Ernst Klee
In brauner Zeit
Die Universitäten Jena und Halle
Die Universität Jena ist die einzige, die von Hitler
freiwillig aufgesucht wurde. Das war 1930. In Thüringen
amtierte damals als Minister für Inneres und für
Volksbildung Wilhelm Frick (ab 1933 Reichsinnenminister).
NSDAP-Minister Frick zwang der Jenaer Universität Hans
Günther auf, genannt Rassen-Günther, Autor des
Bestsellers "Rassenkunde des deutschen Volkes". Zur
überfüllten Antrittsvorlesung des neuen Professors
erschienen neben Frick auch Göring und Hitler. Die Geschichte
der Universität Jena im Dritten Reich ist geprägt von dem
ehemaligen Sportarzt und späteren SS-Standartenführer
Karl Astel.
Astel, ab 1934 Professor für Züchtungslehre, wollte
die Hochschule in Absprache mit Reichsführer-SS Heinrich
Himmler zur braunen Universität hochrüsten. Himmlers Mann
in Jena wird 1939 Rektor und bleibt es bis zum Suizid 1945.
So wurde Jena zum Sammelbecken von braunen Di-lettanten. Einer
von ihnen ist SS-Sturmbannführer Falk Ruttke ("Die
Verteidigung der Rasse durch das Blut"), der Rasse und Recht
lehrte. Ein anderer ist der Jurist Johann von Leers, NSDAP-Mitglied
ab 1929, Autor des Werkes "Odal. Das Lebensgesetz eines ewigen
Deutschland". Leers lehrte Rechts-, Wirtschafts- und politische
Geschichte auf rassischer Grundlage. Nach dem Krieg arbeitet er als
Propagandist in Ägypten. Unter dem Namen Omar Amin von Leers
ist er 1965 in Kairo gestorben.
Im Oktober 1945 begann die "antifaschistisch-demokratische
Neugeburt" der Universität Jena. Anerkannte Wissenschaftler,
so die Universitätsgeschichte der Alma Mater Jenensis, wurden
berufen. Einer von ihnen ist der Anatom Hermann Voss, der mit der
Gestapo in Posen kooperiert hatte. Er lauerte bei Exekutionen nahe
der Guillotine, um die Ermordeten sofort verarbeiten zu können
(Handel mit Polenskeletten und Judenschädeln). 1959 erhielt er
den Titel Hervorragender Wissenschaftler des Volkes.
Zur antifaschistischen Neugeburt zählt auch der
Pädiater und Ex-SA-Sanitätssturmführer Erich
Häßler. Er hatte während der NS-Zeit in der
Leipziger Uni-Kinderklinik - ein Zentrum des NS-Kindermordes - als
zweiter Mann fungiert. Häßler, einst Obmann des
NS-Dozentenbunds, Inhaber eines Schulungsausweises des
Rassenpolitischen Amts der NSDAP, wird 1953 Ordinarius. Im Januar
2004 solidarisierte er sich mit seiner Kollegin Rosemarie Albrecht,
nachdem die Staatsanwaltschaft Gera gegen die ehemalige
Hals-Nasen-Ohren-Professorin Mordanklage erhoben hatte: Frau
Albrecht leitete von 1940 bis 1942 die Frauenseite der
psychiatrischen Anstalt Stadtroda.
Just zur Zeit, da in Jena die Vergangenheit Gegenwart wurde,
stellte die Universität einen Sammelband zur NS-Zeit vor. Es
sind lesenswerte Beiträge darunter. Problematisch ist der
Titel, weil ein NS-Begriff: Kämpferische Wissenschaft. Die
Herausgeber wollen damit herausstellen, dass sich Wissenschaftler
freiwillig als braune Dienstleister verstanden. Leider ist das Buch
eine editorische Katastrophe. Das monströse Werk umfasst
nämlich 1.160 Seiten. Allein 121 Seiten verschlingt der
Einleitungstext (vieles wird doppelt und dreifach erzählt).
Das Monstrum kostet die irrwitzige Summe von 154 Euro.
Ein Beispiel hätten sich die Autoren an der
Universität Halle nehmen können. Dort ist die
NS-Vergangenheit vorbildlich und lesbar aufgearbeitet worden. Es
ist ein Verdienst des Historikers Henrik Eberle. In Halle -
gelegentlich als "akademisches Workuta" bespottet - amtierte der
Paläontologe Johannes Weigelt von 1936 bis 1945 als Rektor.
Weigelt war beseelt von dem Gedanken, "uns als
Gebrauchsuniversität für den nationalsozialistischen
Staat zur Verfügung zu stellen". So wurden wissenschaftliche
Institute zu Rüstungsbetrieben, beteiligten sich Professoren
an der Ausplünderung besetzter Länder.
Der Historiker Eberle hat die Universitätsgeschichte mit
einem beispielhaften biographischen Lexikon versehen. Es bietet
etwa 450 Lebenssabrisse und listet die NS-Mitgliedschaften des
Lehrkörpers penibel auf. Ein exzellentes Werk. Leider haben
dies die Rezensenten nicht wahrgenommen. Das Buch blieb nahezu
unbesprochen. Hoffentlich nicht, weil es die NS-Vergangenheit so
sorgfältig bearbeitet. Ernst Klee
Uwe Hoßfeld, Jürgen John, Oliver Lemuth, Rüdiger
Stutz (Hrsg.)
"Kämpferische Wissenschaft".
Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus.
Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2003; 1160 S., 154,-
Euro
Henrik Eberle
Die Martin-Luther-Universität [Halle] in der Zeit des
Nationalsozialismus 1933 - 1945.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2002; 539 S., 29,50,- Euro
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