Hartmut Hausmann
Haushaltsdefizit: Grenze flexibel handhaben oder
ganz abschaffen?
Meinungsverschiedenheiten zur Reform des
Stabilitätspakts
Im Europäischen Parlament in Straßburg sind die von
der EU-Kommission am 3. September präsentierten
Vorschläge zur Reform des Stabilitätspaktes im Grundsatz
überwiegend begrüßt worden. Doch in der Zielrichtung
der Reformen und beim Ausmaß der angestrebten flexiblen
Umsetzung ergaben sich in der Debatte erhebliche Unterschiede
zwischen den verschiedenen politischen Gruppen, die von einer
starken Aufweichung bis zum zwingenden Mechanismus von Sanktionen
bei Verstößen reichten.
Länderspezifische Gegebenheiten
Die Kommission hat Vorschläge für die Verbesserung und
die Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP)
vor dem Hintergrund verabschiedet, dass sich die Finanzminister in
der jüngsten Vergangenheit wiederholt über die Vorgaben
der Kommission zur Umsetzung des Paktes hinweggesetzt haben.
Deshalb soll in Zukunft bei der Überwachung der Haushalte der
Mitgliedstaaten die langfristige Tragfähigkeit der
öffentlichen Finanzen stärker beachtet werden. Bei der
Definition des mittelfristigen Ziels eines "nahezu ausgeglichenen
Haushalts oder eines Haushaltsüberschusses" sollen
länderspezifische Gegebenheiten verstärkt
berücksichtigt werden. Weiterhin sollen die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen und Entwicklungen bei der Umsetzung des
Verfahrens berücksichtigt werden.
Nach den Brüsseler Vorschlägen sollen auch
frühzeitigere Maßnahmen zur Korrektur budgetärer
Fehlentwicklungen gewährleistet werden. Bisher galten nur
Naturkatastrophen als einziger entschuldbarer Grund zur
kurzfristigen Überschreitung des Haushaltsdefizits von drei
Prozent. Der nun vorgesehenen flexibleren Anwendung des Paktes, die
vor allem den großen Haushaltssündern Deutschland und
Frankreich entgegen kommt, will die Kommission die Verpflichtung
entgegensetzen, in besseren konjunkturellen Zeiten verstärkt
Schulden tilgen zu müssen. Für diese Reformmaßnahmen
ist keine Änderungen der Verträge vorgesehen, weil dann
auch die Europäische Verfassung noch einmal geändert
werden müsste. Die Kommission meint, dass eine Neufassung der
Umsetzungsverordnungen ausreichend ist.
Die größte Skepsis gegenüber den Brüsseler
Vorschlägen äußerte der wirtschafts- und
finanzpolitische Sprecher der EVP, Alexander Radwan, weil diese den
Pakt keineswegs retten könnten. Zwar wolle sich seine Fraktion
einer längeren Betrachtungsweise der Finanzpolitik der
einzelnen Länder nicht widersetzen, aber eine flexiblere
Anwendung unter Berücksichtigung des strukturellen und
konjunkturellen Umfeldes dürfe keinesfalls zu einer à la
Carte-Politik der Mitgliedstaaten führen. Vielmehr müsste
die Position der Kommission gegenüber dem Ministerrat und der
Sanktionsmechanismus deutlich gestärkt werden.
Die sozialistische Vorsitzende des Wirtschafts- und
Währungsausschusses, die Französin Pervenche Berès,
schlägt dagegen vor, die finanziellen Anstrengungen der
Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Lissabon-Strategie nicht bei der
Neuverschuldung der Staaten anzurechnen, weil diese Kosten die
strukturellen und Wachstumsdefizite beseitigten und dem jeweiligen
Land den langfristigen Abbau seiner Verschuldung erleichterten. Mit
dem Lissabon-Prozess soll die EU innerhalb von zehn Jahren zur
wettbewerbsfähigsten Region der Welt entwickelt und ein
dauerhaftes Wirtschaftswachstum von mindestens drei Prozent
erreicht werden. Luxemburgs früherer Wirtschaftsminister
Robert Goebbels unterstützte seine Kollegin mit der Frage:
"Wie kann es wirkliche Stabilität ohne Wachstum geben?"
Schließlich seien die Kriterien von 60 und drei Prozent
für die Gesamt und die Neuverschuldung willkürlich
festgelegt worden und sollten flexibel gehandhabt werden.
Grüne für völlige Abschaffung
Für die Grünen ging Daniel Cohn-Bendit noch einen
Schritt weiter, indem er die Drei-Prozent-Klausel am liebsten ganz
abschaffen würde und auch die Bildungsausgaben aus der
Verschuldungsberechnung herausnehmen möchte. Anders die
Liberalen, für die ihr Sprecher Wolf Klinz bemängelte,
dass die Vorschläge der Kommission nicht präzise
formuliert seien. Seine Fraktion werde jedoch alle Vorschläge
unterstützen, die dazu beitrügen, dass der
Stabilitätspakt ernst genommen werde. Auf ein Ausklammern von
Kostenbereichen aber werde man sich genau so wenig einlassen, wie
auf einen Verzicht von Sanktionen. H. H.
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