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Johannes L. Kuppe
Orientierung in der jüngsten deutschen
Geschichte
Kurz notiert
Globalisierung und Europäisierung, Terrorismus,
Migrationsströme - alles Zeichen eines weltweiten Umbruchs auf
allen gesellschaftlichen Ebenen, in denen die Individuen und
Nationen ihren Platz im eigenen Umfeld wie in der
Völkergemeinschaft neu zu bestimmen versuchen. Dies gilt
ebenso für die Zeitgeschichtsforschung, nicht zuletzt für
die deutsche, die angesichts der Verwerfungen der jüngsten
Geschichte ein besonders komplexes Geflecht von Einflussfaktoren
auf das deutsche Selbstverständnis deuten und damit ordnen
muss.
Dieser Sisyphusaufgabe hat sich das Historische Kolleg in einem
dreitägigen Kolloqium gestellt; jetzt werden seine Ergebnisse
vorgestellt. Zunächst werden globale und internationale
Aspekte, in zwei weiteren Kapiteln sozialstaatliche und nationale
Fragen, einschließlich der die DDR und die deutsche Teilung
betreffenden, behandelt. Alles, was die deutsche Innenpolitik und
Außenpolitik in der Phase des Ost-West-Konfliktes bestimmte,
wird, wenn auch manchmal nur exemplarisch, angesprochen: Welt- und
bündnispolitische Einflüsse, vorherrschende Ideologien,
die Krisen, Sozialstaatlichkeit, Verbürgerlichung und
Entbürgerlichung, Religion, Verwissenschaftlichung, nationale
Bindungskräfte und was davon geblieben ist - um nur einige
Stichworte zu nennen.
Die 15 Beiträge bedeuten häufig sehr unterschiedliche
"approaches", zum Beispiel eine Mixtur ereignis- und
strukturgeschichtlicher Sichtweisen. Einen Sonderhinweis verdient
Martin Sabrow, der mit seinen kritischen Fragen an die Geschichte
der DDR die Gesamtintention dieses Bandes konterkariert. Der Autor
hat keine eindeutigen Koordinaten zur Interpretation dieser
Geschichte gefunden, weil es - und hier stimmt der Rezensent
völlig zu - keine gibt. Stattdessen müssen die
Zeithistoriker mit einem Paradoxon leben, das sowohl "Herrscher"
als auch "Beherrschte" band, der "Bindungskraft einer oktroyierten
Wirklichkeit". Auch dieser Befund ist nicht hinreichend luzide,
aber eingängig und überzeugend. Bleibt die Frage, ob man
eine derartige Orientierungssuche derart anthologisch
bewältigen kann. Trotzdem: eine sehr lesenswerte Lektüre.
Johannes L. Kuppe
Hans Günter Hockerts, Elisabeth Müller-Luckner
(Hrsg.)
Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des
Ost-West-Konfliktes.
Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 55.
R. Oldenbourg Verlag, München 2004;
339 S. 59,80 Euro
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