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Thomas Veser
Die Alma Mater des Aga Khan im Hochgebirge
Eine gemeinsame Universität für
Zentralasien
Steile Felswände säumen die Hochebene, die
hügelförmig zu den Ufern des Naryn hin abfällt. In
kühnen Schleifen windet sich der Gebirgsfluss, nach dem auch
die größte Stadt in diesem Teil Kirgistans benannt wurde,
aus dem chinesischen Tian-shan-Massiv hinab in das Tal von Naryn.
Unablässig verändern die Kräfte der Natur das
Aussehen dieser rauen Gegend, durch die einst Nomaden mit Pferden
und Jurten gezogen sind: Im Frühjahr verursacht die
Schneeschmelze im chinesischen "Himmelsgebirge", wie das
Tian-shan-Massiv auf Deutsch heißt, Flutkatastrophen und
verheerende Bergrutsche.
Doch auf dieser verlassenen, über 2.000 Meter hohen Ebene
entsteht die ungewöhnlichste Bildungsstätte in diesem
Teil Asiens: "University of Central Asia" (UCA) genannt, ist die
Hochschule auf dem Dach der Welt eine Initiative des Aga Khan, der
als spirituelles Oberhaupt der schiitischen Ismaeliten-Gemeinschaft
vor vier Jahren den Bau mit den Staatspräsidenten Kirgistans,
Kasachstans und Tadschikistans vereinbarte.
Der Aga Khan fördert vor allem Projekte auf den Gebieten
Landwirtschaft, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung, unter anderem
hat er im pakistanischen Karachi eine Privatuniversität
gegründet. In Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan ist das
in Genf und Aiglemont bei Paris ansässige
Förderungsinstitut des Aga Khan seit vielen Jahren vertreten.
Tadschikische Entwicklungsprojekte laufen größtenteils
unter der Leitung seines Netzwerkes. Als reicher Unternehmer
investiert der Aga Khan einen Teil seiner Einnahmen zur Zeit in
weltweit 90 Hilfsprojekte, vor allem in Ländern mit
muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Rund 15 Millionen US-Dollar
erhält die UCA als Stiftungskapital. Für die Baukosten,
die diese Summe um ein Mehrfaches übersteigen, will die im
Fundraising versierte Organisation internationale Geldgeber
finden.
Für die UCA wählte man drei Standorte, die sich durch
gemeinsame Merkmale auszeichnen: Tekeli (Kasachstan), Khorog
(Tadschikistan) und Naryn (Kirgistan) befinden sich in abgelegenen
Bergregionen, die ihrer Grenznähe wegen seit jeher
benachteiligt sind und unter zunehmender Verelendung leiden. Im
Sommer legten der Aga Khan und die Staatspräsidenten die
Grundsteine für die Universität, für deren Bau
tausende Arbeitskräfte eingestellt werden.
Als "Universitätsparks" nach westlichem Vorbild geplant,
bieten die drei UCA-Lehrstätten ausschließlich
Einheimischen die Möglichkeit, in der Nähe zu ihrem
Lebensbereich eine akademische Ausbildung zu absolvieren oder Kurse
zur Berufsfortbildung zu belegen. Seit der Unabhängigkeit der
drei ehemaligen Sowjetrepubliken zeigt sich immer deutlicher, dass
die einst angesehenen Hochschulen der Hauptstädte bei
studienwilligen Bewohnern an Ansehen verloren.
Der Rückgang staatlicher Subventionen hat dazu
geführt, dass sich das Niveau von Forschung und Lehre
drastisch verschlechterte, viele der russischstämmigen
Dozenten haben ihre Wirkungsstätten verlassen.
Abschlussdiplome erwirbt man seit Jahren vorzugsweise durch Geld,
wofür die Prüfenden bereit sind, die Examenslösungen
im Voraus bekanntzugeben. Als größtes Problem betrachten
die Initiatoren der UCA jedoch den Umstand, dass die staatlichen
Bildungsstätten über ein Jahrzehnt nach der
Unabhängigkeit weiterhin sowjetischen Lehr- und Lernformen
verhaftet sind und den Studenten aus den Berggebieten nicht jene
Qualifikation vermitteln können, die sie für den Neustart
in den benachteiligten Randgebieten benötigen.
Diese Lücke soll die neue Universität schließen.
Als Hauptunterrichtssprache hat man Englisch gewählt,
einheimische Dozenten, die zuvor Studienaufenthalte an westlichen
Hochschulen verbracht haben, werden laut Auskunft des Rektors Fred
Starr (64), bisher Leiter des "Central Asia-Caucasus Institute" an
der Washingtoner Johns-Hopkins-Universität, vorrangig zum Zuge
kommen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Universitäten
"müssen die Studierenden bei uns auch Forschungsprojekte
übernehmen und sich ihre Schwerpunkte eigenständig
wählen", fügt Starr, ein amerikanischer Historiker,
hinzu. Erweise sich ein Kandidat bei der Aufnahmeprüfung als
geeignet, werde er dank der Stipendienmöglichkeiten auch dann
zum international anerkannten Studium zugelassen, wenn er sich das
finanziell nicht leisten könnte.
Es sei vorgesehen, nach und nach sämtliche akademischen
Studienrichtungen anzubieten, "allerdings wird alles stark auf den
regionalen Kontext der zentralasiatischen Bergwelt mit
annähernd 40 Millionen Bewohnern ausgerichtet". Dass die
Absolventen später ihre Heimat verlassen und den bereits
ausgeprägten Brain-Drain in Richtung Westen dank UCA noch
verstärken könnten, hält der Rektor für
unwahrscheinlich: "Selbst zwischen den zentralasiatischen
Ländern hat sich die akademische Mobilität bisher in
engen Grenzen gehalten". Als oberstes Ziel der Bergbewohner
bezeichnet Starr den starken Wunsch, "in der Heimat zu bleiben und
der Gemeinschaft zu dienen".
Wie sich der Aga Khan seine neue Alma Mater im Hochgebirge
vorstellt, zeigen Computersimulationen. Nachdem Geologen die
vorgesehenen Gebiete nach erdbebensicherem Terrain abgesucht
hatten, übernahm das US-Landschaftsarchitekturbüro Sasaki
Associates die Gestaltung des jeweiligen Campus. Die Gebäude
entwarf der japanische Stararchitekt Arata Isozaki, von dem unter
anderem das Olympiastadion in Barcelona stammt. Isozakis Entwurf,
der bei der Ausschreibung den Zuschlag erhalten hatte, sieht eine
für zentralasiatische Gewohnheiten völlig neue Anordnung
der Campusgebäude vor. In den drei Universitätsparks hat
der Japaner, der sich mit Bauprojekten in erdbebengefährdeten
Regionen einen Namen gemacht hat, die Bereiche Lernen, Leben und
Freizeit nicht, wie sonst üblich, klar funktional voneinander
abgegrenzt, sondern ihre architektonischen Komponenten in
orgineller Weise vermischt und auf diese Art miteinander in
Beziehung gesetzt.
Getreu dieser "Cluster-Anordung", wie sich Isozakis Mitarbeiter
Shunji Nagata ausdrückt, gelangen die Studierenden zum
Beispiel nach einer Lehrveranstaltung in ein Café, in dem sie
sich entspannen können. Und der private Bereich "Students'
Life" erlaubt es dank der Nähe zu Übungsräumen, ein
gemeinsames Abendessen als akademischen Disput ausklingen zu
lassen.
"Der ungewöhnliche Studienort und die über die
Architektur geschaffenen Bezüge zur optischen Szenerie werden
Teil des Studienerlebnisses", sagt Nagata.
Eine zentrale Rolle hat der Architekt der Erholung und dem Sport
zugedacht: Dieser Bereich soll auch den Einheimischen da sein und
ihnen die Schwellenangst vor der Universität nehmen. Nichts
soll in dieser Hochschule an Altbekanntes anknüpfen, weder an
zentralasiatische Baustile noch an das allgegenwärtige
Architekturerbe aus sowjetischer Zeit. Die anfangs auf 4.000
Studierende begrenzte Einrichtung soll auch den Nachbarländern
Afghanistan, Pakistan, Turkmenistan und China offen stehen.
Wie es jetzt aussieht, wird die UCA drei akademische Programme
anbieten: Während das tadschikische Khorog ein Institut
für Bildungswissenschaften und Entwicklung des ländlichen
Raumes erhält, liegt der Schwerpunkt im kasachischen Tekeli
auf Umwelt- und Ressourcenentwicklung sowie auf Tourismus und
Freizeitaktivitäten; in Naryn soll bald das Institut für
Management und Wirtschaftsentwicklung sowie für
öffentliche Verwaltung den Betrieb aufnehmen.
Als einzige UCA-Abteilung, die bereits ihre Dienste anbietet,
verzeichnet die Berufsfortbildung steigende Teilnehmerzahlen.
Mittlerweile beteiligen sich die Vertreter verschiedenster
Berufsgruppen an den Kursen, Landwirte findet man dort ebenso wie
Ärzte, Beamte und Handwerker. "Seit der Unabhängigkeit
verändern sich die politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse so rasant, dass die Menschen die Orientierung
verlieren", erklärt Taalaibek Akunow, der den Lehrbetrieb
koordiniert. Auf große Nachfrage stießen Kurse für
jene, die sich selbständig machen wollen. Dank des erworbenen
Know-how gründeten Einheimische in Naryn eigene
Geschäfte, vor allem Restaurants und Cafés für
ausländische Bergtouristen. Weil gute Bildung keine Gratisgabe
des Staates mehr ist, erhob man von Anfang an Gebühren. Sie
stellten für die Teilnehmer, die im Schnitt kaum mehr als 30
US-Dollar monatlich erwirtschaften, ein großes Opfer dar.
Inzwischen werde das akzeptiert, sagt Akunow.
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