dpa
SPD in Thüringen für Berliner Politik
abgestraft
Wahlanalyse
Die SPD ist sowohl bei der Europawahl als auch bei der
Landtagswahl in Thüringen am 13. Juni für ihre
Regierungspolitik auf Bundesebene massiv abgestraft worden. Obwohl
die Union für ihre Oppositionsarbeit in Berlin nach ersten
Analysen der Wahlforscher keineswegs gut bewertet wird, rutschten
die Sozialdemokraten bei innenpolitischem Gegenwind und großen
Mobilisierungsproblemen nach schon vorher mageren Ergebnissen
nochmals ab. In Thüringen erwies sich zudem die hohe
Popularität von Ministerpräsident Dieter Althaus als
Pluspunkt für die CDU, ermittelte die Mannheimer
Forschungsgruppe Wahlen.
Für die Mehrheit der Europa-Wähler spielte die
Bundespolitik die Hauptrolle: 51 Prozent nannten für ihre
Entscheidung laut Forschungsgruppe zuerst bundespolitische Motive,
nur für 43 Prozent stand dagegen bei der Europawahl Europa an
erster Stelle. Neben einem europapolitischen Kompetenzvorsprung
basiert der Erfolg der Union vor allem auf der deutlichen Kritik an
der Bundesregierung. Rot-Grün liegt bei der
Leistungsbeurteilung auf einer +5/-5-Skala mit minus 1,3 sehr viel
deutlicher im negativen Bereich als CDU/CSU (-0,3).
So verlor die SPD bei den Arbeitern zwölf Punkte und
erreichte mit einem Ergebnis von 24 Prozent in ihrer traditionellen
Klientel nur noch knapp ein Viertel aller Wähler. Die
größere Regierungspartei schaffte es nur bei den 44- bis
59-Jährigen (24 Prozent) sowie bei den über
60-Jährigen (25 Prozent) leicht über den Durchschnitt.
Rund ein Drittel der SPD-Wähler bei der Bundestagswahl 2002
entschied sich nach dpa-Berechnungen auch bei der Europawahl
für die Sozialdemokraten - das heißt: rund zwei Drittel
der damaligen Wähler liefen der SPD weg.
Erneut schwache Wahlbeteiligung
Die erneut schwache Wahlbeteiligung zeigt einmal mehr die
Distanz der Deutschen gegenüber dem Europäischen
Parlament: Während 86 Prozent Entscheidungen des Bundestages,
76 Prozent Landtags- Entscheidungen und 70 Prozent Entscheidungen
der Kommunalparlamente auch individuell hohe Bedeutung beimessen,
halten gerade 61 Prozent Beschlüsse aus Straßburg oder
Brüssel persönlich für wichtig. Wie Infratest dimap
herausfand, sahen 36 Prozent der Nichtwähler die Europawahl
als unwichtig an. 33 Prozent nannten ihre Enttäuschung
über die Politik in Berlin als Grund, dass sie nicht zur Wahl
gingen.
Die niedrige Wahlbeteiligung deutet nach Ansicht des Politologen
Joachim Krause auf einen Verlust an europäischer
Identität hin. "Europa interessiert immer weniger Leute",
sagte der Direktor des Kieler Institutes für
Politikwissenschaft. "Die meisten Bürger assoziieren nichts
Persönliches mit Europa."
Wahlforscher werteten auch im Blick auf Thüringen den
Einbruch der SPD als eindeutigen Denkzettel für Berlin. Laut
Forschungsgruppe Wahlen ist CDU-Regierungschef Althaus
überdies sehr beliebt. Er habe auf einer Skala von plus 5 bis
minus 5 Punkten einen ausgezeichneten Wert von 2,1. 72 Prozent
bescheinigten ihm gute Arbeit. Deutlich mehr Wähler trauten
der CDU die Lösung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsproblemen
zu. Allerdings hätten sich 55 Prozent ein Ende ihrer
Alleinregierung in Erfurt gewünscht, so die
Forschungsgruppe.
Die SPD schnitt in Thüringen nur noch bei den mehr als
60-Jährigen überdurchschnittlich ab (20 Prozent). Bei den
Arbeitern erreichte sie gerade 14 Prozent. Die Hoffnung der
Bundesregierung, dass die Zeit des Abstrafens in Folge der
Unzufriedenheit mit der Politik auf Bundesebene vorbei sei, habe
sich am Sonntag damit nicht erfüllt, sagte der Politologe
Everhard Holtmann.
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