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Ralf Hanselle
Nur Bares ist Wahres
Wie der Mehrwert zum letzten Wert der Politik
wird
7.660 Euro sind für einen Banker Peanuts.
Ernst Welteke jedoch, einstiger Präsident der Bundesbank, hat
dieser bescheidene Betrag im Frühjahr den Kopf gekostet. Trotz
des Schadens, den die Bundesbank aus der so genannten
Adlon-Affäre gezogen hat, ist damit unter Beweis gestellt: das
komplexe Geflecht aus journalistischer Enthüllung,
öffentlicher Entrüstung und moralischer Selbstreinigung
funktioniert. Selbstverständlich ist das nicht. Allzu oft
werden politische Skandale auch in der Bundesrepublik ausgesessen
oder vergessen.
Noch am 3. April 2004, nachdem das
Nachrichtenmagazin Der Spiegel über den von der Dresdener Bank
finanzierten Silvester-Aufenthalt Weltekes und seiner Familie
berichtet hatte, reagierte der so Ertappte mit Unverständnis:
"Wenn ich schon an Silvester nach Berlin fahre", so Welteke, "dehne
ich das doch ein bisschen aus." Geholfen hat Deutschlands oberstem
Währungshüter seine Dick-schädeligkeit nicht:
Zwölf Tage später war der Druck auf den
Bundesbankpräsidenten derart angewachsen, dass er sich zum
Rücktritt gezwungen sah.
Deutschland ist keine Bananenrepublik. Dieser
verbale Reflex, mit dem die Politik immer wieder schnell bei der
Hand ist, um das Funktionieren rechtsstaatlicher Strukturen zu
beschwören, er scheint auch in diesem Fall seine Richtigkeit
gehabt zu haben. Mit dem Verweis auf italienische Verhältnisse
oder tropisch-exotische Gefilde erfährt der einstige
preußische Beamtenstaat seine Ehrenrettung. Und der
Wähler, er will es gerne glauben: Korruption, Vorteilsnahme
oder Ämterpatronage; all das sind Schattenphänomene aus
wärmeren Teilen der Erde.
Doch mit exotistischen Abwehrreflexen allein
ist es nicht mehr getan. Gerade der Fall Welteke, bei dem ein
oberster politischer Beamter sich des Verdachts der Vorteilsnahme
ausgesetzt hat, zeigt, in welch falscher Selbstsicherheit sich das
politische Bewusstsein hierzulande wähnt. Die überkommene
Vorstellung, im modernen Staat sei der Beamte weniger ein Wesen mit
persönlichen Interessen als vielmehr ein entindividualisierter
"sachlicher Zweck" (Max Weber) hat die politische Theorie über
die Wirklichkeit triumphieren lassen.
Dass innerhalb der politischen Klasse Macht
korrumpiert, daran hatte man sich auch in Deutschland gewöhnt.
Von der Flick-Affäre bis zu den Zweimillionen-Spenden des
Helmut Kohl sind die Beispiele für Illusionen zu zahlreich.
Was da den Fall Welteke außergewöhnlich macht, ist sicher
nicht die läppische Summe. Die Adlon-Sause zerstört
vielmehr den Glauben an jene Instanzen, die noch im Ruf standen,
unabhängig und gerecht zu sein. Gerade dort nämlich, wo
die politische Elite vermehrt in den Ruch der Korruption
gerät, ist das Vertrauen in unabhängige
Rechnungshöfe, unabhängige Gerichte oder eben die
unabhängige Zentralbank von immenser Wichtigkeit für den
sozialen Rückhalt des politischen Systems. "Bei diesen
Einrichtungen", so meinte noch vor gut zwei Jahren der
Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim, "ist die Chance, mit
der Forderung nach vorbehaltloser Gerechtigkeit- und
Gemeinwohlorientierung Gehör zu finden, erheblich
größer als bei den eigentlichen politischen Akteuren."
Ernst Welteke hat diesen demokratischen Traum zum Platzen gebracht.
Der hehre Verfassungsauftrag, Gerechtigkeit gegen jedermann zu
üben, scheint nicht nur bei Parteien und Politikern immer mehr
in schlechten Händen. Auch jene Stellen, die nicht unentwegt
um die Erneuerung ihres Mandats kämpfen müssen,
erschaffen ein System, bei dem der gesetzliche Rahmen mehr und mehr
durch Ehrenworte und einen mafiosen Wertekanon ersetzt
wird.
Die Folgen solchen Verhaltens sind fatal. Wer
zur Erlangung privater Vorteile seine öffentliche
Machtstellung ausnutzt, leistet beim Bürger jenem Verhalten
Vorschub, dass der scheidende Bundespräsident Johannes Rau
erst jüngst mit "innerer Auswanderung aus der Demokratie"
bezeichnet hat. Man muss schon Zuversicht besitzen, um nicht
alarmiert zu sein, wenn laut einer Umfrage des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung nur noch 20 Prozent der
Bundesbürger Vertrauen in den Bundestag haben. Ähnlich
geringe Werte weisen in der Untersuchung nur noch Gewerkschaften
und Unternehmen auf.
Dass diese Einschätzung nicht nur der
deutschen Leidenschaft geschuldet ist, bei jedem Schnupfen gleich
das Abendland untergehen zu sehen, beweist auch der von
Transparency International jährlich vorgelegte
Korruptionsindex. Zwar belegt Deutschland in der
Korruptionswahrnehmung von Geschäftsleuten,
Öffentlichkeit und Risikoanalysten von 133 untersuchten
Ländern noch immer einen Platz im vorderen Mittelfeld. Im
europäischen Vergleich aber fallen die Daten der
Anti-Korruptionsorganisation schon weniger schmeichelhaft aus. Dort
sind es besonders die skandinavischen Nachbarländer, die mit
Offenheit in Politik und Verwaltung problemlos an dem 16. Platz der
Bundesrepublik vorbeiziehen können.
Entwickelt sich Deutschland also doch mehr
und mehr zu einer Bananenrepublik, in der der letzte Wert, auf dem
politische Entscheidungen beruhen, einzig noch der finanzielle
Mehrwert ist? Seitdem mit dem so genannten "Washington Konsens" der
Primat der Ökonomie vollends in die Sphären der Politik
eingebrochen ist und die einstigen ideologischen Lager sich
vermehrt angleichen, scheint sich bei vielen Parlamentariern ein
Wertewandel vollzogen zu haben. An dessen Ende steht das, was
angelsächsische Autoren mit dem Schlagwort "Politics without
Policies" bezeichnen: Eine reine Machtpolitik, der es weder um die
Verwirklichung von Gesetzesvorhaben noch um die Durchsetzung
politischer Überzeugungen geht.
Hermann Scheer, seit vielen Jahren Mitglied
des Deutschen Bundestages, hat sich bereits seit längerem mit
diesem neuen Typus des "zoon politicon" auseinandergesetzt. Seine
eindeutige Warnung: "Wer nicht mehr an die Realisierbarkeit neuer
Gesellschaftsentwürfe glaubt, wie die Parteienstrategen des
'neuen Realismus', begnügt sich mit reaktiver Politik, mit
werblichen Mätzchen und Schaulaufen in Halbseide." Korruption,
Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, so möchte man
ergänzen, sind da nur noch einen Steinwurf
entfernt.
So neu indes, wie es den Anschein hat, sind
diese Phänomene nicht. Bereits in seinen Ausführungen zur
Politik warnt Aristoteles vor dem Schaden, den Schmiergeld und
Seilschaften für die Staatsführung haben können.
Diese heiße es daher zu unterbinden, "und gelingt dies nicht,
so muss man solche Leute ins Ausland verbannen". Im Zeitalter der
Globalisierung sind solche Radikalkuren nicht mehr
möglich.
Peter Eigen, einstiger Weltbank-Direktor
für Projekte in Afrika und später Mitbegründer von
Transparency International, weiß aus eigener Erfahrung, dass
die Ströme, die Bestechungs- und Schmiergeldzahlungen nehmen,
längst international vernetzt sind. So konnten etwa deutsche
Weltkonzerne bis Ende der 90er ohne Furcht vor Strafe
ausländische Amtsträger bestechen, während Justiz
und Weltbank diese Entgleisungen von Repräsentanten der
westlichen Wertegemeinschaft dezent ignorierten.
Dabei ist nicht nur der finanzielle Schaden,
den solche Korruptionsfälle anrichten, enorm. Fast
alarmierender ist die schleichende Erosion des Rechtssystems. Denn
auch wenn Bestechlichkeit nach wie vor gesellschaftlich
geächtet ist, so strebt doch niemand danach, als letzter
Ehrlicher der Dumme zu sein. Die moralische Desorientierung
grassiert eben nicht nur in der politischen Klasse, sondern gerade
auch bei jenen, die sie repräsentiert.
Der Soziologe Karl Otto Hondrich vermutet
daher, dass politische Korruptionsfälle einzig deshalb noch
zum Skandal werden, weil sich die Öffentlichkeit so letztmalig
ihr klassisches Wertesystem bestätigt: "Die Klage über
den Niedergang der Moral, die mit jedem Skandal vermehrt anhebt,
ist ja selbst ein hochmoralischer Vorgang." Folgt man Hondrich,
dann besteht also noch Hoffnung. Bimbes, Müllskandal oder
Welteke - jede Entgleisung hat auch ihre selbstreinigende Funktion:
"Nichts", so das Fazit des Soziologen, "ist den guten Sitten
zuträglicher als der Skandal, vorausgesetzt, er vollendet
sich".
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