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Sandra Kaufmann
Knallharter Wettbewerb
Das Designer-Outfit fürs Baby
Der Terror fängt schon an, bevor das Kind überhaupt
auf der Welt ist. Mit dem ersten Ultraschall-Foto werden Frauen ein
Zentner Ratgeber und Bücher in die Hand gedrückt, die
nicht nur über Schwangerschaft und Geburt aufklären,
sondern auch darüber, was der Nachwuchs unter allen
Umständen in seinen ersten Lebensmonaten braucht.
Spätestens, wenn der Nestbautrieb der Schwangeren befriedigt
werden muss, haben die Ratgeber-Autoren und Babyausstatter
gewonnen. Atemlos stürmen werdende Mütter
Möbelhäuser und Fachgeschäfte auf der Suche nach
Wickelkommoden, Kinderbetten, Stubenwagen (eins von beiden reicht
auf keinen Fall), Badeeimern, Flaschendesinfizierern und
Stillkissen. Was all diese Dinge gemeinsam haben, ist nicht nur
ihre angeblich unverzichtbare Rolle bei der zeitgemäßen
Entwicklung der Kleinen - sie sind außerdem oft erstaunlich
teuer. Eine vollständige Erstausstattung ist unter 1.500 Euro
kaum zu haben.
Dafür bieten sich folgende Erklärungen an: Zu vielen
Produkten gibt es anscheinend keine Alternative, Babys brauchen nun
einmal Schnuller und Kinderwagen. Aber selbst verzichtbare
Utensilien hat die Babybedarfsindustrie ihren Kundinnen und Kunden
inzwischen erfolgreich als absolutes Muss verkauft. Dass unbedingt
ein Flaschenwärmer Babys Milch auf Temperatur bringen muss, wo
es das gewöhnliche Wasserbad auch tun würde, oder dass
ein Badeeimer jeder Wanne haushoch überlegen ist, sind
Botschaften, die ankommen. Junge Mütter sind Abhängige.
Und von denen kann man bekanntlich fast jeden Preis verlangen. Die
rekordverdächtig niedrige Geburtenrate in Deutschland
verstärkt den Effekt. Bei weniger als
1,4 Kindern pro Frau lassen sich nur wenige Badeeimer verkaufen
- und jedes Baby wird immer mehr Badeeimer wert. Die Aufmerksamkeit
und die finanziellen Möglichkeiten einer Familie werden nicht
mehr unter vielen Kindern aufgeteilt, sondern sind auf eines oder
wenige konzentriert.
Es scheint, dass Kinderhaben für viele Deutsche keinen
bedeutenden Wert mehr darstellt. Wichtiger ist der eigene
Lebensstandard. Denn Kinder kosten. Sie kosten Geld, sie kosten
Zeit, sie kosten Nerven. Man kann anfangs nur schwer mit ihnen
verreisen. Sie schlafen nicht, wenn sie sollen. Man kann sie weder
abschalten noch umtauschen. Sie schränken die
Möglichkeiten für persönlichen Konsum ein - statt
Lippenstift für Mama muss nun Wundschutzcreme für Babys
Windelpo gekauft werden. Dass sich Kind und Konsum gut miteinander
vereinbaren lassen, ist die Hoffnung aller Babyausstatter. Und sie
wird erfüllt.
"Der Kinderwagen wird für die erste Zeit eines Ihrer
wichtigsten Hilfsmittel sein. Einerseits sollte sein Aussehen zu
Ihrem persönlichen Outfit passen, andererseits müssen zum
Wohle Ihres Babys etliche technische und praktische Dinge beachtet
werden", heißt es in der Anzeige eines Herstellers. Moderne
Eltern müssen sich also nicht nur zwischen Kinderwagen,
Kombiwagen, Sportwagen, Jogger oder Buggy in jeweils drei- oder
vierrädriger Variante entscheiden, sondern auch
berücksichtigen, ob das Gefährt zu den Schuhen passt. Es
klingt grotesk, aber es gibt tatsächlich Mütter, die je
nach Anlass zwischen zwei verschiedenen Kinderwagen, einem Buggy
und dem neuen "Maxi Taxi" wählen. Selbst wer den
Mode-Schnickschnack nicht mitmacht, will schließlich sein
Gewissen nicht mit der Verantwortung dafür beladen, dass das
eigene Kind einen bleibenden Rückenschaden davonträgt,
weil es in einem schlecht gefederten Kinderwagen gelegen hat - wie
es manche Herstellerinformationen suggerieren. Solche Probleme
werden in Krabbelgruppen von den Müttern heiß diskutiert,
während die Kleinen vor sich hinturnen. Dabei geht es nicht
nur um das Weitergeben von Tipps. Viele Mütter pflegen einen
knallharten Wettkampf. "Mein Kinderwagen lässt sich in acht
verschiedene Liegepositionen verstellen. Aber er war so teuer...",
erzählt eine Mutter beim Babyschwimmen. Der Neid der anderen
ist ihr sicher. Einige plagt insgeheim sogar das schlechte
Gewissen: "Bin ich eine Rabenmutter, weil mein Kind in seinem
billigeren Kinderwagen nur fünf Liegepositionen zur Auswahl
hat?"
Babys sind offenbar eine so relevante Zielgruppe, dass es sich
der Fachmarkt "Happy Baby" leisten kann, die Wettervorhersage eines
Berliner Radiosenders zu präsentieren. Der Sender wiederum
verloste ein Valentins-Wochenende samt Hotelsuite "zum
Kindermachen". Auch bekannte Modedesigner haben den Baby- Markt
entdeckt und verlangen entsprechende Preise. Kenzo verkauft seine
Röckchen mit passendem T-Shirt für umgerechnet 225 Euro,
ein Polohemd von Dolce & Gabbana in Größe 74 ist ab
80 Euro zu haben und Donna Karans Strickjäckchen immerhin 50
Euro wert. Aber wer seine eigenen Kinder aussehen lassen will, wie
die von David Beckham oder Madonna, dem sollte es diese Investition
schon wert sein.
Wenn aus der Kinderschuhabteilung eine Frauenstimme "Sind die
süüüüüß!" kreischt, kann man davon
ausgehen, dass hier gerade eine Mutter zum ersten Mal gesehen hat,
wie niedlich ein Marken-Turnschuh in Größe 19 an einem
kleinen, speckigen Babyfuß aussieht. Wetten, sie erliegt der
Versuchung, den eigenen Schuhtick auf das Baby zu übertragen?
Babysandale statt Pumps - Mama lebt den Konsumrausch am Nachwuchs
aus. Eine meist harmlose Spinnerei. Manche Eltern bereuen sie
allerdings innerhalb kürzester Zeit. "Kein Kind wird mit dem
Schrei nach Pampers, Playmobil oder Pokémon geboren", schreibt
der Bielefelder Professor für Verhaltensforschung und
Sozialpolitik, Klaus Hurrelmann. Mit anderen Worten: Solche
Wünsche haben zuerst die Eltern. Denn auf Playmobil und
Pokémon folgen bekanntlich Handys, Computer und Pferde. Und
wie soll Mama dem fordernden Kind den Wunsch ausreden, wenn sie
selbst gerade das dritte Paar Babyschühchen für das
kleine Schwesterchen gekauft hat, das noch nicht einmal stehen
kann?
Sandra Kaufmann ist freie Journalistin in Berlin und hat eine
elf Monate alte Tochter.
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