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Claudia Schulz
Buchhunger in West-Afrika
Das Erbe von Kolonialstrukturen
In Zeiten, in denen Afrika als Synonym für Krisen, Hunger
und Gewalt gilt, klingt die Geschichte der Université des
Montagnes (UDM) wie ein Märchen. Ein Dutzend kamerunischer
Intellektueller und Würdenträger gründete 1994 den
Verein Association pour l'Education et le Développemnt (AED).
Seine Initiatoren mochten nicht länger tatenlos zusehen, wie
die Jugend Kamerun verließ, weil sie keine Möglichkeit
sah, in ihrem Heimatland zu studieren. Sollten keine
Gegenmaßnahmen ergriffen werden, so die befürchtung der
stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Ambroise Kom damals, werde es
in 20 Jahren keine einheimischen Ärzte mehr geben, keine
Ingenieure und keine Lehrer. Man beschloss, der Skepsis
internationaler Kollegen zum Trotz, eine Privatuniversität zu
gründen, die vom AED getragen werden sollte.
Jahrelang sammelten die Vereinsmitglieder Gründungskapital.
Zahlreiche Kameruner unterstützten das Projekt und machten es
zu einer von breiten Bevölkerungsschichten getragenen
Gemeinschaftsintiative. Finanzielle Hilfe leistete auch die
kamerunische Diaspora in den USA und Europa. Darüber hinaus
bemühte sich der AED, lokale einflussreiche
Persönlichkeiten für das Projekt zu gewinnen. Der chef
supérieur von Bangangté schenkte dem AED 204 Hektar Land
in Banékane im Westen des Landes. Dort entsteht ein Campus,
der medizinische und pharmazeutische Fakultäten samt
Universitätskrankenhaus und Laboratorien beherbergen wird wie
auch Informatik-, Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften.
Die in traditioneller Architektur der Region entstehende Anlage
wird mit Materialien lokaler Produktion errichtet.
Im Herbst 2000 begannen 43 junge Menschen in den provisorischen
Räumlichkeiten der UdM zu studieren. Im diesjährigen
vierten Studienjahr sind es bereits über 200 Studenten, wobei
der Anteil der Frauen 62 Prozent beträgt. Dabei
übersteigt die Anzahl der Bewerbungen trotz
Studiengebühren die Anzahl der Plätze bei weitem. Die UdM
ist mit Computern ausgestattet und bietet Labore mit
umfänglicher Ausstattung. Es gibt Vereinbarungen mit den
Krankenhäusern der Umgebung, dass Medizinstudenten ein
Praxisjahr absolvieren können. Außerdem sollen in
Zusammenarbeit mit lokalen Wirtschaftsunternehmen Wissenschaft und
regionale Bedürfnisse verbunden werden.
Dennoch ist es offen, welchen Verlauf die Erfolgsgeschichte
nehmen wird. Kameruns Regierung stimmte zwar offiziell der
Gründung der Privatuniversität zu, im September 2003
erging allerdings eine Verfügung, die die UdM als nicht
autorisierte Lehrstätte einstufte, was zu erheblicher
Verunsicherung unter Lehrenden wie Studierenden führte.
Seitdem wird der AED mit immer neuen Auflagen konfrontiert.
Dass er sie bisher stets erfüllen konnte, änderte
nichts an der Situation. Würden ähnliche Anforderungen an
die Ausstattung staatlicher Universitäten gestellt, so ein
AED-VOrstandmitglied, müssten diese sofort geschlossen werden.
Sie sind überfüllt und schlecht ausgestattet. Einige
Professoren haben das Potenzial der UdM erkannt, es gibt
Partnerschaften zwischen ihr und staatlichen Unis. Schulen wie auch
Hochschulen leiden unter dem in ehemaligen französischen
Kolonien verbreiteten mangelnden politischen Willen, massiv in
diesen Sektor zu investieren. Dies schlägt sich auch auf dem
Buchmarkt nieder. In Afrika herrscht Buchhunger.
Die französische Regierung entließ ihre Kolonien mit
einer geringen Alphabetisierungsquote sowie ohne eigene Verlags-
und Vertriebsstrukturen in die Unabhängigkeit. Frankreich
hatte Bücher nach Afrika exportiert, aber nicht das Wissen,
wie sie hergestellt werden. Es waren zwar zur Herstellung
offizieller Dokumente einige Druckereien gegründet worden,
insbesondere in Senegal. Doch erst 1963 entstand mit
holländischen und deutschen Kirchengeldern in Yaoundé mit
"le Centre de Littératures Evangéliques" der erste
afrikanische Verlag. Auch bei den später gegründeten
Verlagen wie in Abidjan und Dakar gibt es bis heute eine
strukturelle Ausrichtung auf Frankreich.
Paris hat es über die Kolonialzeit hinaus verstanden,
seinen Einfluss auf den "pré-carré" zu sichern und den
französischen Verlagen eine mächtige Stellung im
lukrativen afrikanischen Schulbuch-Markt zu erhalten. In diversen
Abkommen mit den verschiedenen Staaten wurde vereinbart, das
französische Schulsystem und die französische Sprache
beizubehalten. Rückendeckung erhielt Frankreich durch die
UNESCO mit dem Ratschlag, im Hinblick auf die multi-ethnischen
Staaten Französisch als einigende Nationalsprache zu
belassen.
Die afrikanischen Erziehungsministerien vergaben
Buchaufträge in frankophonen, aber auch in anglophonen
Ländern an die teilweise staatlich kontrollierten Verlage und
an multinationale Unternehmen. Das Argument, sie könnten im
Vergleich zu afrikanischen Verlagen billiger produzieren, ist
häufig hinfällig. Die hochwertige Ausstattung der
Bücher treibt die Preise in die Höhe, während die
Kaufkraft in den meisten frankophonen Staaten sinkt.
Unabhängige (nicht-staatliche) afrikanische Verlage haben
es bislang nicht vermocht, auf diesem lukrativen Markt Fuß zu
fassen, was das Lektüreangebot mit konkurrierenden Inhalten
erheblich schmälert. In den ehemaligen französischen
Kolonien sind wenige Titel zu finden, die die Probleme der
Länder konstruktiv analysieren. Es mangelt an Büchern,
die Lösungsvorschläge jenseits der Regierungsnetzwerke
bieten und für Einheimische bezahlbar sind.
Diese strukturellen Schwierigkeiten sind eine immense
Herausforderung für die UdM, die nach Spitzenforschung und
-technologie auf internationalem Niveau strebt und dabei die
regionalen Bedürfnisse im Blick hat. Ihr Motto lautet: semper
altissimo ascendere. Damit bietet der AED Kameruns Regierung eine
Institution, die die Region in einem integrativen Geist
voranbringen und sich nicht mit Lehrbüchern bescheiden
möchte, die in Frankreich längst Ladenhüter sind. Es
bleibt zu hoffen, dass das die kamerunischen Offiziellen zu
schätzen wissen.
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