|
|
vom
Böhmische Giganten vor der Haustür
Der internationale Wettbewerb holt die deutschen
Heilbäder ein
Tourismus. Den ersten gewaltigen Umbruch haben
sie bemerkenswert gut überstanden. Vor acht Jahren schien den
deutschen Kur- und Heilbädern das Totenglöcklein zu
läuten, als die Krankenkassen die Kostenübernahme bei
Kuren drastisch reduzierten. Doch Not macht erfinderisch, und die
klassischen Badeorte meisterten die Herausforderung mit neuen
Angeboten für betuchte Privatzahler. Die Wellness wurde
erfunden und geschickt vermarktet. Jetzt droht allerdings neues
Ungemach. Nachdem die ersten Krankenkassen die Kosten für
Kuren deutscher Patienten in den östlichen Nachbarstaaten
übernehmen wollen, könnten sich Schleusen öffnen.
Denn was die Kostenseite angeht, sind Karlsbad und Co.
unschlagbar.
Der Tourismusausschuss des Deutschen
Bundestages hat sich vergangene Woche dieses Themas angenommen und
dazu zunächst Sachverständige um Auskunft gebeten. Im
renommierten Bad Füssing in Niederbayern beurteilten geladene
Experten am 13. September die Situation in einer öffentlichen
Anhörung. Thema: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf
deutsche Kur- und Heilbäder.
Der Präsident des Deutschen
Heilbäderverbandes, Professor Manfred Steinbach, machte
deutlich, dass Versorgungsverträge der deutschen Krankenkassen
mit Anbietern aus Tschechien oder Ungarn zu einem
"Wettbewerbsfaktor" werden können. Schon jetzt sind Bäder
jenseits der deutschen Grenze nach den Worten Steinbachs zu 50
Prozent und mehr mit deutscher Kundschaft belegt, die ihre Kur
allerdings selbst bezahlen. "Die Belegung mit Gästen aus dem
sozialen Leistungsrecht ist zur Stunde mit Unterschieden noch
moderat, aber der Preis wird auf Leistungsträger seine
Faszination ausüben und zur Belegung verleiten - dann wird
Wohnortnähe nicht mehr so wichtig sein." Steinbach rechnet
damit, dass sich der Trend zur Kur im billigeren Ausland
verstärken wird.
Der Vorsitzende des Bayerischen
Heilbäderverbandes und frühere Füssinger
Bürgermeister Franz Gnan berichtete, dass sich das
Verhältnis zwischen Kassenpatienten und so genannten
Selbstzahlern bei den Kurgästen seit den Einschnitten vor acht
Jahren umgedreht hat. Seien damals 70 Prozent Kassenpatienten und
30 Prozent Selbstzahler gewesen, so sei es jetzt umgekehrt. Solange
es nicht gelinge, in Europa vergleichbare Qualitätsstandards
herzustellen, werden die deutschen Kurorte Probleme haben. Allein
in Bayern seien in den letzten zehn Jahren 450 Millionen Euro
für die Verbesserung der Qualität ausgegeben
worden.
Hoffen auf die Prävention
In der EU gibt es rund 1.100 Heilbäder
und Kurorte, davon rund 190 in den neuen Mitgliedstaaten. In
Tschechien, der Slowakei und Slowenien seien die Strukturen
ähnlich wie in Deutschland, so Gnan. Auch dort stünden
Arzt, Theraupeut und ortsgebundene Heilmittel im Vordergrund. In
Ungarn spiele dagegen der Wellness-Gedanke eine größere
Rolle. Die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland habe dazu
geführt, dass die Zahl der Anträge auf Kuren und
Rehabilitationsmaßnahmen sowohl bei den gesetzlichen
Krankenversicherungen als auch bei den
Rentenversicherungsträgern daramatisch gesunken ist. Falsch
sei es zu glauben, Wellness-Angebote könnten diese negative
Entwicklung etwas abmildern, sagte Gnan. Er setzt auf die
Prävention und auf die Prognose, dass die Medizin in 30 Jahren
zu 80 Prozent aus Prävention bestehen wird. In der Diskussion
um ein Präventionsgesetz in Deutschland sollten daher die
Wünsche der Kurorte und Heilbäder beachtet werden - ein
Anliegen, das auch die übrigen Sachverständigen
unterstützten.
Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der
Kurbeherbergungsbetriebe Deutschlands, Bernd Schmeink, kritisierte
scharf die Praxis der Kostenerstattung von Kuren deutscher
Patienten in den Beitrittsstaaten durch deutsche Krankenkassen. So
bezahle die AOK Baden-Württemberg Kuren im tschechischen
Marienbad bis zur Höhe von 1.000 Euro, ohne die Qualität
zu prüfen. Damit würden in einem rechtsfreien Raum
unkontrolliert Kosten erstattet. Es werde auch nicht geprüft,
ob der Leistungserbringer eine Zulassung hat. Schmeink nannte auch
das Beispiel eines Maurers, der in Tschechien in acht Wochen zum
Masseur umgeschult worden sei, während Masseure in Deutschland
eine dreijährige Lehrzeit absolvieren müssten.
Der Geschäftsführer des
Tourismusverbandes Ostbayern, Georg Steiner, wies auf die
große Tradition der tschechischen Bäder hin, deren
Ausbildungssystem sich entwickele. "Wir dürfen nicht in
unserem System verharren", sagte er. Die Konsequenzen müssten
lauten: Ausbau der Infrastruktur, Imageförderung,
Qualität.
Rudi Weinberger, Kurdirektor in Bad
Füssing, sieht die Zukunft zum Großteil in der
Prävention mit ärztlicher Begleitung. Der
Wellness-Bereich könne nicht die klassische Kur- und
Bäderkompetenz ersetzen. Der Vizepräsident des
österreichischen Heilbäder- und Kurorteverbandes, Adolf
Weber, hält die Folgen der EU-Osterweiterung für die
österreichischen Bäder für nicht absehbar. Er
räumte aber ein, dass es im Alpenstaat eine Angst vor
künftigen Billiganbietern gibt.
Für den Vorsitzenden des
Tourismusausschusses, Ernst Hinsken (CDU/CSU), selbst ein
Niederbayer, ist klar, dass man sich in den rund 320 deutschen
Kurorten und Heilbädern angesichts solch klangvoller Namen wie
Karlsbad, Marienbad und Franzensbad "warm anziehen" wird
müssen. Schließlich entfällt fast jeder vierte
Arbeitsplatz im deutschen Tourismusgewerbe auf das Kur- und
Bäderwesen.
Die Tourismuspolitiker machten sich von der
"bayerischen Thermenlandschaft" - so der neue Werbeslogan - direkt
auf ins böhmische Bäderdreieck, nach Marienbad und
Karlsbad. Der Kontrast war augenfällig: Hier das schmucke,
aufgeräumte Bad Füssing, ein in den sechziger Jahren am
Reißbrett entworfenes Kurstädtchen. Dort die Badeorte der
Kaiser und Könige, auf jedem Meter den morbiden k.u.k.-Charme
prunkvoller Häuserfassaden und Hotelpaläste
versprühend. Der Blick in die Katakomben einiger dieser
Hotels, in die Bäder, Saunen, Therapie- und Fitnessräume,
rief den Tourismuspolitikern ins Bewusstsein, dass diese
böhmischen Giganten sowohl bei der Ausstattung mit Apparaten
als auch beim Know-how des Personals mithalten können, wenn
nicht gar überlegen sind. Und das zu - aus deutscher Sicht -
Schnäppchenpreisen. Allerdings dürfte die
Mehrwertsteuererhöhung von fünf auf 19 Prozent in
Tschechien im kommenden Jahr hier einen Preisschub
bewirken.
Sachsen setzt auf Kurorte
Vom westdeutschen Vorzeige-Kurort über
die böhmischen Traditionsbäder in die Sächsische
Schweiz, nach Bad Schandau. Der Geschäftsführer des
Sächsischen Heilbäderverbandes, Helfried Böhme,
berichtete, Sachsen schließe sich der allgemeinen Tendenz in
Deutschland, Kurorte eher zu schließen und abzuwickeln, nicht
an. Hier werde die Bestrebung der Gemeinden, möglichst Kurort
zu werden, gepflegt, weil die Kurorte zum Tourismus beachtlich
beitrügen. Probleme gebe es bei den Kindereinrichtungen und
den Mutter-Kind-Kuren. Problematisch sei auch die Vergütung
physiotherapeutischer Leistungen, bei denen im Osten nur 70 Prozent
der westdeutschen Vergütungssätze erstattet würden,
sodass kaum wirtschaftlich gearbeitet werden könne.
Die Betreiber der Kureinrichtungen
hätten sich schon früh nach Alternativen wie der privaten
Kur sowie Gesundheits- und Wellnessangeboten umgesehen. Nachteilig
sei, dass es in Sachsen an hochwertigen Kur- und Wellnesshotels
fehlt. Böhme rief dazu auf, den Tourismus zu einer
Pflichtaufgabe der Gemeinden zu machen. Was die Konkurrenz zu den
benachbarten tschechischen Bädern angehe, so beobachte man die
Entwicklung genau, arbeite aber auch zusammen. Im Hinblick auf das
Preisniveau habe man zwar schlechte Karten, setze jedoch auf die
hohe Qualität der Einrichtungen.
Die tourismuspolitischen Sprecher aller
Fraktionen sprachen sich dafür aus, die deutschen Kur- und
Heilbäder künftig besser zu vermarkten. Dazu wollen sie
die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) auffordern, im Zuge
ihrer Werbung im Ausland für den Deutschlandurlaub zunehmend
auch die Kur- und Heilbäder ins Szene zu setzen. Dabei
müsse allerdings auch die Privatwirtschaft mitwirken.
Brunhilde Irber (SPD) empfahl den Badeorten, vermehrt auf
Qualität zu achten. Wenn die Krankenkassen Mutter-Kind-Kuren
nur restriktiv genehmigten, könne die Politik dies zwar
ansprechen, aber nicht ändern. Dies gelte auch für die
Vergütungssätze der Physiotherapie, die vom gemeinsamen
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgelegt
würden.
Klaus Brähmig (CDU/CSU) bezeichnete die
Kurorte und -einrichtungen als Flaggschiffe in den jeweiligen
Regionen, was die Arbeitsplätze betrifft. Man müsse sich
bemühen, die Wettbewerbsverzerrungen zwischen Deutschland und
den neuen EU-Mitgliedstaten abzubauen und Qualitätsstandards
zu vereinheitlichen. Brähmig appellierte an die DZT, die neuen
Länder intensiver zu vermarkten. Der Anteil ausländischer
Gäste im Osten liege bei vier bis sechs Prozent, während
er in den westlichen Ländern zwölf bis 14 Prozent
betrage. Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen)
plädierte dafür, die Kur- und Heilbäder über
ihre Qualität zu definieren, und Ernst Burgbacher (FDP)
unterstrich die Bedeutung gleicher Wettbewerbschancen, etwa im
Steuersystem. Wenn deutsche Krankenkassen Patienten zur Kur nach
Österreich schickten, so müssten umgekehrt
österreichische Krankenkassen auch Patienten nach Deutschland
entsenden. vom
Zurück zur Übersicht
|