|
|
Johannes Wendland
Mit dem Schlauchboot durch das Ex-Reich von
Honecker
Im Palast der Republik wird kurz vor seinem
Abriss statt Ideologie Kultur gemacht
Frank, der Holländer, kämpft um sein Gondeldiplom. Mit
einer Holzlatte stochert er mit seinem Schlauchboot durch das
Fassadenlabyrinth. Eine ganz bestimmte Route soll er abfahren, so
hat es ihm der Gondellehrer angewiesen, ein falscher Italiener mit
rot-weiß gestreiftem Strohhut: ein Dreieck von der
Gondelschule zum Parlament, weiter zur Akademie und zurück zur
Gondelschule.
Da hört er den Ruf des Zuhälters von der
"Liebesinsel", der auf seiner Insel Nutten mit
Federballschlägern, eine Meerjungfrau und eine Wahrsagerin
beschäftigt: "Taxi!" Einige Besucher wollen abgeholt werden.
Frank muss seine Route ändern. Mühsam versucht er, sein
Schlauchboot zu wenden, um die Wartenden an Bord zu nehmen.
"Das ist Berlin", lacht John, der Amerikaner, als er von der
Liebesinsel ins Boot krabbelt. Auch er hat das Ticket zur
"Fassadenrepublik" gelöst, jener Performance mit
Publikumsbeteiligung, für die der ehemalige Palast der
Republik im Erdgeschoss auf einer Fläche von rund 800
Quadratmetern geflutet wurde. Auf etwa 20 Schlauchbooten paddelt
das Publikum durch eine Landschaft aus Fassadenteilen, die locker
von der Decke hängen. In der "Akademie" kann es einem Vortrag
lauschen, in dem die Mittelmäßigkeit der Fassade des
ehemaligen Berliner Stadtschlosses mit der
Mittelmäßigkeit des Palastes des Republik verglichen
wird. Im "Parlament" kann es über gelungene und misslungene
Fassaden abstimmen und anschließend gleich neue Fassaden
selbst malen. Und dem Team von Fassaden-TV kann es dann noch ein
Interview geben. Die Fassadenrepublik ist ein verspielter
Mikrokosmos, eine jener Veranstaltungen, in denen sich
Spaßkultur, Dilettantismus und Tiefsinn auf eine Art mischen,
wie man sie so vielleicht nur in Berlin finden kann.
Das grelle Spiel mit Oberflächen und auswechselbaren
Schaufronten ist Teil einer auf drei Monate angelegten
Veranstaltungsreihe, mit der die asbestsanierte Ruine des Palasts
der Republik noch einmal für die Allgemeinheit geöffnet
worden ist. Der ehemalige DDR-Bau auf dem Berliner Schlossplatz
erlebt seinen vermutlich letzten Herbst als "Volkspalast". So
heißt das Programm, das unter Federführung der
Off-Theaterhäuser "HAU" und "sophiensaele" sowie des Vereins
Zwischenpalastnutzung bis Anfang November stattfindet. In einer
höchst theatralischen Umgebung: Die weitläufigen Foyers
und Säle, zwischen denen bei der Sanierung die Trennwände
entfernt wurden, sind auch im Rohzustand noch vielfältig zu
nutzen.
Zudem bietet die Geschichte des Hauses und die Diskussion um die
Zukunft dieses Ortes im Zentrum der Hauptstadt Stoff genug für
spannende Projekte. Der Palast soll abgerissen werden, so hat es
der Bundestag beschlossen. Im kommenden Frühling soll die auf
mindestens 40 Millionen Euro veranschlagte Demontage beginnen -
wenn die Finanzierung steht. Doch was dann? Keinesfalls werden
sofort die Bauarbeiten für die Schlossrekonstruktion beginnen.
Es gibt dafür weder ausreichend Geldmittel noch einen
endgültigen Beschluss über die Nutzung. Als erstes
würde wohl über den Trümmern des Palasts eine
Grünfläche entstehen.
Amelie Deuflhard, Theaterintendantin und eine der Leiterinnen
des "Volkspalasts", wünscht sich ein Umdenken. Sie nimmt das
Motiv auf, dass die Schlauchboot-Performance vorgibt: "Bei der
Debatte über die Zukunft des Schlossplatzes geht es doch in
erster Linie um Fassaden. Ich finde aber, dass man ein Haus von
seinem Inneren her planen sollte, von seiner Nutzung. Das Berliner
Schloss soll von außen wie ein Schloss aussehen, innen wird es
ein Hotel oder ein Museum werden. Das finde ich sehr
unbefriedigend."
Auch der Berliner Kultursenator Thomas Flierl (PDS)
unterstützt den "Volkspalast". "Das Projekt der kulturellen
Zwischennutzung nimmt den skelettierten Palast der Republik als
das, was er sein könnte: als Rohbau für eine Zukunft mit
dominant öffentlicher Nutzung", meint er. Zugleich
plädiert er aber auch dafür, nicht wieder die alten
ideologischen Gräben der Palast-Schloss-Debatte
aufzureißen, die oft entlang der Ost-West-Trennlinien
verliefen.
Bei den Befürwortern des Stadtschlosses stößt das
Kulturprogramm im Palast indes nicht auf große Zustimmung.
"Ich vermag nur wenig Wegweisendes an Kultur zu entdecken", meint
etwa der Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien, Spiritus Rector
des Fördervereins Berliner Stadtschloss. Er sieht im
"Volkspalast" einen Ausdruck für Berliner Eventkultur und
kritisiert die öffentliche Subventionierung des Projekts. So
haben unter anderem die Bundeskulturstiftung und der
Hauptstadtkulturfonds Mittel bereitgestellt. Hinter der Kritik mag
die Befürchtung stecken, dass eine neue Popularität des
Palasts den Abriss verzögern könnte.
Und in der Tat mehren sich die Stimmen für eine Moratorium.
So plädiert auch der Bundesverband der Deutschen Industrie
(BDI) dafür, den Palast als Veranstaltungsort bis zum Abriss
intensiv zu nutzen. Und hat es gleich selber vorgemacht: Mitte Juni
lud er rund 1.500 Mitglieder zur BDI-Jahrestagung in die mit
Rollteppichen und Toiletten-Containern aufgeputzte Palast-Ruine.
Der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft im ehemaligen Paradebau
des Arbeiter- und Bauernstaats? Doch es war weniger die
ideologische Pikanterie als eine praktische Erwägung, die den
BDI zu dieser Ortswahl veranlassten. Es fehlt in der Berliner Mitte
einfach ein Ort für große Tagungen. "Der Palast hat in
der Öffentlichkeit einen zu schlechten Ruf", meint
BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenburg.
In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob es den
"Volkspalast"-Veranstaltern gelingt, die öffentliche Meinung
zu beeinflussen. Bis dahin können die Besucher im Palast Teil
einer Tanzchoreographie werden ("Le Bal Moderne"), sich in einer
fiktiven Führung von dem Schauspieler Sepp Bierbichler den
Rohbau des Palasts der Republik im Jahr 1975 zeigen lassen oder in
Konzerten den Bands aus "schrumpfenden Städten" wie Detroit,
Manchester oder Ischevsk (Russland) lauschen.
Wenn sie dann den Palast wieder durch das Hauptportal verlassen,
fällt ihr Blick auf das Zentrum der Berliner Fassadenrepublik
anno 2004: direkt voraus auf die Kunststoffplane, die die alte
Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel simuliert und einen
Wiederaufbau propagiert; rechts hinten auf den jüngst
fertiggestellten Neubau der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz
Unter den Linden 1, der nach vorn wie eine Kopie des ehemaligen
Kommandantenhauses an gleicher Stelle wirkt, zur Gartenseite aber
moderne Formen besitzt; und links auf das ehemalige
Staatsratsgebäude, das zu einer Managementschule umgebaut wird
und dessen große Fensterfronten gerade demontiert sind. Mitten
auf dem Platz, auf dem einst das Schloss stand, campieren
Wohnmobile. Johannes Wendland
Das aktuelle Veranstaltungsprogramm im ehemaligen Palast der
Republik ist im Internet unter "www.volkspalast.com" zu finden.
Zurück zur
Übersicht
|