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Jürgen Turek
Wurzeln und Ursachen für Wachstum und
politische Freiheit
Mutig: Eine Lanze für den
Kapitalismus
Die wirtschaftliche Lage und der Arbeitsmarkt in Deutschland
haben einen Tiefpunkt, die Debatte darüber einen
Höhepunkt erreicht. Seitdem Meinhard Miegel der deutschen
politischen Kaste seinen Bestseller über die deformierte
Gesellschaft um die Ohren gehauen hat, mehren sich die
Publikationen zum Patienten Deutschland, der in Sachen Bildung,
Arbeitsmarkt und Wachstum mehr als schwächelt und der in
Punkto Finanzen seit mehr als einer Dekade finanz- und
sozialpolitisch am Tropf der Banken und der
sozialabgabenpflichtigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
hängt.
Der mittlerweile nüchtern-eiserne Kanzler hat mit der
Agenda 2010 reagiert. Das war ein gewaltiger Schritt für die
in ihrer Identität arg gebeutelte SPD und eine anstrengende
Leistung für ihn selbst, leider aber nur ein kleiner Schritt
für das Land. Dessen Zukunft hängt von etwas anderem ab:
vom Paradigmenwechsel in einer bequem gewordenen sozialen
Marktwirtschaft. Da rollen unbotmäßig die
Herausforderungen einer transnationalen Technologiegesellschaft auf
uns zu, bei dem der rheinische Kapitalismus und vieles an
menschlichem Zusammenhalt über Bordzu gehen drohen.
Viele Menschen wissen das im Grunde, dass hier ein Countdown
läuft, nicht nur für die rot-grüne Koalition,
sondern in Wahrheit für die deutsche Gesell-schaft insgesamt,
die erkennt oder zumindest instinktiv spürt, dass sie beim
Umdenken und Umsteuern in Gänze mittun muss. Und hier setzt
die neue Publikation von Christoph Keese, dem Chefredakteur der
"Financial Times Deutschland", mit einem engagierten Ansatz an.
Natürlich stellt sich mittlerweile in vielen Ländern
der westlichen Welt - gegen die von Francis Fukuyama formulierte
These vom Ende der Geschichte - die sozio-ökonomische
Systemfrage. Wohlgemerkt: die sozio-ökonomische Systemfrage,
also die Frage nach der Verbindung von wirtschaftlich effizienten
Wertschöpfungsprozessen und sozialer Kohäsion. Die
Unkontrollierbarkeit der internationalen Finanzströme,
Börsencrashs, Konjunkturflaute, japanisch inspirierte
Deflationsbefürchtungen, eine demographische Zeitbombe,
Schwarzarbeit, die generelle Frage nach arm und reich, ein
kollaborierendes Sozial- und Rentenversicherungssystem - alles dies
und mehr drückt gewaltig die Stimmung.
Sind wir eigentlich noch korrekt aufgestellt? Diese Frage hat
uns die sintflutartig zugenommene Publikationswelle zur
Globalisierung längst in unser Alltagsbewusstsein
gespült. Die angemessene Antwort auf die Strukturdefizite in
Deutschland und auf die Globalisierung, - das ist letztendlich das
Anliegen von Keese. Um nichts anderes geht es ihm als um die
Zukunft des Kapitalismus in diesem Lande.
Da ist ein neoliberaler Überzeugungstäter am Werk, so
der erste, auch durch den Titel genährte und vorurteilsvolle
Eindruck, Sieht man genauer hin, so merkt man, dass der Autor,
stringent, vor allem wohltuend strategisch argumentiert. Dieses
Buch, so Keese am Anfang, "macht Werbung für einen anderen
Ansatz. Für das mutige Zustreben auf eine Gesellschaftsform,
die in Deutschland mit erfunden, hoch entwickelt, dann aber
vergessen wurde: den Kapitalismus".
Vor diesem Hintergrund und mit Rekurs auf die in letzter Zeit
zum Teil heftig entwickelte Kapitalismuskritik der Globalisierung
entwickelt er eine flammende Streitschrift für die Zukunft der
Marktwirtschaft in diesem Land: Nicht die laufende Beschwörung
von Kapitalismusdefekten oder die partielle Reform sei die
Lösung, sondern eine kluge und komplette Erneuerung der
sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, um Wirtschaftskrise,
Massenarbeitslosigkeit, Überalterung, Reformstau und
Stagnation zu überwinden.
Zwei Dinge sind dabei an diesem Buch so interes-sant. Zum einen
erinnert uns Keese an die geistigen und philosophischen Wurzeln der
freien Marktwirtschaft, nämlich daran, dass Gesellschaften auf
der Grundlage demokratischer Verfassungen und mit einer sozial
sinnvoll austarierten Marktwirtschaft bisher die größten
Margen an Wohlstand realisiert haben, auch für jedermann. Und,
dass nur prosperierende Gesellschaften einen Grad an Zivilisation
erreichen, der Barbarei unmöglich mache. Er spitzt dies mit
Rekurs auf den englischen Philosophen John Locke zu: "Das Recht des
Einzelnen, Eigentum zu besitzen und zu nutzen, ist die Grundlage
für den Rechtsstaat und politische Freiheit."
Zum zweiten weist der Autor darauf hin, dass die
Bewältigung der Krise in Deutschland nicht nur die Sache einer
eng begrenzten politischen Kaste oder der Gesetz gebenden
Bürokratie sei. Einzelne Reformen genügten einfach nicht
mehr, um den Teufelskreis von Abschwung und Frustration zu
durchbrechen. Deutschland brauche einen Bewusstseinswandel, der
gewissermaßen alle Stake-Holder des Systems umfasst, also
Gewerkschaften, Arbeitgeber, Unternehmen und natürlich die
arbeitenden Menschen selbst.
Nur wenn die Deutschen ihren Frieden mit der Marktwirtschaft
machen, so Keese, könnten sie die Arbeitslosigkeit besiegen
und dem internationalen Konkurrenzdruck standhalten. Verordnungen
allein nützten wenig, es komme auf das Denken und Handeln
jedes Einzelnen an. Hierbei verschweigt der Autor nicht, was er an
systemischen Lösungen für notwendig hält. So ist er
dann so frei, am Schluss das Szenario eines Deutschland zu
zeichnen, das im Rahmen eines gewaltigen Kraftaktes und mit
Beteiligung aller relevanten Akteure vor allem dereguliert,
innovativ, produktiv und damit wettbewerbsfähig auf dem
Weltmarkt aufgestellt ist.
Liest man dies genau, so wird klar, dass dies fast ei-ner neuen
Staatsgründung gleichkommt. Naiv? Illusionär? Gar
weltfremd? Nein, die Zeit für diese fundamentale Debatte ist
nun endgültig da. Jürgen Turek
Christoph Keese
Rettet den Kapitalismus.
Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt.
Verlag Hoffman und Campe, Hamburg 2003;
302 S., 19,90 Euro
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