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Karl-Otto Sattler
Peter Müller etabliert sich als
Landesfürst
Saarland: Dramatischer Rückgang der
Wahlbeteiligung verstärkt das SPD-Desaster
Business as usual. Es herrscht wieder Ruhe im
Landtag am Saarufer, den ein vielhundertköpfiger Medienpulk
vom japanischen TV-Sender NHK über das dänische Fernsehen
bis hin zu ARD und ZDF einen Abend lang in einen kleinen
Hexenkessel verwandelt hat. Auch landespolitisch hat sich die
Aufregung rasch wieder gelegt, jedenfalls beim Wahlsieger CDU. Der
auch in der Berliner Bundeszentrale der Union gefeierte
Ministerpräsident Peter Müller, der den Triumph seiner
Partei mit seiner enormen Popularität praktisch im Alleingang
eingefahren hat, spricht von einem "stolzen Tag" für die
Saar-CDU.
Der Fraktionsvorsitzende Peter Hans
konstatiert eine "aufgeräumte Stimmung" in den eigenen Reihen
und freut sich, "dass Müllers Position im Gefüge der
Bundes-CDU jetzt weiter gestärkt wird". Richtung Berlin
schickt der Regierungschef eine deutliche Botschaft: Ihren Sieg im
Saarland habe die Union erreicht, obwohl die großen Parteien
auf Bundesebene mit wachsenden Problemen zu kämpfen
hätten. Zwei Prozentpunkte draufgesattelt, die absolute
Mandatsmehrheit um einen Sitz ausgebaut: Müller kann
weitermachen wie bisher.
Vor dem Urnengang hatte die CDU "Fortsetzung
folgt" plakatiert, und so geschieht es nun auch. Die gewohnten
Themen bleiben auf der Tagesordnung: etwa die Sparmaßnahmen im
öffentlichen Dienst, der Strukturwandel weg von der Kohle und
hin zu modernen Technologien, die Fortentwicklung der
Wissenschafts- und Forschungslandschaft und vor allem die
Haus-
haltsnotlage - schließlich ist das Land
wie schon 1994 mit rund 7,5 Milliarden Euro verschuldet, und dies,
obwohl von 1995 bis 2004 insgesamt 6,6 Milliarden Euro im Zuge
einer Teilentschuldung aus der Bundeskasse nach Saarbrücken
flossen. Müller will weitere Hilfen aus Berlin, wobei er eine
Klage vor dem Karlsruher Verfassungsgericht nicht
ausschließt.
Auch personell tut sich kaum Neues: Peter
Hans wird weiter die Fraktion führen, Hans Ley dürfte im
Amt des Parlamentspräsidenten bleiben. Zu Spekulationen
über seine künftige Ministerriege hüllt sich
Müller in Schweigen, doch auch da ist kaum Revolutionäres
zu erwarten. Allenfalls die Frage, ob der Ministerpräsident
das Justizressort in Personalunion übernimmt, könnte
für etwas Zündstoff sorgen.
Schon nach kurzer Zeit flaut das Interesse an
den Gewinnern ab. War überhaupt was? Und ob: Der
ka-tastrophale Niedergang der SPD und ihres Spitzenkandidaten Heiko
Maas, die dramatisch gesunkene Wahlbeteiligung und der für das
Saarland erstaunliche Aufschwung der NPD haben ein republikweit zu
spürendes Beben ausgelöst. Die Auseinandersetzung
zwischen der Bundes- und der Saar-SPD über die Ver-antwortung
für das Desaster sowie der Streit um Oskar Lafontaine, dem
wegen seines Liebäugelns mit der Linkspartei mitten im
Wahlkampf nun auch Maas die rote Karte zeigt, dürften noch
lange widerhallen. Und der nun aufgeflammte Zoff zwischen den
Parteien über die Ursachen des Erfolgs der Rechtsextremisten
dürfte nach den Urnengängen in Sachsen und Brandenburg
richtig hochkochen.
Zwischen dem Medien-Schaulauf des Siegers
Müller und der Kontroverse um die Lage der geschlagenen SPD
droht fast unterzugehen, dass diese Wahl noch zwei andere Gewinner
kennt: Den Grünen mit Spitzenkandidat Hubert Ulrich und der
FDP mit dem smarten, erst 32-jährigen Christoph Hartmann
gelang knapp der Wiedereinzug in den Landtag. Die beiden
Co-Triumphatoren markieren eine Zäsur: Bislang beherbergte
Saarbrücken das einzige Zwei-Parteien-Parlament der Republik.
Ulrich und Hartmann werden ihr Bundestagsmandat niederlegen und an
die Saar auf die Oppositionsbänke wechseln. Hartmann ist
bereits im Gespräch für das Amt des Vize-Vorsitzenden der
Bundes-FDP - wobei aber auch die baden-württembergischen
Liberalen diesen Posten für sich reklamieren, der seit dem
Rücktritt von Walter Döring vakant ist.
Der Blick auf Prozentpunkte und
Mandatsgewinne verdeckt, dass eigentlich auch die CDU zu den
Verlierern der Wahl zählt. Gegenüber 1999 büßte
die Partei 44.000 Stimmen ein. Nur noch 210.000 Kreuze wurden bei
der Union gemacht, ein Rückgang von annähernd 18 Prozent.
Die auf 55,5 Prozent abgestürzte Wahlbeteiligung macht aus
diesem Minus gleichwohl ein Plus bei den Prozenten. Es gebe eine
bis in die Reihen der CDU-Anhänger hineinreichende "allgemeine
Protesthaltung", meint der Fraktionsvorsitzende Hans: "Die Politik
verlangt den Menschen Zumutungen ab, und das sind sie nicht
gewohnt."
Bauchschmerzen bereitet der "allgemeine
Protest" freilich in erster Linie der SPD. Die vollständige
Statistik offenbart das wahre Ausmaß des Desasters. Die
Sozialdemokraten verloren sage und schreibe 111.000 Wähler:
1999 waren es 247.000, jetzt sind es noch 136.000 - das sind 45
Prozent weniger.
Im Berliner Willy-Brandt-Haus war man mit
Schuldzuweisungen an die Adresse der Saar-Genossen schnell bei der
Hand. Heiko Maas und die SPD hätten verloren, so Kanzler
Gerhard Schröder und der Bundesvorsitzende Franz
Müntefering, weil sie sich nicht klar hinter den Kurs der
Bundesregierung gestellt hätten. Der von Maas verfolgte
Mittelweg zwischen der Kritik Lafontaines und der Berliner Linie
sei misslungen, so Müntefering. Der Austausch von
Freundlichkeiten zwischen Maas und Müntefering bei einem
SPD-Fest an der Spree am Mittwoch nach der Wahl kann die
Differenzen nicht überdecken. Maas meint, die Saar-SPD habe es
nicht geschafft, Müllers CDU landespolitisch Paroli zu bieten.
Vor allem aber sieht der Oppositionsführer in der Berliner
Politik der sozialen Einschnitte, die nicht gerecht ausgewogen sei,
einen zentralen Grund für das Ergebnis: "Wenn die SPD ihre
Kompetenz beim Thema soziale Gerechtigkeit verliert, wird sie keine
politischen Mehrheiten mehr mobilisieren können."
Eines unterstreicht Maas und kontert so
entsprechende Vorwürfe aus der Bundes-SPD: "Lafontaine
trägt nicht die Hauptschuld an der Niederlage." Dessen Drohung
mit der Linkspartei habe aber "zusätzlich Verwirrung
gestiftet". Lafontaines Wahlkampf-Fauxpas nimmt der 37-Jährige
zum Anlass, den Altmeister der Saar-Partei vom SPD-Spielfeld zu
stellen: Demonstrativ betont Maas, dass fortan allein die das Sagen
haben müssten, "die in der Fraktion und in der Partei die
Ämter innehaben und Verantwortung tragen" - und zu denen
zählt Lafontaine nicht, auch wenn dessen politische Positionen
an der SPD-Basis und im Gewerkschaftslager nach wie vor viel
Rückhalt finden. Einen Parteiausschluss Lafontaines, wie dies
außerhalb des Saarlands immer mal wieder verklausuliert oder
offen gefordert wird, lehnt Maas ab: "Das wäre der völlig
falsche Weg." Lafontaine selbst müsse klarmachen, ob er
innerhalb oder außerhalb der SPD Politik machen
wolle.
Als "absoluten Blödsinn" weist Maas die
Behauptung Peter Müllers zurück, Lafontaine habe mit
seiner Kampagne gegen Hartz IV erst den Auftrieb der NPD
ermöglicht. Der SPD-Oppositionsführer hingegen sieht
hinter dem Erfolg der Rechtextremisten wie auch hinter dem
massenhaften Abmarsch in die Wahlenthaltung vor allem reale soziale
Probleme: "Die Sorgen und Nöte der Menschen werden in der
Politik nicht ernstgenommen." Besonders gute Ergebnisse verbuchte
die NPD an Orten, wo die Arbeitslosigkeit hoch und die soziale
Deklassierung stark zu spüren ist - wie etwa im wirtschaftlich
gebeutelten Völklingen mit fast zehn Prozent NPD-Stimmen. Nach
Analysen der Forschungsgruppe Wahlen erreichten die
Rechtsaußen unter den Erwerbslosen im Saarland insgesamt
zwölf Prozent.
Der eigentliche Knaller der Wahl, der vor
allem die SPD erschrecken muss, ist indes die spektakulär
niedrige Wahlbeteiligung. Dabei strömten die Saarländer
jahrzehntelang besonders gern zu den Urnen: 1984 lag die Quote noch
bei über 80 Prozent, 1999 waren es knapp 69 Prozent, bei der
jetztigen Wahl waren es nur 55 Prozent - und jedes Mal schlug sich
der Rückgang mit einem dicken Minus bei den SPD-Prozenten
nieder.
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