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Josef-Thomas Göller
Unerwartete Schützenhilfe für Bush aus
Russland, Frankreich und dem Irak
Ein Blick hinter die Kulissen des amerikanischen
Wahlkampfs
Natürlich kann es noch eine Reihe von
dramatischen Vorfällen geben: die amerikanische Wirtschaft
kann in eine tiefe Rezession stürzen, der Irak kann
explodieren, Terroristen verüben einen neuen Anschlag auf die
USA, der Präsident verhaspelt sich vielleicht in einer der
bald anstehenden Fernsehdiskussionen mit seinem Herausforderer John
Kerry, oder der Himmel kann einstürzen. Ansonsten aber sind
sich die politischen Wahrsager und Analytiker in Washington einig:
Die Wiederwahl von Präsident George W. Bush am 2. November ist
höchstwahrscheinlich.
Dafür gibt es eine Vielzahl an
Gründen, die sich jedoch auf einen Nenner zusammenfassen
lassen: Selbst wankelmütige Amerikaner sehen durch die
jüngsten Entwicklungen in der Welt, dass sie einen
Präsidenten haben, der ihr ureigenstes
Sicherheitsbedürfnis befriedigt.
Der Anschlag tschetschenischer Terroristen
auf die russische Schule in Beslan zum Beispiel, führte der
amerikanischen Nation überzeugend vor Augen: die USA befinden
sich nicht als einzige Nation im Fadenkreuz der Islamisten. Das oft
in Europa und der arabischen Welt geäußerte Argument,
Präsident Bush schüre mit seiner "militanten
Außenpolitik" den Hass der Islamisten gegen Amerika, anstatt
ihm erfolgreich zu begegnen, wird durch die tschetschenische Aktion
öffentlichkeitswirksam relativiert. Auch dass der russische
Präsident Vladimir Putin von "internatinalem islamistischen
Terrorismus" redet, entspricht ganz dem Tenor der
Bush-Administration.
Zudem erhielt die Irak-Politik des
amerikanischen Präsidenten überraschend
Schützenhilfe von einer unerwarteten Seite: der neuen
Interimsregierung des Irak.
Rechtzeitig zum Parteitag der Republikaner in
New York - gerade als der einstige Herausforderer Bushs, Senator
John McCain, die anglo-amerikanische Irak-Invasion vor den
Parteidelegierten als "notwendig, nobel und erfüllt" pries,
als Rudy Giuliani, der während des Anschlages am 11. Setpember
2001 Bürgermeister von New York war, Gott für die
Führerqualität des Präsidenten dankte und der
Hollywoodstar-Gouverneur von Kalifornien, "Ahnuld" (Arnold
Schwarzenegger), Bush in seiner Rede zurief: "Sie argumentieren
nicht mit Terroristen, Sie besiegen sie!" - wartete der irakische
Interims-Premier Iyad Allawi mit einem Interview in der
führenden französischen Tageszeitung "Le Monde" auf, das
den Republikanern so richtig ins Zeug passte.
Allawi, ein durchaus US-kritischer Schiite,
verwies darauf, dass "Neutralität im Falle des Irak nicht
möglich ist". Ganz im Tenor Bushs, der die Welt in "Gut und
Böse" klassifiziert, fuhr Allawi in "Le Monde" fort: "Wir
haben immer gesagt, dass die Mächte des Bösen nicht nur
das irakische Volk herausfordern, sondern alle zivilisierten
Nationen. Es ist ein primitiver Krieg, und man kann ihm nicht mit
Halbwahrheiten und halben Maßnahmen aus dem Weg
gehen."
In Anspielung auf Frankreichs Opposition
gegen die anglo-amerikanische Invasion im Irak und der jahrelangen
Unterstützung Saddam Husseins durch Paris, warnte Mallawi
weiter: "Auch Frankreich wird nicht verschont bleiben." Dies ist ja
bereits der Fall. Radikale Islamisten machen aufgrund des
Kopftuchverbots Front gegen Frankreich. Und auch Deutschland
könnte bald buchstäblich unter Beschuss der Islamisten
geraten, denn in sechs Bundesländern, darunter Berlin, wurde
ein Kopftuchverbot für den Öffentlichen Dienst
ausgesprochen. Mallawi, der sich am 8. September zu Gesprächen
mit der Bundesregierung in Berlin aufhielt, hat Kanzler
Schröder das Gleiche gesagt, wie der französischen
Regierung. Dennoch lehnte der Bundeskanzler erneut ab, die
Bundeswehr zu friedenserhaltenden Maßnahmen in den Irak zu
entsenden.
Die Äußerungen des irakischen
Interims-Premiers in "Le Monde", zusammen mit der jüngsten
Veröffentlichung der "Washington Times" über
Waffenlieferungen der Franzosen an Saddam Hussein bis wenige Monate
vor Kriegsbeginn ist von den amerikanischen Medien breit
aufgegriffen worden. Der durchgängige Presse-Tenor bescheinigt
Präsident Bush: aus diesen Gründen war es richtig, vor
der UNO nicht auf die ablehnenden Stimmen der "Alten Europäer"
- respektive Frankreichs - zu hören, sondern selbst zu
handeln. Eine bessere PR hätten sich die Republikaner für
ihren Präsidenten gar nicht wünschen können und
sehen der Wiederwahl deshalb relativ gelassen entgegen.
Es gab zwar die medienwirksam auftretenden
Demonstranten vor dem Parteitag der Republikaner, aber sie sind
numerisch und in der Auswirkung kein Vergleich zu den
Anti-Vietnam-Demos der 60er- und 70er-Jahre. Auch gibt es ein
Phänomen, das es vorher noch nie gegeben hat: Selbsternannte
"Hassgruppen" gegen Bush. Noch nie hat ein Präsident in der
Geschichte der USA die öffentliche Meinung im In- und Ausland
so gespalten wie George Walker Bush; noch nie ist die Ablehnung
eines Präsidenten und seiner Politik derart markant
geäußert worden. Doch die "Bush Hate Groups" formieren
sich in erster Linie im Internet, sammeln Geld, um Anzeigen gegen
den Präsidenten zu schalten. Wie groß diese
Unterstützung für den farblosen und "leisen" Kandidaten
der Demokraten letztlich am Wahltag ausfallen wird, kann zwar nicht
abgesehen werden. Dennoch ist erfahrungsgemäß zu
bezweifeln, dass die "Internet-Freaks" mit Hass-Parolen
wahlentscheidend wirken können.
Denn für den amerikanischen
Otto-Normalverbraucher zählen nur zwei Dinge: was er in der
Tasche hat und ob der Präsident eine starke Führernatur
ist, die für Recht, Ordnung und Sicherheit sorgt.
Was die wirtschaftliche Lage angeht, hat Bush
in den vergangenen vier Jahren keine Glanzleistung hingelegt, wie
etwa sein Vorgänger Bill Clinton. Er hat zwar durch eine
dramatisch wirkende Steuerrückzahlung versucht, den
Amerikanern zu suggerieren, seine Regierung stünde für
"weniger Staat und mehr Privateigentum". Der Terrorangriff auf die
USA am 11. September 2001 hat aber dieses Steuergeschenk an die
Bürger der USA größtenteils zur hilflosen Geste
verkommen lassen. Nicht nur trat im Binnen- und Außenhandel
der USA aufgrund einer gewissen Verunsicherung eine konjunkturelle
Abkühlung ein. Auch die amerikanische Staatsverschuldung, mit
der Sicherheitsmaßnahmen zu Hause und der Krieg im Irak
finanziert wird, belastet die Wirtschaft.
Die Republikaner, die traditionell für
ein "Balanced Budget" eintreten, nehmen wieder ein Haushaltsdefizit
in Kauf, das die ganze Weltwirtschaft beeinträchtigt. Nach
Berechnungen des Internationalen Währungsfonds beträgt
die Gesamtverschuldung der USA 57 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts, mit steigender Tendenz - und katapultiert
das Land damit in die Nähe Deutschlands (61 Prozent), das in
den USA häufig als ein Beispiel eines
"sozialistisch-träumerischen Fehlschlags" zitiert
wird.
Zwar liegen die Arbeitslosenzahlen nach wie
vor mit vier bis fünf Prozent nur halb so hoch wie in
Deutschland, für Präsident Bush stellen sie aber durchaus
eine Belastung dar, zumal viele weiße Arbeiter aus der
Stahlindustrie und dem Kohlebergbau sowie in den traditionell
konservativen Südstaaten ohne Job dastehen. Da weiße
Arbeiter immer noch eher zur Wahl gehen als Afro-Amerikaner,
wittern die Demokraten eine Chance.
Insbesondere deren Vize-Kandidat John Edwards
hat auf dem Parteitag der Demokraten einen Klassenkampf
eröffnet: "Us versus them - wir gegen sie." Edwards spricht
seither gezielt die Armen und die untere Mittelschicht der USA an,
indem er behauptet, unter Bushs Regierung seien die Reichen reicher
und die Armen ärmer geworden. Dann zieht er die dramatischen
Verlustzahlen der vergangenen vier Jahre aus der Tasche. Diese
Zahlen gibt es tatsächlich, nur: Sie betreffen lediglich zwei
Prozent der Amerikaner. Jene, die über ein Jahreseinkommen von
mehr als 200.000 Dollar verfügen. Die Mittelklasse mit einem
Einkommen von 25.000 bis 200.000 Dollar konnte hingegen
durchschnittlich sogar zulegen. Die Armen, die unter 25.000 Dollar
liegen, haben zwar einen Einkommensverlust von 1,4 Prozent
hinnehmen müssen, sind aber die einzigen, die von der
Steuerrückzahlung wirklich profitieren, so dass sie am Ende
genauso dastehen wie zuvor.
Also theoretisch kein überzeugendes
Argument der Demokraten gegen den Präsidenten. Die meisten
Amerikaner lesen aber keine Wirtschaftsdaten und stellen solcherart
Vergleiche an. Für sie zählt der subjektive Eindruck, der
lautet: "Ich habe heute weniger Geld als unter dem Demokraten Bill
Clinton."
Der Präsident steigt deshalb in seiner
Wahl-Kampagne auf ein völlig anderes Thema ein: die
Legalisierung der auf acht bis zwölf Millionen
geschätzten illegalen Einwanderer, zumeist aus Lateinamerika.
Bush spricht damit die wirklich ärmste Schicht in den USA an
und riskiert einerseits, dass er einen Teil seiner Partei gegen
sich aufbringt. Andererseits pokert Bush damit, die rund 30
Millionen Hispano-Amerikaner ganz als Wähler für sich zu
gewinnen.
Dies hat der Präsident bei seiner Wahl
im Jahr 2000 teilweise erfolgreich in den Südweststaaten und
in Florida geschafft. Die Chancen, dass er sich damit bei den
offiziell eingewanderten Hispanos einschmeichelt, stehen sehr gut.
Obwohl die meisten von ihnen zu den Ärmsten der amerikanischen
Gesellschaft zählen und sich oft für Dumping-Löhne
verdingen, sind die Demokraten eher auf afro-amerikanische Arbeiter
konzentriert und bisher nicht in der Lage, eine signifikante
Wählerschaft unter ihnen anzusprechen.
Die Hispano-Amerikaner schätzen an
Präsident Bush seine Führungsqualität - das ist das,
was sie aus ihren Herkunftsländern ohnehin gewöhnt sind,
den "starken Caudillo". Schon im Jahr 2000 und jetzt noch viel
mehr, wirbt Bush auf spanischer Sprache für sein "Proven
Leadership". Seine texanische Herkunft und sein gelegentlich
saloppes Auftreten sprechen die Hispano-Amerikaner jedenfalls mehr
an als der steif und kühl wirkende Kerry aus dem
Norden.
Ohnehin setzt die Bush-Wahlkampfmaschinerie
mehr auf die "Entscheidung aus dem Bauch" als auf rationale
Überlegungen. Jeder weiß: der Präsident ist kein
Intellektueller. Er denkt in Schwarz und Weiß, Gut und
Böse - wie die meisten Menschen, insbesondere ungebildete
Einwanderer aus Südamerika. Gleichzeitig vermittelt er in
seinen Fernsehreden, allen voran die weltweit übertragenen
"Reden an die Nation" Entschlossenheit, Durchsetzungsfähigkeit
und, dass die USA eine große und großartige Nation
sind.
Jeder Einwanderer identifiziert sich mit
solch einem Bild eher, als mit jenem, das die Demokraten
verbreiten. Aus deren Sich sind die Vereinigten Staaten gespalten,
ideologisch wie wirtschaftlich, international isoliert dank der
rigorosen Politik des Präsidenten und versetzen die Welt in
Angst und Schrecken. Dieses Negativbild will und wird kein
Einwanderer akzeptieren. Insofern zeigt das Bush-Team, dass es am
Puls der amerikanischen Gesellschaft liegt, während die
Demokraten hauptsächlich auf ihre traditionellen
Wählerschichten setzen: Arbeiter, Afro-Amerikaner und
Intellektuelle.
Das größte Handicap, das Bush
derzeit in seinem Wahlkampf hat, liegt indes auf einer anderen
Ebene: Es geht um die innere Sicherheit. Nichts würde der
Präsident lieber auf seine Fahnen schreiben, als dass er seit
dem 11. September 2001 für Sicherheit gesorgt hat. Doch wie
gut das Sicherheitssystem funktioniert, ist für den einzelnen
Wähler nur schwer durchschaubar und auch kaum zu
beurteilen.
Welche Chancen haben der Demokrat John Kerry
und der Republikaner George W. Bush, nach dem 2. November 2004 ins
Weiße Haus einzuziehen? Seine Unfrageergebnisse sind zwar
günstig für ihn, alle Umfrageinstitute verweisen indes
darauf, dass der Irrtum ihrer Ergebnisse um bis zu vier Prozent
schwanken kann. Das Wahlergebnis wird also wahrscheinlich wieder
eng. Die Prognose könnte lauten: Bush bleibt Präsident,
weil sich die Mehrheit der amerikanischen Wähler vom
islamistischen Terrorismus bedroht fühlt und in Bush - mit
Abstrichen - die richtige Führungsperson für "God's own
country" sieht, die dieses Sicherheitsbedürfnis ausreichende
befriedigt.
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