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Thilo Castner
"We not shoot, you not shoot"
Ein kurzer denkwürdiger Frieden an der
Westfront 1914
Weihnachten 1914, knapp vier Monate nach Ausbruch des Ersten
Weltkriegs, hatten die Soldaten beiderseits der
Schützengräben vom Schießen, Töten und Morden
genug. Es kam fast auf der gesamten Westfront zu
Verbrüderungen. Deutsche und Briten, Franzosen und Belgier
verließen, zunächst vereinzelt, dann zu Hunderttausenden
ihre Unterstände. Man begrub zunächst die Toten, die im
Niemandsland lagen, sang gemeinsam Weihnachtslieder, tauschte
Geschenke aus, Zigaretten, Bier, Plumpudding, Wurst und Brot,
zeigte sich Familienfotos, verständigte sich mit Händen
und Füßen, umarmte sich. An einigen Abschnitten kam es zu
Fußballspielen, mitunter zu Besuchen im feindlichen Revier.
Und obwohl jede Fraternisierung aufs Strengste verboten war, fiel
über die Feiertage kein Schuss. Zwischen Sachsen und Briten
schwiegen die Waffen sogar bis in den Januar.
Jürgs erklärt einleuchtend, wie es zu dieser
Verbrüderung kam. Vor allem auf deutscher Seite war man
begeistert in den Krieg gezogen in dem irrigen Glauben, die Sache
werde schnell und siegreich beendet sein. Während
Generalität und höhere Offiziere fernab in Sicherheit
saßen und an nichts Mangel hatten, erlebte der einfache Soldat
einen mörderischen Stellungskrieg mit entsetzlichen Verlusten.
Bei starkem Regen standen die Landser bis zum Knie im Wasser, bei
Kälte froren Strümpfe und Stiefel an den Beinen fest, es
wimmelte von Ratten und Läusen, das Essen war mies und
unzureichend.
Auf beiden Seiten begriffen die Soldaten, dass sie von ihren
Befehlshabern sinnlos verheizt wurden, dass ihre Feinde in den
gegenüber liegenden Schützengräben nicht, wie von
der nationalen Hetzpropaganda behauptet, Widerlinge und Monster
waren, sondern Menschen wie sie selbst, die Frauen und Kinder
hatten, die nach Hause und dieses sinnlose Morden beenden wollten.
Wären nicht nach den Tagen des spontanen Waffenstillstands auf
allen Seiten die Vorgesetzten mit brutalen Strafen gegen die
Kriegsverweigerer vorgegangen, der Krieg hätte ein frühes
Ende finden können.
Das Buch zeigt auf erschütternde Weise, wie
menschenverachtend und verbrecherisch der Weltkrieg war, nur von
Vorteilen für eine kleine Clique von Kriegsgewinnlern und
gewissenlosen Militärs, die von sicheren Bunkern aus ganze
Heere und Divisionen bedenkenlos in den Tod jagten. Wer diese
aufrüttelnde Dokumentation gelesen hat, wird die Sinnlosigkeit
eines Krieges nie mehr in Frage stellen.
Michael Jürgs
Der kleine Frieden im Großen Krieg.
Westfront 1914:
Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten
feierten.
C. Bertelsmann Verlag, München 2003;
351 S., 22,90 Euro
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