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Christian Hacke
Viele Perlen unter sehr viel Wust
Bill Clintons voluminöse
Erinnerungen
Bill Clinton, der Popmusik liebt und bei der
Amtseinführung einen entsprechenden Rahmen wählte, war am
Ende seiner Präsidentschaft selbst zum Popstar avanciert.
Clinton ist Kult nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland,
wie seine jüngste Reise anlässlich der Vorstellung seiner
Memoiren gezeigt hat. Noch nie haben Erinnerungen eines
Präsidenten derart intensive Reaktionen ausgelöst, noch
nie wurden sie in so hohen Auflagen gedruckt, noch nie so viel
Vorschuss gezahlt.
Doch lohnt sich die 1.450 Seiten umfassende
Lektüre? Der Leser braucht einen langen Atem und muss sich auf
unkonventionelle Lesegewohnheiten einstellen. Die gute Nachricht
lautet: Die Sätze haben Punkt und Komma. Die schlechte dagegen
ist: Es gibt keine Gliederung, keine Schwerpunkte, keinen roten
Faden, keine Unterscheidung zwischen Politischem und Privatem.
"Mein Leben" gleicht einem Konvolut, einem sperrigen, massigen,
schweren Klotz, der unzulänglich bearbeitet wurde. Die
Schwerpunkte muss der Leser erst für sich in einem
mühsamen Prozess heraussuchen.
Clinton macht es dem Leser nicht leicht. Aber
wenn man sich auf seinen Stil einlässt, stößt man
auf interessante, überraschende und aufschlussreiche
Informationen. Er beschreibt seine facettenreiche Entwicklung von
der Geburt nach einem heftigen Sommergewitter in Hope am 19. August
1946 bis in die heutige Zeit. Doch was er im "Spiegel"-Interview
als eine "ziemlich gute Geschichte" schildert, ist ein
weitschweifiger, langatmiger Bericht der mannigfaltigen Stationen
seines Lebens: Nach dem Jurastudium wird Clinton zum am
längsten amtierenden Gouverneur seines Heimatstaates Arkansas,
wo er sich schon als neuer Kennedy, als politisches Naturtalent und
als charismatischer Visionär zu präsentieren versucht.
Bis der Leser zum politischen Kern, der Zeit der
Präsidentschaft, vorstößt, muss er sich durch 476
Seiten quälen.
Doch auch für die Präsidentschaft
fehlen ein roter Faden oder eine Gliederung nach sachlichen,
persönlichen, politischen oder anderen Gesichtspunkten. Die
Mängelliste der gnadenlosen Kritikerin der "New York Times",
das Buch sei geschwätzig, schlampig, eigensüchtig und
einschläfernd langweilig, kann nur schwer widerlegt
werden.
Umsichtige Außenpolitik
Doch darf dabei nicht übersehen werden,
dass sich im Wust von Banalitäten und
Selbstgefälligkeiten eine Außenpolitik und ein
Präsident verbergen, der auf behutsame, umsichtige und
visionäre Weise die USA auf das 21. Jahrhundert vorbereitet
hat. Ähnlich wie Harry Truman durchschritt Bill Clinton
während seiner achtjährigen Präsidentschaft einen
bemerkenswerten politischen Reifeprozess. Schien er anfangs
unsicher, so entwickelte er Machtbewusstsein und taktisches
Geschick. Er verbrämte amerikanische Machtpolitik mit
weltwirtschaftlichen Argumenten und wurde zum ersten
Präsidenten, der die Interessen der USA im Zeichen der
Globalisierung primär ökonomisch zu verwirklichen
suchte.
Klug versucht er, konservative Kritiker zu
widerlegen, er hätte Amerikas militärische Stärke
aufs Spiel gesetzt und in außenpolitischen Krisen versagt.
Ausgiebig verteidigt Clinton seine Maßnahmen gegen den
Terrorismus und gibt offen zu, dass seine größte
Enttäuschung darin besteht, bin Laden nicht gefasst zu haben.
Linke Kritiker versucht er zu widerlegen, dass er den Genozid in
Ruanda nicht verhindert, im Bürgerkrieg auf dem Balkan zu
lange zugeschaut und internationale Organisationen, wie die UNO
geschwächt oder vernachlässigt habe.
Clinton beschreibt eindringlich, wie sich
1993 die humanitäre Intervention in Somalia, von
Präsident Bush sen. eingeleitet, unter seiner Ägide zur
Katastrophe entwickelte, als 24.000 UN-Soldaten, darunter 4.000
Amerikaner, vergeblich für Ordnung zu sorgen suchten. Der
Versuch, einen Warlord zu fangen, endete im Blutbad. Unvergessen
die Fernsehbilder, als Amerikaner durch Mogadischu geschleift
wurden und Clinton sich daraufhin zum Rückzug
entschloss
Diese Entscheidung war in den Augen der
Republikaner eine Ursünde: Amerika darf nicht Schwäche
zeigen und sich wegstehlen. Clintons angebliche Feigheit wurde zur
Voraussetzung und zum Ausgangspunkt für den unabwendbaren
Aufstieg der Neokonservativen in den USA und vor allem innerhalb
der Republikanischen Partei. Doch Clintons Analyse und
Erklärung für sein Verhalten macht Sinn und stimmt
nachdenklich. Eigentlich habe er den Warlord weiterjagen wollen,
doch dann "hätten wir, und nicht die UNO, Somalia besessen.
Ohne Garantie, dass wir das Land besser aufbauen würden als
die UNO." Angesichts der prekären Erfahrungen des Irak-Krieges
wirkt diese Lagebeurteilung hellsichtig. In der Rückschau
erscheint seine Politik vielleicht für Neokonservative feige
und zögerlich, für andere aber klug und mit Sinn für
Grenzen und Proportionen von Amerikas Rolle in der Welt.
Distanz zum Nachfolger
Clintons Außenpolitik war nicht
fehlerfrei, aber von Bushs Militanz weit entfernt. Clinton grenzte
sich geschmeidig mit seiner Politik der Globalisierung von der
seines Nachfolgers ab. Er hielt nichts von einem manichäischen
Weltbild. Die Memoiren zeigen vielmehr, dass Bill Clinton
amerikanischen Universalismus im Sinne einer zivilisatorischne
Vorbildrolle verstand, aber vor militärischer Intervention
zurückschreckte. Es sei eine jahrhundertealte Zwangsneurose zu
glauben, so schreibt er, dass unsere Unterschiede wichtiger sind
als unsere gemeinsame Menschlichkeit, wenn er die Ausbreitung von
Demokratie als Ziel seiner Außenpolitik
begründet.
Ist der Titel der Rezension im
neokonservativen "Weekly Standard" ("Schrumpfender Clinton, dickes
Buch, schmales Vermächtnis") gerechtfertigt? Es ist in der Tat
ein dickes Buch und der Leser muss sich durch viel
Überflüssiges durchwühlen. Es gleicht
Tagebucheintragungen, Protokollen, Lebensbeichten, Zeitanalysen und
inneren Monologen. Vieles verschwimmt zu oft in einem
ermüdenden Konglomerat, wobei Clinton weder die inneren
Monologe nach Vorbild von James Joyce im Auge hat, leider aber auch
keine Konzentration und sachpolitische Dichte wie viele seiner
Vorgänger.
Dem Buch fehlt auch Systematik, gedankliche
Disziplin und eine klare Trennung von Politik und Moral im
öffentlichen und persönlichen Leben. Die
Lewinsky-Affäre wird von ihm vielmehr moralisch
pädagogisch aufbereitet, wobei Clintons Sinn nach Reue und
religiöser Erlösung seltsame, ja zum Teil peinliche
Eindrücke hinterlässt. Zwar war diese Affäre im
Vergleich zu Nixons Watergate von privater Leichtigkeit
geprägt, aber die Kosten waren auch für Clinton hoch. Die
Affäre überschattet bis heute seine Präsidentschaft.
Deshalb sucht Clinton in seinen Erinnerungen die Gründe
für die Hatz auf ihn weniger in seinen persönlichen
Verfehlungen, sondern mehr im Bedürfnis der Republikaner nach
Rache. Diese wollten nach dem Ende der Sowjetunion einen neuen
Feind im amerikanischen Präsidenten erfinden, so Clinton. Das
klingt reichlich übertrieben. Der Versuch, die amerikanische
Rechte ins Abseits zu stellen, wirkt wenig
überzeugend.
Doch eines machen die Memoiren deutlich: Bei
Clintons privaten Affären wirkten pharisäerhaftes
Moralisieren sowie Gewinn- und Sensationssucht der Medien und der
Republikaner auf bedenkliche Weise zusammen. Die eifernden
Ankläger wirkten abstoßend, Clintons Verhalten lediglich
anstößig. Oder wie man auf einem amerikanischen Aufkleber
lesen kann: "When Clinton lied nobody died."
Die Memoiren zeigen auch, wie sich unter
Clinton die Rolle des Präsidenten insgesamt verändert
hat: Vom Chef im Weißen Haus zum Chefkoordinator eines immer
komplizierter werdenden Regierungssystems. Clinton wurde zum
Taktieren gezwungen, seine Amtshandlungen bezogen sich immer
weniger auf die klassische Rolle als Staatschef, sondern immer mehr
auf die des Chefkoordinators. Bei Clintons außenpolitischem
Führungsstil stieg natürlich der Handlungsspielraum
für Außenministerin Albright und Verteidigungsminister
Cohen. Beide personifizierten einen zupackenden Internationalismus,
der in der zweiten Amtsperiode Clintons zum Zuge kam und seiner
Außenpolitik realpolitischen Schwung verlieh.
Nicht nur in Clintons Erinnerungen, sondern
objektiv gesehen fällt die außenpolitische Bilanz seiner
Regierungszeit überwiegend positiv aus: Er stellte die
Führung der USA in der Welt wieder her, nicht zuletzt
ökonomisch und zivilisatorisch. Clinton hat unter den neuen
Bedingungen von Globalisierung Amerikas Rolle in der Welt
vergrößert, sein Ansehen gestärkt und seine
Interessen ausgedehnt. Die USA als sanfter Hegemon mit
zivilisatorischem Führungsanspruch wurde von Clinton
vorbildlich verkörpert, - hätte er doch nur genügend
Disziplin und gedankliche Konzentration aufgebracht, diese
Leistungen angemessen in seinen Erinnerungen darzustellen! So
bleibt als Fazit festzuhalten: Persönlichkeit und Politik von
Präsident Clinton waren weitaus eindrucksvoller als die
Erinnerungen vermuten lassen.
Bill Clinton
Mein Leben.
Econ Verlag, Berlin 2004;
1472 S., 28,- Euro
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