Bernadette Schweda
Streit über ein "leidiges Thema"
Koalition will die Neuregelung des Zahnersatzes
rückgängig machen
Der Streit über Teile der Gesundheitsreform droht zu einer
neuen Hängepartie zu werden. Denn die auf Vorschlag der Union
nach langen Diskussionen ausgehandelte und Ende vergangenen Jahres
gemeinsam mit der Koalition beschlossene Neuregelung der
Zahnersatzversicherung soll nun gekippt werden. Dies hat
Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) in der Haushaltsdebatte am 7.
September im Bundestag angekündigt. Gleichzeitig brachten die
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen neuen
Gesetzentwurf (15/3681) ein, der die zum 1. Januar 2005 vorgesehene
gesonderte Finanzierung des Zahn-ersatzes in der gesetzlichen
Krankenversicherung rückgängig machen soll. Auch die
Wahlmöglichkeit zur privaten Krankenversicherung beim
Zahnersatz soll damit aufgehoben werden.
Anstatt der bisher vorgesehenen einkommensunabhängigen
Pauschale zur Absicherung des Zahnersatzes schlägt die
Koalition nun vor, einen an das Einkommen gekoppelten Zusatzbeitrag
von 0,4 Prozent des Verdienstes bis zur Bemessungsgrenze zu
erheben. Der hälftige Arbeitgeberanteil soll wegfallen. In
Kraft treten soll diese Regelung am 1. Juli kommenden Jahres.
Gleichzeitig soll eine zum 1. Januar 2006 vorgesehene
Beitragserhöhung für das Krankengeld von 0,5 Prozent
vorgezogen werden und ein halbes Jahr früher gelten.
Die CDU/CSU lehnte die Pläne der Bundesregierung und den
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen im Plenum ab und will sich
nun für die Vorstellung ihrer eigenen Position bis Ende
Oktober Zeit lassen. Sie kündigte an, den Entwurf auch im
Bundesrat abzulehnen und erst im Vermittlungsausschuss zu
verhandeln. Trotzdem werde die Union "konstruktiv versuchen, eine
Lösung zu finden", so die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.
In der Bundestagsdebatte begründete die
Gesundheitsministerin ihren Rückzieher bei der Umsetzung der
geplanten Regelung mit erheblichen Umsetzungsproblemen. Man
müsse bei diesem "leidigen Thema" den Mut zur Korrektur haben.
Die Entscheidung, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen und ihn durch einen
einheitlichen Pauschalbetrag zu finanzieren, sei - so Schmidt
weiter - sozial ungerecht, bürokratisch und, bezogen auf das
Solidarprinzip, systemfremd. Ihr Vorschlag sei die beste und
praktikabelste Lösung, sagte die Ministerin und appellierte an
die Union: "Lassen Sie uns daher gemeinsam einen anderen Weg
finden! Lassen wir alles beim Alten, was den Zahnersatz
angeht!"
"An Scheinheiligkeit kaum zu übertreffen" - so quittierte
der CDU-Sozialexperte Andreas Storm die Argumentation Schmidts.
Ihre Volte bei der Neuregelung des Zahnersatzes sei der
"unrühmliche Höhepunkt rot-grüner
Unberechenbarkeit". Die Entscheidung sei vor einem Jahr mit 90
Prozent der Stimmen im Bundestag beschlossen worden, obwohl der
Kompromiss keiner Seite leicht gefallen sei. Die Union stehe zu den
gemeinsamen Beschlüssen, gleichwohl sei sie für
alternative Vorschläge offen. Allerdings müsse eine neue
Lösung besser sein als die vor einem Jahr vereinbarte und auch
besser als die jetzt von der Regierung vorgeschlagene. Der
gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Wolfgang
Zöller, warf Schmidt vor, sie habe die Umsetzung des
Kompromisses hintertrieben. Es sei unredlich, mit einem Konsens so
umzugehen.
Als ein "bürokratisches Monstrum" und "nicht umsetzbar"
bezeichnete hingegen Birgitt Bender von Bündnis 90/Die
Grünen die gemeinsame Lösung und warf gleichzeitig der
Union ein "Kasperletheater" vor. Sie solle lieber einen eigenen
Gesetzentwurf vorlegen.
Zustimmung fand die Neupositionierung der Koalition bei der PDS,
die sich ohnehin immer gegen die einkommensunabhängige
Pauschale ausgesprochen hatte. Die "Kopfpauschale auf Zahnersatz"
sei bei den Bürgerinnen und Bürgern im Augenblick nicht
durchsetzbar.
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