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Tilmann P. Gangloff
Fernsehen kann Integration stärken
Politiker und Experten streiten über
TV-Programme für Ausländer
Als der SFB am 6. Mai 1974 erstmals eine "Regionale Sendung
für Türken in Berlin" ausstrahlte, hätte wohl
niemand zu prophezeien gewagt, dass aus den zehn Minuten 20 Jahre
später eine ganze Radiowelle würde. Seit 1999 gibt es
auch vom WDR ein ganztägiges Hörfunkangebot für
Ausländer. Geht es nach dem Willen der Politik, soll die ARD
nun den nächsten Schritt tun und ein Ausländerfernsehen
gründen.
Der Bremer Bürgermeister Henning Scherf hat diese Idee vor
einigen Wochen öffentlich geäußert. Sie wurde im
Kreise der Ministerpräsidenten sehr positiv aufgenommen. Das
ist nicht weiter überraschend: Für Ideen dieser Art sind
Politiker immer zu haben; so ist auch der Kulturkanal Arte
entstanden. Scherf ist der Meinung, es müsse mehr für die
Integration der Ausländer in Deutschland getan werden, und das
sei doch eine gute Aufgabe für das Massenmedium Fernsehen.
Hinzu kommt: Die hier lebenden Türken, Italiener, Griechen und
anderen Migranten zahlen auch Rundfunkgebühren. Als
Gegenleistung erhalten sie wie alle anderen die Angebote von ARD
und ZDF. Ein Zielgruppenprogramm für Ausländer im
Fernsehen aber gibt es nicht; dafür müssen sie Radio
hören.
"Radio Multikulti" vom RBB ging am 18. September 1994 auf
Sendung (damals noch als "SFB4 Multikulti"). Das Programm sendet
bis 17 Uhr auf deutsch und anschließend in 17 verschiedenen
Sprachen. Mittlerweile kann man es nicht nur in Berlin und
Brandenburg, sondern auch in Frankfurt/Oder und Cottbus empfangen.
"Funkhaus Europa" hat in diesem Jahr ebenfalls ein kleines
Jubiläum feiern können. Als "Antwort auf einen
tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft" gründete der WDR
das Programm für ausländische Mitbürger im Mai 1999.
In Nordrhein-Westfalen leben 2,7 Millionen Menschen mit
ausländischem Hintergrund, darunter allein 700.000 so genannte
Spätaussiedler. In absehbarer Zeit, prognostiziert
WDR-Intendant Fritz Pleitgen, machten die Zuwanderer und ihre
Kinder die Hälfte der Ballungsraumbevölkerung aus. Auch
"Funkhaus Europa" sendet in 17 Sprachen (plus deutsch). Neben NRW,
wo der Sender unter den Ausländern auf einen Marktanteil von
11 Prozent kommt (jeder fünfte schaltet regelmäßig
ein), ist "Funkhaus Europa" auch in Bremen und Teilen von
Niedersachsen zu empfangen.
Allerdings ist völlig offen, ob ein Fernsehprogramm
ähnliche Zahlen erzielen würde. Ausländer, die nicht
ohnehin über Satellit die Angebote ihrer Heimatsender
bevorzugen, bevorzugen erfahrungsgemäß vor allem
kommerzielle Programme. Experten bezweifeln ohnehin, dass Medien
großartig zur Integration von Ausländern beitragen
können. "Nur in ganz bescheidenem Maß", sagt Beate
Schneider vom Institut für Journalistik und
Kommunikationsforschung (Hannover); alle anderen Faktoren wie etwa
das Alter oder der Geburtsort spielten eine größere
Rolle. Andererseits hätten ihre Studien ergeben: "Wer viel
deutsche Medien rezipiert, ist ein bisschen besser integriert und
hat ein größeres Interessen an Information." Schneider
räumt auch ein, dass maßgeschneiderte Medien aus
Deutschland gegenüber den Heimatsendern große Vorteile
hätten. Sie erläutert dies am Beispiel der Türken:
Das türkische TV-Programm nehme natürlich keine
Rücksicht auf die Bedürfnisse der in Deutschland lebenden
Landsleute, sondern stärke vor allem den Bezug zur
Türkei. Andererseits schätzen sie nach Schneiders
Erkenntnissen ARD und ZDF nicht besonders, weil sie die Programme
als "zu belehrend empfinden".
Medienforscher Bernd Schorb vom Institut für
Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig, würde es
zwar begrüßen, "wenn ein TV-Programm gezielt die
Integrationsanstrengungen der wichtigsten Ausländergruppen
unterstützen" würde. Er ist aber ebenfalls skeptisch, ob
dies einem öffentlich-rechtlichen Sender gelingen könnte;
er setzt größere Hoffnungen auf die Offenen
Kanäle.
Zur Sprache kommt auch immer wieder der Aspekt, dass zu einer
gelungenen Integration zwei Seiten gehörten.
Übereinstimmend fordern die Kritiker des
Ausländerfernsehens mehr "fremde" Gesichter im deutschen
Fernsehen, und zwar nicht nur, so Bernd Schorb, "als plakative
Ausländer, sondern als normale Mitbürger". In dieser
Hinsicht sind die Privatsender bereits einen Schritt weiter als ARD
und ZDF: Hier sind Ausländer viel stärker integriert: als
Moderatoren, Autoren oder Reporter. Allerdings ist keiner so
prominent wie die Galionsfigur der "Ethno-Comedy", Kaya Yanar ("Was
guckst du?!", Sat 1). Die Programmchefs von ARD und ZDF, so die
Kritik aus den eigenen Reihen, versteckten sich hingegen hinter der
vermuteten Publikumsmeinung.
Bernd Schorb ist zudem gegen ein "Medienghetto für
Ausländer". Um die Integration zu erleichtern, brauche man
nicht so sehr einen eigenen Kanal für Ausländer, sondern
viel mehr eine Sendung wie den "ZDF-Länderspiegel", nur eben
nicht mit Berichten aus den Bundesländern, sondern aus den
ausländischen Bevölkerungsgruppen.
Die beiden Wellenchefinnen von "Radio Multikulti", Ilona
Marenbach, und "Funkhaus Europa", Jona Teichmann, vertreten
naturgemäß eine andere Position als die Skeptiker. Zwar
sagen beide, man könne die Erfahrungen aus dem Hörfunk
nicht eins zu eins auf das Fernsehen übertragen, doch das
Radio habe durchaus die Möglichkeit, zur Integration
beizutragen: weil man lokale oder regionale Zielgruppen erreichen
und die Hörer unmittelbar in ihrem Lebensalltag ansprechen
könne. Beim Medium Fernsehen hingegen sind Marenbach und
Teichmann skeptisch: Der Erfolg ihrer Programme, so ihre
übereinstimmende Meinung, basiere auf den
maßgeschneiderten, regionalisierten Angeboten für die
Angehörigen verschiedener Nationalitäten; derlei
könne ein bundesweites TV-Programm gar nicht bieten.
Trotzdem gibt es auch in der ARD Befürworter von Scherfs
Idee. Der ARD-Vorsitzende Jobst Plog, Intendant des NDR, und sein
Vorgänger Fritz Pleitgen (WDR), haben bereits signalisiert,
dass sie sich dieses TV-Programm für Ausländer gut
vorstellen können. Plog hat "aufgeschlossen" reagiert,
Pleitgen hält die Idee für "sehr überlegenswert".
Tilmann P. Gangloff
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