|
|
Igal Avidan
Leben mit einem Dauerkonflikt?
Zwei selbstkritische Bücher über
Israelis und Palästinenser
Der israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann macht
sich ernste Sorgen um die Zukunft seines Landes. Es ist ein
ungewöhnliches Buch, denn es entstand zwischen drei
verschiedenen Ereignissen - kurz vor den letzten Parlamentswahlen
und dem Irak-Krieg, kurz nach der Wiederwahl Sharons als
Regierungschef im Februar 2003 und schließlich gleich nach der
ersten, misslungenen Tötung des inzwischen ermordeten
Hamas-Chefs Sheich Ahmad Jassin.
Zuckermann, Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte
an der Universität Tel Aviv, geht auf die Veränderungen
in der politischen Landschaft Israels ein, stellt zugleich die
grundsätzlichen Hindernisse einer friedlichen Beilegung des
Konfliktes mit den Palästinensern dar und weist auf die
unterschwelligen Auseinandersetzungen innerhalb der israelischen
Gesellschaft hin, die zur Zeit nur angesichts des Bedrohung der
Israelis in den Hintergrund treten.
Warum unterstützen die meisten Israelis Sharons repressive
Politik gegenüber den Palästinensern, wenn ihnen doch
klar sein muss, dass der Terror nicht mit militärischen
Mitteln auszumerzen ist? Zum einen, sagt Zuckermann, weil die
Arbeitspartei "ein halbtoter Politikadaver" ist, ferner weil die
Israelis durch den gewalttätigen Alltag unter einem
"deformierten Bewusstsein" leiden und ohnehin eine
"militärische Mentalität" haben.
Wichtiger ist für Zuckermann, dass die meisten Israelis
einen Bruderkrieg mit den gewaltbereiten Siedlern befürchten,
weil sie damit den Fall des alten Königreichs Israel
verbinden. Dass eine klare Mehrheit der Israelis einen Rückzug
aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen befürwortet, ist
eine optische Täuschung, "weil diese Deklarationen nie auf die
Bewährungsprobe gestellt wurden". Außerdem hegen viele
Israelis Sympathie mit den Siedlern, die sie als "echte Nachfolger
des Siedlungszionismus" betrachten.
Der Autor scheint einen Bürgerkrieg in Israel einer
Fortsetzung der Besatzung vorzuziehen. Vielleicht glaubt er, dass
die Siedler letztendlich vor Gewalt gegen Juden
zurückschrecken würden, vielleicht, dass das
Blutvergießen nur kurz sein wird. Jedenfalls glaubt er nicht,
dass die Sharon-Regierung Siedlungen evakuiert. Sharons
"erstaunliche" Wende, in mdem er von "Besatzung", "schmerzhaften
Kompromissen" und einem Palästinenserstaat spricht, sind, da
ist sich Zuckermann sicher, nur leere Worte.
Für den Fall, dass Sharon wirklich Siedlungen räumen
lässt, hält der Verfasser entgegen, dass die
Palästinenser mit der Hälfte der Westbank nicht zufrieden
sein können, die ihnen Sharon anbietet. Ein
Palästinenserstaat ist deswegen "ein totgeborenes Kind". Daher
blieben den Israelis nur zwei Alternativen, die gleichermaßen
eine Auflösung des zionistischen Projektes darstellten.
Entweder sie gründen in Groß-Israel ein Apartheidsystem
oder einen binationalen Staat. Dass die Juden keine Minderheit im
eigenen Lande sein wollen, steht außer Frage. Wohin Israel?
"In den Dauerkonflikt", meint Zuckermann.
Indirekte Schuld am palästinensischen Terror gibt den
Israelis auch die israelische Journalistin Amira Hass. Die einzige
israelische Korrespondentin, die im Palästinensergebiet lebt,
teilt Zuckermanns Ansichten auch bezüglich des
Camp-David-Gipfels. Die Israelis behaupten, dass dieses Treffen
scheiterte, weil Palästinenserpräsident Arafat das
großzügige Angebot des israelischen Premier Barak
abgelehnt hat. Zuckermann weiß, dass "die Israelis nicht zu
einem wirklichen Kompromiss-Frieden bereit sind". Hass meint, dass
Baraks Vorschlag in Camp David "einen lebensfähigen
Palästinenserstaat unmöglich machen würde". Weil
Israel große Siedlungsblocks behalten will, muss ein
künftiger Palästinenserstaat in der Westbank aus drei
voneinander getrennten Kantonen bestehen: Dem Norden, dem
Süden und Ost-Jerusalem.
Die verbindenden Straßen sollten demnach unter israelischer
Hoheit bleiben. Gleichzeitig dehnt sich die Siedlung Maale Adumim
bei Jerusalem, die Sharon niemals räumen will, inzwischen auf
5.300 Hektar, aus und ist damit von der Fläche
größer als die Stadt Tel Aviv. In Maale Adumim leben
übrigens 25.000 Menschen, in Tel Aviv 60.000. Hass ignoriert
die Tatsache, dass sogar im von führenden Israelis und
Palästinensern unterzeichneten Genfer Abkommen Maale Adumim
ein Teil Israel bleibt und die Palästinenser dafür ein
gleich großes Gebiet innerhalb Israels erhalten.
Politisch sind Zuckermann und Hass gleicher Meinung, stilistisch
unterscheiden sich ihre Werke stark voneinander. Während
Zuckermann seine klaren Gedanken zu Israel in verschachtelten
Sätzen und mit wissenschaftlichen Begriffen formuliert,
beschreibt Hass in 37 ausgewählten Artikeln, die bereits in
der Tageszeitung "Haaretz" erschienen sind, den Alltag der
Palästinenser unter der israelischen Besatzung.
Haas ergreift offen Partei für die leidenden
Palästinenser, nicht für Jassir Arafats Regime. Sie
beschreibt das Leiden von Palästinensern, deren Häuser
zerstört und Grundstücke enteignet wurden. Sie spricht
mit einer Palästinenserin in Hebron, deren Nachbarn alle vor
den Schikanen der Siedler geflohen waren und die einen israelischen
Soldaten anflehte, Medikamente für ihre kleinen Kinder kaufen
zu dürfen. Hass begleitet palästinensische
Fahrgäste, darunter ältere und kranke Menschen, die einen
Erdwall erklettern müssen, mit dem Israel alle
Zufahrtsstraßen in die West Bank-Kleinstadt Beit Jala
blockiert: "Zwei junge Männer stützen einen älteren
Herrn, tragen ihn praktisch an den Armen. Er ist nicht ihr Vater.
Sie saßen lediglich im selben Taxi."
Die "Haaretz"-Journalistin ist keine Propagandistin. Sie
lässt einen Palästinenser auf die eigenen Militanten der
Al-Aqsa-Brigaden schimpfen, sie seien "Kriminelle aus
fragwürdigen Familien, halbe Analphabeten, die Kämpfer
spielen". Die gesuchten Militanten räumen ihr gegenüber
ein, dass die Liquidierung ihrer Führung sie schwer treffe und
dass Arafats Fatah-Führer ihnen freie Hand geben würden,
um durch Mord an Israelis mit dem Hamas um Popularität zu
konkurrieren.
Die Palästinenser wollen nicht unter Israelis leben,
können aber ohne Israel nicht überleben, so Hass. Einige
gehen nach Israel, um zu morden, Tausende gehen dorthin, um ihr
Brot zu verdienen. Wer sich daher Sorgen um Israel macht, muss auch
die Sorgen der Palästinenser ernst nehmen. Igal Avidan
Amira Hass
Bericht aus Ramallah.
Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet.
Diedrichs Verlag, München 2003; 231 S., 19,95 Euro
Moshe Zuckermann
Wohin Israel?
Wallstein Verlag, Göttingen 2004;, 48 S., 14,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|