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Suzanne S. Schüttemeyer
Ein Topthema: Föderalismusreform
Die neue Zeitschrift für Parlamentsfragen
(ZParl) erscheint in Kürze
Das Loblied auf das Modell Deutschland und seine politischen
Erfolge mit konsensorientier-ten Verhandlungslösungen ist
verklungen. Zu unbeweglich scheint das Land, zu hartnäckig
widersetzen sich verschiedenste Interessen dem Wandel, der
angesichts anhaltender ökonomischer Probleme, fortschreitender
europäischer Integration und globalisierter Welt(-wirtschaft)
nahezu einhellig als prinzipiell notwendig erachtet wird. Dass das
gesellschaftliche Beharrungsvermögen politische
Veränderungen verlangsamt, wenn nicht gar verhindert, wird
nicht nur der mangelnden Führungskraft der Akteure
zugeschrieben, sondern das hauptverantwortliche Hindernis war
schnell in den Strukturen des deutschen Föderalismus und
seinen Verflechtungen gefunden. Hier setzen die gegenwärtigen
Bemühungen um eine Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung an. Die zu diesem Zwecke eingerichtete, vom SPD-Partei- und
Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering sowie dem bayerischen
Ministerpräsidenten Edmund Stoiber geleitete Kommission von
Bundestag und Bundesrat will Ende des Jahres nachhaltige
Reformvorschläge unterbreiten. An diesem Punkt sich der
Grundlagen, Ziele, Inhalte und Strategien der Reformen und Reformer
zu vergewissern und ihre Erfolgsaussichten zu vermessen, ist
Anliegen von Heft 3/2004 der Zeitschfrift für Parlamentsfragen
(ZParl).
Insbesondere die Landesparlamente stehen möglicherweise vor
der Herausforderung, zum ersten Mal als Sieger aus
politisch-strukturellen Veränderungen hervorgehen zu
müssen. Ihre jahrelangen Anstrengungen der Positionsbehauptung
zeichnet Uwe Thaysen nach. Er würdigt den Vorstoß der
Landtagspräsidenten, über einen Konvent die Sache des
Parlamentarismus zu stärken, erörtert ihre inhaltlichen
Vorschläge und strategische Stellung. Wenn es jetzt nicht
gelingt, den Landtagen wieder mehr Eigenständigkeit zu
erkämpfen, so Thaysen, dürfte die Konventsbewegung ihr
letztes Hurra gewesen sein. Erfolge in den Reformverhandlungen
müssen aber auch zu Erfolgen in der politischen Praxis
umgesetzt werden können. Füllen die Landtage nämlich
ihre neu errungenen Befugnisse nicht aus und werden umgehend der
Überforderung bezichtigt - dann würde in der Tat die
Föderalismusreform zum Pyrrhussieg für den
Parlamentarismus.
Frank Decker diskutiert die Positionen der Sachverständigen
in der Bundesstaatskommission zu den vier wichtigsten Themen:
Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen, Finanzbeziehungen,
Zustimmungsrechte im Bundesrat, Mitwirkung der Länder an
EU-Angelegenheiten. Er stellt die Reformansätze in den Kontext
von Strukturproblemen des Regierungssystems und kommt zu dem eher
skeptischen Schluss, dass letztlich nur die
Zurückdrängung des Konkurrenzprinzips geeignet wäre,
Entscheidungsfähigkeit und Konsensbedarf in Einklang zu
bringen. Uwe Jun beleuchtet die Reformoptionen der
(partei-)politischen Akteure in der Bundesstaatskommission. Er
unterscheidet "Wettbewerbsföderalisten" von "Flexibilisierern"
und sieht das Papier der Ministerpräsidenten in eine Richtung
weisen, die konsensfähig ist. Nach seiner Einschätzung
gibt es genug zwischenparteiliche Gemeinsamkeiten und Reserven zur
Kompromissbildung, um deutliche Reformfortschritte zu erzielen und
Entflechtung zu erreichen, ohne den sozialen Frieden zu
gefährden.
Keineswegs, so Thorsten Franz, ist die deutsche
Bundesstaatlichkeit tabu für grundsätzliche
Änderungen. Seine verfassungsrechtlichen Überlegungen, ob
ein Systemwandel zum Einheitsstaat möglich wäre,
widerstreiten der landläufigen Auffassung von der
überfälligen Reföderalisierung. Sie haben
höchst aktuelle Bezüge: Finanznot und europäische
Integration drängen in der Tat die Frage auf, "ob die
Beibehaltung mehrerer staatlicher Entscheidungsebenen auf
nationaler Ebene nicht zu teuer, zu umständlich und zu
integrationsfeindlich" ist.
Als Handreichung für die öffentliche und
wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Föderalismusreform
finden sich in diesem Heft zwei Übersichten, die die
Positionen der Sachverständigen in der Bundesstaatskommission
zu den Finanzbeziehungen und zur Kompetenzverteilung zwischen Bund
und Ländern synoptisch und vergleichend zugänglich
machen.
Oft kann der Blick über den nationalen Tellerrand
klärend wirken. Der kanadische Föderalismus hat eine
wechselvolle Geschichte von einem unitarischen Bundesstaat zu einem
der wohl dezentralisiertesten Mehrebenensysteme weltweit hinter
sich. Jörg
Broscheck stellt die jüngste Entwicklung zum "collaborative
federalism" vor, die auf schlechte Wirtschaftslage,
Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite auch in Kanada
zurückgeführt werden kann. Ob mit der stärkeren
Kooperationsnotwendigkeit zwischen Provinzen und Bund allerdings
ein neues Föderalismusmodell aus der Taufe gehoben wird,
beurteilt er vorsichtig. Das Beispiel zeigt: Auch Entflechtung und
Dezentralisierung müssen immer wieder austariert werden, um
optimale Politikergebnisse zu erzielen.
Zu häufig, so lautet eine politische Binsenweisheit,
sollten die Grundlagen staatlicher Ordnung nicht verändert
werden. Es gilt geradezu, meint Astrid Lorenz, als
Rationalitätsprinzip von Verfassungen, dass sie weitgehend
irreversibel seien. Solche Annahmen stehen auf "empirisch wackligen
Beinen", wie sie mit einer Untersuchung von 24 Demokratien
über zehn Jahre nachweisen kann. Keineswegs sind
Verfassungsänderungen - und zwar auch von Kernbereichen des
politischen Systems - selten, und Reformstau kann nicht mit zu
hohen institutionellen Hürden begründet werden. Lorenz'
Beitrag lässt den weithin unbefragt angenommenen Wert von
"Verfassungsstabilität" in neuem Licht erscheinen.
Drei Beiträge widmen sich wichtigen parlamentsrechtlichen
Entscheidungen deutscher Verfassungsgerichte. Jörg Mohr
diskutiert das Urteil des BVerfG, mit dem es dem Minderheitsrecht
in Untersuchungsausschüssen des Bundestages eine bedeutende
Dimension hinzufügte, nämlich die Mitgestaltung der
Beweisaufnahme. Er erkennt darin eine neue dogmatische
Qualität: Auch eine "potenzielle" Einsetzungsminderheit kann
künftig bei der Umsetzung im Ausschuss ein Minderheitsrecht
geltend machen. Markus Algermissen bespricht ein Urteil des BVerfG,
mit dem der schleswig-holsteinischen Landesregierung das Recht
versagt wurde, die Herausgabe von Akten an den Landtag zu
verweigern. Das Gericht hat die Kriterien weiter verdeutlicht, nach
denen das parlamentarische Interesse an Information und das
gouvernementale Interesse an Geheimhaltung abgewogen werden
müssen. Die Wende, die der Sächsische
Verfassungsgerichtshof in der Frage der Finanzausschlussklausel bei
der Volksgesetzgebung eingeläutet hat, nimmt Julia Platter zur
Grundlage, um das Für und Wider des Haushaltsvorbehalts zu
erörtern. Ihr Fazit: Es gibt keinen Grund, Volksinitiative und
Volksbegehren durch Haushaltsvorbehalte einzuschränken. Nicht
vereinbar mit dem parlamentarische Budgetrecht ist es hingegen,
finanzwirksame Gesetze einem Volksentscheid zu öffnen. Seit
Juni diesen Jahres ist die ZParl auch unter
"www.politik.uni-halle.de/zparl" im Internet zu finden. Suzanne S.
Schüttemeyer
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