Ulrich F. Brömmling
Verlage und Redaktionen vor großen
Veränderungen
Das Zeitungsangebot von morgen
Das anspruchsvolle politische Feuilleton in Tageszeitungen
dürfte bald der Vergangenheit angehören.
Ausführliche Berichterstattung gibt es dann nur noch in
Wochenzeitungen. Und insgesamt werden die Auflagen der
Tageszeitungen in acht Jahren um weitere zehn Prozent
zurückgehen. Das sind jedenfalls die Schlüsse, die man
aus der beachtenswerten Studie von Peter Glotz und Robin
Meyer-Lucht ziehen muss. Bislang musste vor allem der Rückgang
im Anzeigengeschäft als Begründung der Krise auf dem
Zeitungsmarkt herhalten. Die vorgelegte Studie untersucht nun auch
das Leser- und Nutzerverhalten.
Ein Team an der Universität Sankt Gallen hat die
Nutzungsintensität von Printmedien und
Online-Nachrichtendiensten miteinander verglichen. 200 Experten aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz gaben ihre Antworten.
Ergänzend hat das Team journalistische Online-Angebote von
zehn Zeitungen untersucht (unter anderem FAZ, NZZ, Bild und
Spiegel). Spiegel-Online liegt dabei seit Januar 2001 unerreichbar
vorn: Über 30 Millionen Besuche im September 2003
gegenüber rund 17 Millionen bei Bild T-Online (2. Platz).
Immer mehr Aufgaben der Mutterblätter haben die Dienste
übernommen. Die neue Studie macht auf die inhaltlichen
Entwicklungen der Online-Auftritte aufmerksam, die seit Mitte der
1990er-Jahre ins Netz gestellt werden. Minutenaktualität wird
dabei so groß geschrieben, dass beinahe das unerreichbare Ziel
aller Nachrichtendienste in Reichweite gekommen ist: Die erste
Ausgabe der Zürcher Zeitung hatte bereits 1780 bedauert, dass
es nicht möglich sei, "die Weltgegebenheiten früher
anzuzeigen als sie geschehen".
Im Jahre 1980 lag die tägliche Lesezeit von Tageszeitungen
bei 38 Minuten, 20 Jahre später nur noch bei 30. Noch
deutlicher wird der sinkende Einfluss des Mediums Tageszeitung,
wenn man den täglichen Konsum aller Medien betrachtet: Der
stieg von 1980 bis 2000 von 309 auf 502 Minuten an. Weniger
interessant sind die Ergebnisse zur Entwicklung des Werbemarktes.
Stellenmarkt, Automarkt und Immobilienmarkt sind langfristig
für die Printmedien verloren. Das ist nicht schön
für die Zeitungen und Zeitschriften, aber auch nichts wirklich
Neues. Interessant bleibt die Feststellung, dass sich die
Anzeigenaktivitäten in den Printmedien in Zukunft weitgehend
auf Imagepflege beschränken werden.
Die Verfasser werfen den journalistischen Online-Diensten die
häufige Vermischung von Nachricht und Werbung vor, die dem Ruf
der ansonsten hochwertigen journalistischen Arbeit im Netz schadet.
Doch gibt es gerade hinsichtlich der Wortkunst einen Lichtblick:
Die Verlagerung des Nutzerinteresses ist keine Niederlage für
das geschriebene Wort. Im Gegenteil: Es gehört vielmehr zu den
Verdiensten des Internet, die schriftlich vermittelte Information
beschleunigt zu haben. Wie die Studie unterstreicht, hat das
Internet also den Boden wettgemacht, den der Rundfunk dem
geschriebenen Wort genommen hatte.
Das alles hilft den Tageszeitungen wenig. Was also hilft? Die
Autoren formulieren eine politische Botschaft. Angesichts der
anhaltenden Krise nütze es gar nichts, immer weiter Redakteure
zu entlassen und ständig neue Einschnitte vorzunehmen. Es
bedürfe vielmehr größerer struktureller
Umbrüche. Allerdings klingt die Lösung enttäuschend
unkonkret: Man brauche jetzt eine enge Kooperation des
journalistischen Elementes, des verlegerischen Elementes und der
Politik. Wie diese aussehen soll, bleiben die Autoren dem Leser der
ansonsten lohnenswerten Studie schuldig.
Peter Glotz, Robin Meyer-Lucht (Hrsg.)
Online gegen Print. Zeitung und Zeitschrift im Wandel.
UVK Verlag, Konstanz 2004; 240 S., 29,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|