"Wir können uns sehen lassen. . ."
Im Gespräch: Doris Barnett MdB
(SPD)
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Doris Barnett ist
Mitglied Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit. Das
Gespräch führte K. Rüdiger Durth.
Das Parlament
Handwerk und Mittelstand klagen oft über
zu hohe Steuern, die sie in Deutschland entrichten müssen. Ist
diese Klage eigentlich berechtigt?
Doris Barnett Nein. Wir haben mit der
großen Steuerreform gerade den Mittelstand entlastet.
Entscheidend war für uns, die Innenfinanzierung vor allem
kleiner und mittlerer Unternehmen zu verbessern. Nicht nur die
tarifliche, sondern auch die effektive Steuerbelastung wurde
drastisch reduziert. Die Steuersätze haben historische
Tiefstände erreicht. Dabei ist die effektive Steuerbelastung
von traditionell dem Mittelstand zuzurechnenden Personenunternehmen
stärker verkürzt worden als die der
Kapitalgesellschaften.
Das Parlament
Welche Auswirkungen hat die Steuerreform
für Handwerk und Mittelstand, deren letzter Teil nun im
kommenden Jahr in Kraft tritt?
Doris Barnett Ab dem 1. Januar 2005 werden
kleine und mittlere Unternehmen mit einem jährlichen
Gesamtvolumen von gut 17 Milliarden Euro von der Einkommens- und
Körperschaftssteuer entlasten. Eine solch dauerhafte
Entlastung hat es bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
Ich erinnere daran: Bei der Einkommenssteuer wurden die
Steuersätze drastisch reduziert. Ab dem 1. Januar 2005 wird
der Spitzensteuersatz mit 42 Prozent nicht weniger als um elf
Prozentpunkte niedriger liegen als 1998. Der Eingangssteuersatz
reduziert sich von 25,9 Prozent im Jahre 1998 auf dann 15 Prozent.
Durch die pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer auf die
Einkommensteuerschuld in Höhe des 1,8-fachen
Gewerbesteuermessbetrages in Verbindung mit der ertragssteuerlichen
Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer werden die meisten
Personengesellschaften wirtschaftlich in vollem Umfang von der
Gewerbesteuer befreit. Der Körperschaftsteuersatz ist von 30
Prozent für ausgeschüttete und 40 Prozent für
einbehaltene Gewinne auf einheitlich 25 Prozent gesenkt
worden.
Das Parlament
Nach wie vor wird über zu hohe
Lohnnebenkosten geklagt. Zu Recht?
Doris Barnett Hier sieht es in der Tat anders
aus. Das ist ja auch der Grund, warum wir mit der Agenda 2010
Schluss machen mit einer Politik, die ständig die Abgabenquote
in die Höhe geschraubt hat. Ich darf Sie daran erinnern, dass
die Sozialbeiträge unter der Kohl-Regierung von 34 Prozent auf
42 Prozent gestiegen sind. Das konnte so auf keinen Fall
weitergehen. Der Einstieg in die Konsolidierung der Kranken-.
Pflege- und Rentenversicherungssysteme, nicht zuletzt auch die
Arbeitsmarktreformen haben den Anstieg der Sozialbeiträge und
damit der Lohnnebenkosten gestoppt. Die Fortsetzung der sozialen
Konsolidierung wird zu einer nachhaltigen Sicherung der
Sozialsysteme mit niedrigeren Lohnnebenkosten
führen.
Das Parlament
Wird die SPD-Bundestagsfraktion Handwerk und
Mittelstand in dieser Frage entgegenkommen?
Doris Barnett Ich glaube, die bisherige
Politik der rot-grünen Regierung kann sich schon sehen lassen.
Wir haben das Ziel, die Abgabenquote auf unter 40 Prozent zu
senken. Das ist sicherlich sehr ehrgeizig und nur in Schritten zu
verwirklichen. Ich sehe aber niemanden, der das in die Wege leiten
kann außer dieser Bundesregierung.
Das Parlament
Minijobs werden vor allem in Handwerk und
Mittelstand angeboten. Gefährden sie nicht die
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze?
Doris Barnett Das kann schon in dem einen
oder anderen Mal der Fall sein. Das ist jedoch in keinem Fall von
uns so gewollt. Unbestritten ist doch: Minijobs und Ich-AG sind nun
wirklich erfolgreiche Instrumente, um in bestimmten Bereichen des
Arbeitsmarktes positive Effekte zu erzielen. Die Zahlen sprechen
für sich, rund acht Millionen Minijobs und über 150.000
Ich-AG. Natürlich sind das nicht die einzigen Antworten auf
die Beschäftigungskrise in unserem Land. Das zu behaupten,
wäre nun wirklich lächerlich.
Das Parlament
Nicht zuletzt Ihrer Partei und
Bundestagsfraktion wird der Vorwurf gemacht, mehr die Interessen
der großen Unternehmen im Blickfeld zu haben...
Doris Barnett Ich finde diesen Vorwurf
absolut ungerecht. Tatsache ist: Noch zu keiner Zeit sind so viele
mittelstandspolitische Aktivitäten von einer Bundesregierung
in so kurzer Zeit auf den Weg gebracht und umgesetzt worden wie am
Beginn der 15. Legislaturperiode. Ich gebe zu: Aufgrund der derzeit
noch angespannten konjunkturellen Entwicklung werden die Erfolge
dieser Politik für viele noch nicht hinreichend sichtbar. Das
wird sich aber ändern, wenn die Konjunktur weiter an Fahrt
gewinnt.
Das Parlament
Welche Bedeutung haben Handwerk und
Mittelstand für Sie?
Doris Barnett Kleine und mittlere Unternehmen
stehen im Mittelpunkt all unserer wirtschaftspolitischen
Bemühungen. Warum? Der Mittelstand ist das Rückgrat der
deutschen Volkswirtschaft und für die
Beschäftigungsentwicklung und die Bereitstellung von
Ausbildungsplätzen von herausragender Bedeutung.
Das Parlament
Ist mit einer weiteren
Entbürokratisierung zu rechnen, die gerade kleine Unternehmen
belasten?
Doris Barnett Darauf kommt es uns ganz
besonders an. Angekündigt wurde viel. Erst diese
Bundesregierung macht mit Bürokratieabbau, Deregulierung und
Vereinfachung der Verwaltungsabläufe endlich ernst. Ziel ist
es, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken
und zwar besonders die der kleinen und mittleren Unternehmen. Seit
dem Juli 2003 gibt es das Strategiekonzept "Initiative
Bürokratieabbau" der Bundesregierung, das wir
nachdrücklich unterstützen. Dabei geht es um fünf
Handlungsfelder: Arbeitsmarkt und Selbständigkeit, Wirtschaft
und Mittelstand, Forschung und Technologie, Zivilgesellschaft und
Ehrenamt, Dienstleistungen und Bürgerservice. Zurzeit werden
insgesamt 68 ganz konkrete Projekte verfolgt. Nur, Sie wissen
selbst, dass hier nicht nur der Bund, sondern vor allem die
Länder und die Kommunen gefragt sind.
Das Parlament
Wird es auch für die kleinen Unternehmen
beim jetzigen Kündigungsschutz bleiben oder werden Sie der
Forderung nach einer weiteren Lockerung nachgeben?
Doris Barnett Der Kündigungschutz ist
vor kurzem erst gelockert worden. Wir sollten jetzt erst einmal
abwarten, wie dies wirkt. Eines ist jedoch sicher: Einen Kahlschlag
hier, wie ihn maßgebliche Kreise der Union fordern, wird es
mit uns auf jeden Fall nicht geben.
Das Parlament
Von der Forderung nach völliger Freigabe
der Ladenöffnungszeiten sind vor allem mittelständische
Betriebe betroffen. Wie ist dazu Ihre Haltung?
Doris Barnett Ich halte nichts davon. Im
Übrigen: Auch die Ladenschlusszeiten sind erst vor kurzem
verändert worden. Warten wir doch einmal ab, ob dem
Einzelhandel dadurch mehr Umsatz entsteht oder ob die Zahl der
Beschäftigten steigt.
Das Parlament
Mehr Selbständigkeit ist zu einer
Zauberformel für mehr Beschäftigung geworden. Sind auch
Sie für mehr Selbstständigkeit, und wie kann sie
gefördert werden?
Doris Barnett In der Politik halte ich nichts
von Zauberformeln. Die gehören in die Welt der Märchen
und Legenden. Richtig ist aber: Wir brauchen in Deutschland eine
höhere Selbstständigenquote, im Übrigen nicht nur in
den neuen Ländern, allerdings da in besonderem Maße. Mit
mehr selbständigen Existenzen werden wir auch mehr
Beschäftigung für Arbeitnehmer schaffen. Das zeigen alle
internationalen Erfahrungen. Auf die Politik für mehr
Existenzgründungen legen wir deshalb einen besonderen
Schwerpunkt. Mir fehlt hier der Raum, die Einzelheiten vorzutragen,
aber jeder kann sich zum Beispiel auf der Internetseite des
Bundeswirtschaftsministeriums darüber informieren.
Das Parlament
Hat für Sie das Handwerk auch in Zukunft
noch den sprichwörtlich goldenen Boden?
Doris Barnett Unbedingt. Wir haben ja gerade
mit dem neuen Handwerksrecht für mehr Chancen im Handwerk
gesorgt. Das neue Handwerksrecht wird für mehr Berufsfreiheit,
für mehr Gewerbefreiheit, für mehr Wettbewerb sorgen.
Existenzgründungen und Betriebsübergaben werden
erleichtert, Arbeits- und Ausbildungsplätze gesichert sowie
Impulse für neue gegeben. Nicht zuletzt wird durch das neue
Handwerksrecht die Handwerksordnung europatauglich gemacht, die so
genannte Inländerdiskriminierung vollständig
beseitigt.
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