teens"
haben, wofür sie es ausgeben - und wofür sich in den
verlagseigenen Publikationen zu werben lohnt.
Angesichts der massiven Einkommenszuwächse kamen die
Präsentatoren letztes Jahr in Hamburg regelrecht ins
Schwärmen: Ein "neuer Spitzenwert" sei erreicht, jubelte
Patricia Dähn, Marktforscherin im Axel Springer Verlag. Und
zwar einer, der nicht ohne Folgen bleibt. Zwei Drittel der Kinder
und Jugendlichen gehen nämlich in ihrer Freizeit gerne
shoppen. "Ein Hobby", schloss Dähn, "das sie sich leisten
können!"
Nun muss man sie nur noch als treue Kunden gewinnen! Das
wiederum, wissen die Strategen, ist gar nicht so schwer.
Markenbewusstsein, hat die Medienanalyse "Youth Browser 2000",
herausgefunden entwickelt sich spätestens mit zehn, bei
Zwölf- und 13-Jährigen ist es deutlich ausgeprägt;
den "Peak" erreicht es zwischen 12 und 15. Das ist dann die
Lebensphase, in der bis zu 70 Prozent der Kids prompt "Magnum"
sagen, wenn sie nach Eis gefraqt werden. Oder "Fanta", wenn es
Limonade heißt; "Nutella" zu Nusscreme.
Für Eltern wie die von Jonas, die darüber erschrecken,
weil sie ihre Kinder nicht als Markenmonster sehen wollen, haben
die Strategen übrigens beruhigende Worte parat. Marken,
behauptet die "KidsVerbraucherAnalyse", hätten nachgerade eine
wichtige Funktion für Jugendliche: Sie "reduzieren die
zunehmende Komplexität der Realität" und kommen damit dem
"Harmoniebedürfnis der Youngster" entgegen.
Außerdem seien Kids gar keine verführbaren Opfer,
sondern "erfahrene Marktkenner" und damit "Innovatoren ihrer
Familie". So nennt es Olaf Hansen, Anzeigenleiter des Egmont Ehapa
Verlags. Eltern entpuppten sich beim Einkauf mit ihren
Sprösslingen nämlich nicht nur als "willige Vollstrecker"
(O-Ton Hansen), sondern nutzten ihre Kinder sogar als
"Informationsquellen".
Diese Quellen aber müssen von irgendwo gespeist werden. Das
werden sie, Verlagsengagement von Ehapa, Springer und Bauer hin
oder her, vor allem durch das Fernsehen. Offizielle Zahlen, wie
viel Geld in Werbekampagnen für Kinder und Jugendliche
gesteckt wird, veröffentlicht aus nahe liegenden Gründen
niemand. In Werbemagazinen aber wird kolportiert, dass die
Industrie eine Milliarde Mark jährlich in Werbung investiert,
die direkt an die Generation von Teletubbie- bis
Top-of-the-Pops-Guckern gerichtet ist.
Werbung in der kindlichen Sozialisation
Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW)
schätzt, dass allein in ausgewiesenen deutschen
Kinderprogrammen für 200 Millionen Mark jährlich geworben
wird. Der Zentralverband findet dies allerdings keineswegs zu
beanstanden. Auch er sagt: Werbung ist eine Informationsquelle, die
eine "unverzichtbare und legitime Rolle in der kindlichen
Sozialisation spielt".
Etwas anders sieht das der Bundesverband Verbraucherzentrale,
der seit 2003 mit seiner "Kinderkampagne" versucht, die gezielte
Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen
zurückzudrängen. Kinder unter acht Jahren, sagt die
Bundesvorsitzende Edda Müller, könnten noch nicht einmal
zwischen Werbung und Realität unterscheiden. Jugendliche
wiederum seien vor allem wegen ihrer Tendenz zur
"Überidentifikation" mit der Peer-Group besonders
anfällig für Werbebotschaften. Müller: "Wenn der
Freund oder die halbe Klasse diese oder jene Marke trägt, muss
man die auch haben."
Das erfahren auch Jonas? Eltern zurzeit und wohl auch
fürderhin leidvoll. Erste Kompromisse wurden übrigens
längst gemacht. "Scout" und "Puma", "Nutella" und
"Capri-Sonne" sind auch aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken.
Ohnehin sollten die Eltern ihre Kräfte schonen. Denn auch
Tochter Thekla kommt mit Riesenschritten ins konsumfähige
Alter. Letzte Woche hat sie sich zum ersten Mal eine Barbie
ausgeliehen. Und im Herbst steht ihr vierter Geburtstag an.
Jeannette Goddar ist freie Journalistin.
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