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Hartmut Hausmann
Ein nicht ganz neues Europa-Parlament
Extrem niedrige Wahlbeteiligung
Wenn die vom 10. bis 13. Juni neu gewählten
Europa-Abgeordneten Ende Juli zu ihrer konstituierenden Sitzung in
den Straßburger Plenarsaal einziehen, beginnt eine neue
Herausforderung für das Vielvölker-Parlament. Es muss
sich mehr als bisher mit seiner Arbeit Gehör in Europa
verschaffen. Die Wahlbeteiligung war mit 45,3 Prozent noch
niedriger als vor fünf Jahren. Besonders gering war sie in den
neuen EU-Mitgliedsländern: In Polen nahm nur jeder fünfte
Bürger sein Wahlrecht wahr, in der Slowakei wollten nur knapp
17 Prozent der Bevölkerung darüber entscheiden, wer sie
künftig in Straßburg vertritt. Dass die
Gesamtwahlbeteiligung in der EU nicht noch katastrophaler ausfiel,
ist den Ländern zu verdanken, in denen zum Teil unter
Strafandrohung Wahlpflicht herrscht.
Diejenigen, die künftig auf dieser
Grundlage im Europa-Parlament arbeiten werden, können sich
schwerlich auf einen europäischen Wählerauftrag oder auf
eine Wiederwahl wegen ihrer Gesetzgebungsarbeit in der vergangenen
Wahlperiode berufen. Zu sehr bestimmte die jeweils nationale
Politik in den einzelnen Ländern den Wahlausgang. Wenn die
Europa-Parlamentarier also die Aufmerksamkeit der Wähler
dauerhaft erringen wollen, müssen sie dort, wo sie am meisten
zu sagen haben und zugleich die Interessen der Menschen unmittelbar
vertreten, wie beispielsweise beim Verbraucherschutz, dies auch
öffentlichkeitswirksam tun.
Dazu aber wäre es im Interesse der Sache
notwendig, näher zusammenzurücken und künftig auf
parteipolitische Show-Gefechte mit Blick auf die nationale Politik
zu verzichten. Zugleich sollte das Parlament seine Chance suchen,
als die einzige unmittelbar vom Volk legitimierte europäische
Institution stärker für die Ausweitung der
Parlamentsrechte und damit für eine demokratisch verfasste EU
zu kämpfen. Vor allem müsste es sich gegen die im
Ministerrat vertretenen 25 Regierungen der Mitgliedsländer
öffentlichkeitswirksam behaupten, die sich oft fast
allmächtig aufführen, wie zuletzt in der Frage der
Übermittlung von Fluggastdaten an die USA. Ohne Hemmungen
setzten sie sich über das Votum der Abgeordneten hinweg und
warteten auch nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
ab, der prüfen soll, ob dies mit den europäischen
Datenschutzbestimmungen vereinbar ist. Und die Finanzminister
planen gar, die Haushaltsrechte der Parlamentarier wieder
einzuschränken.
Auf den ersten Blick ist in Straßburg,
wie Fernsehkommentatoren in der Wahlnacht voreilig und ungeachtet
der zum Teil heftigen Verschiebungen in einzelnen Mitgliedstaaten
vermeldeten, fast alles gleich geblieben. Nur größer sind
die meisten Fraktionen wegen der zehn neuen Mitgliedstaaten
geworden. Da sich aber sowohl die Gesamtzahl der
Parlamentsmitglieder von 526 auf 732 Sitze erhöht hat,
während gleichzeitig bis auf Deutschland (99) und Luxemburg
(6) die Zahl der Abgeordneten verringert wurde, helfen nur
Prozentzahlen bei einem Vergleich weiter. Mit 37,2 Prozent haben
die in der Europäischen Volkspartei (EVP)
zusammengeschlossenen Christdemokraten unter dem bisherigen und
wohl auch künftigen Fraktionsvorsitzenden Hans-Gert
Pöttering ihre Position als stärkste Gruppe behauptet und
werden damit auch den Parlamentspräsidenten stellen wollen. Ob
sie dabei wieder eine Absprache mit den Liberalen treffen, ist eher
unwahrscheinlich, da es inhaltlich zwischen beiden Lagern doch
größere politische Differenzen gab.
Die Eigenständigkeit der Liberalen
könnte nach der deutlichen Verbesserung ihrer Position von 8,1
auf neun Prozent, was vor allem auf die Rückkehr der deutschen
FDP in das Straßburger Parlament zurückzuführen ist,
eher noch zunehmen. Stattdessen könnten die von 28,8 auf 27,5
Prozent zurückgefallenen Sozialdemokraten an einer Absprache
interessiert sein, um nach langen Jahren wenigstens in der zweiten
Hälfte der Wahlperiode den Präsidentenstuhl zu besetzten
und damit ihre Chancen bei der nächsten Wahl zu
erhöhen.
Wesentlich deutlichere Verluste mussten die
Grünen (von 7,7 auf 5,7 Prozent) und die Vereinigte Linke (von
6,7 auf 4,9 Prozent) in ihrer Straßburger Präsenz
hinnehmen. Die Ursache liegt darin, dass die ökologische
Bewegung in den neuen Mitgliedstaaten noch schwach vertreten ist
und die kommunistischen Parteien in Frankreich, Spanien und Italien
die Hälfte ihrer Mandate verloren haben.
Während die bürgerliche, aber eher
nicht integrationsorientierte Fraktion "Europa der Demokratie und
der Unterschiede" mit 2,5 Prozent (-0,1) unverändert blieb,
kann die bisher kleine Gruppe der Europagegner "Unabhängige
für das Europa der Nationen" (von 4,2 auf 3,8) noch auf
Zuwachs hoffen. Immerhin 69 zumeist antieuropäische, radikale
Abgeordnete (9,4) haben sich noch nicht für einen Anschluss an
eine Gruppe entschieden oder keine Aufnahme gefunden. Darunter die
zwölf britischen Abgeordneten der überraschend stark
gewordenen "United Kingdom Independence Party".
Auch wenn somit noch leichte Verschiebungen
in der Straßburger Fraktionslandschaft möglich sind,
scheint eines doch sicher: Bei nun rund 100 gegenüber bisher
56 Abgeordneten extremer Parteien müssen die demokratischen
Gruppen auch deshalb künftig enger zusammenarbeiten, wenn sie
Europa voranbringen wollen, weil sie nur so die für die
Gesetzgebung erforderliche Mehrheit von 367 der 732 Abgeordneten
erreichen können.
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