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Jutta Witte
Ausblick auf den Kochbrunnen
Hessen: Regieren hinter historischer Fassade -
die neue Staatskanzlei
Seit den 60er-Jahren gab es die
unterschiedlichsten Pläne für einen angemessenen
Regierungssitz in Hessen. Dennoch war die Staatskanzlei noch bis
vor kurzem auf sieben verschiedene Gebäude verteilt. Nun hat
Ministerpräsident Roland Koch die "Rose" bezogen. Das
ehemalige Grandhotel liegt im Herzen des in der ausgehenden
Kaiserzeit mondänen Kurviertels der Landeshauptstadt Wiesbaden
und ist in den vergangenen drei Jahren aufwendig restauriert
worden. Am ersten Septemberwochenende wurde die neue Staatskanzlei
mit einem Festakt und einem Tag der offenen Tür
eingeweiht.
Von einer "ganz neuen Art zu
repräsentieren" schwärmt Koch seit seinem Umzug in das
rund 27.000 Quadratmeter große historische Gebäude mit
seinen 350 Räumen. "Und außerdem", findet der
Regierungschef im Gegensatz zur Opposition, "war es ein
Schnäppchen". 86,7 Millionen Euro hat das Land Hessen für
den Ankauf der "Rose", ihre Sanierung und die Innenausstattung
ausgegeben. 210.000 Euro kostete allein die Kunst im Bau. So
können Hessens Ministerpräsidenten künftig nicht nur
zwischen modernen und antiken Stilmöbeln regieren, sondern
sich auch unter historischen Kronleuchtern von rund 50
Sinnsprüchen - etwa "die Vögel philosophieren in den
Lüften" oder "wie der Sternenhimmel bin ich still und bewegt"
- inspirieren lassen, die der Offenbacher Künstler Heiner Blum
per Sandstrahler auf den Fenstern des ehemaligen Hotels verewigt
hat.
So verbirgt sich hinter der hellen
Sandsteinfassade mit ihren schmiedeeisernen Balkonen ein "bewusster
Kontrast aus Moderne und Historie", wie es Staatskanzleichef Stefan
Grüttner formuliert. Denn an Geschichtsträchtigem mangelt
es der ehemaligen Nobelherberge am Wiesbadener Kranzplatz gewiss
nicht. Seit 500 Jahren ist ihr Name verbürgt. Mauerreste und
Ziegelfunde weisen sogar auf eine noch ältere Vergangenheit:
Schon die alten Römer haben sich offenbar auf dem Terrain der
neuen Staatskanzlei im Thermalwasser der heutigen Landeshauptstadt
getummelt. Im Mittelalter avancierte die "Rose" dann zum "Badhaus
erster Klasse". Der Speisesaal und das damals dreistöckige
Wohnhaus fanden lobende Worte in zeitgenössischen
Schriftquellen: "Zur Rosen ist der fürnembsten Badherbergen
eine", heißt es, "und mit guter Commodität
versehen".
Während Wiesbaden zur Weltkurstadt
aufstieg, wurde die "Rose" zu einem Flaggschiff des damaligen
Nobeltourismus. Zwischen 1898 und 1901 wurde das jetzige
Gebäude nach dem Vorbild des französischen Neobarock
erbaut: "Häusern wie der Rose", schwärmte schon der
gescheiterte Immobilienmulti Jürgen Schneider, "gehört
meine Bauleidenschaft". Schneider war es, der die schicke Immobilie
1994 für umgerechnet rund 153 Millionen Euro erwarb, entkernte
und das Dach erneuern ließ. Er hatte für die "Rose" eine
gemischte Nutzung aus Läden, "sehr vornehmen" Appartements und
einem Fünf-Sterne-Hotel vorgesehen. Dort, wo sich heute der
Kabinettssaal befindet, sollte nach seinen Planungen die
Zentralküche des Hotels untergebracht werden. Nach seiner
Festnahme fiel der Bau als Konkursmasse an die Deutsche Bank. Mit
seinem Versuch, aus der "Rose" eine Kurklinik für
kapitalkräftige Patienten zu machen, sollte 1997 auch der
Caritas-Manager Hans-Jürgen Doerfert scheitern.
Außer einem neuen Dach hinterließ
Jürgen Schneider dem Land Hessen auch eine Stapeltiefgarage,
die laut Grüttner "mal gut, mal weniger gut" funktioniert.
Doch über kleine technische Probleme setzt sich die
Staatskanzleiführung mit Blick auf das ungewohnt
großzügige Platzangebot gerne hinweg. Die "Rose"
beherbergt jetzt 21 Tagungsräume, teils stuckverziert und mit
zeitgenössischen Marmorkaminen ausgestattet. Der
Ministerpräsident regiert in der Beletage mit Aussicht auf den
historischen Kochbrunnen. Sollte einer seiner Nachfolger lieber in
den Hof schauen wollen, kann er die Flurseite wechseln. Die
Büros der 325 Mitarbeiter - darunter auch Bedienstete der
Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und des
Statistischen Landesamtes - fallen mit ihren grauen Möbeln nun
auffallend schlicht aus.
Noch im vergangenen Herbst hatte es einen
Eklat gegeben, weil der hessische Landesrechnungshof moniert hatte,
dass die geplante Möbilierung der Regierungszentrale
ursprünglich doppelt so teuer ausfiel wie in vergleichbaren
Landesbehörden und die Ausschreibung zu stark auf einen
Anbieter ausgerichtet worden war. Dies hatte vor allem für
Zündstoff gesorgt, weil die Landesregierung beinahe zwei
Monate zuvor mit einem drastischen Sparpaket an die
Öffentlichkeit gegangen war. Der Rechnungshof sorgte
schließlich dafür, dass unter anderem schlichte
Plastikmülleimer statt der ursprünglich geplanten
"Papierkörbe ganz aus Edelstahl, nahtlos, geschliffen, Kanten
gerundet" angeschafft und auf Massivholzelemente in den
Schreibtischen verzichtet wurde. Dass Koch aufgrund des
öffentlichen Drucks auf die geplante "Luxusausstattung"
verzichten musste - was dem Landeshaushalt nun immerhin 1,3
Millionen Euro einbringt - erfüllt SPD und Grüne noch
heute mit Befriedigung. Dennoch wirft die Opposition Koch eine
"Aufblähung seines persönlichen Machtapparates" um einen
weiteren Staatssekretär und 150 zusätzliche Mitarbeiter
vor. "Während die Rose erblüht", moniert der
parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Frank
Kaufmann, "vertrocknet Hessen."
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