Hagen Richmann
Worte und Taten nicht im Einklang
Deutsche Sicherheitspolitik
Die deutsche Sicherheitspolitik der Regierung Schröder
lädt die Wissenschaft zu einer ausgesprochenen Aufmerksamkeit
ein, um nach 16 Jahren konservativer Prägung eine
mögliche neue Entwicklung zu bewerten. Zehn junge Autorinnen
und Autoren, fast alle wissenschaftlich tätig, nähern
sich in der Reihe "Außenpolitik und internationale Ordnung"
der von ihnen als vordringlich erkannten Frage: "ob sich die
Bindungen der Bundesrepublik Deutschland zu und in diesen
Institutionen (gemeint sind: NATO, EU und OSZE) gelockert haben und
sich damit eine Abkehr von der traditionellen
Selbsteinschätzungsstrategie der deutschen Sicherheitspolitik
seit dem Zweiten Weltkrieg abzeichnet".
Dieser Frage, die zweifellos eine gewisse skeptische
Grundeinschätzung zumindest der Herausgeber erkennen
lässt, wird in zehn Beiträgen nachgegangen. Dabei stehen
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands in der
Nordatlantischen Allianz und in der Europäischen Union im
Mittelpunkt. Daneben werden noch deren Wahrnehmung in der
Öffentlichkeit und im sogenannten Parteiendiskurs
erörtert, wobei der Beitrag von Johannes Varwick durchaus
deutlichere Beachtung ver-dient.
Brüche und Ambivalenzen
Varwick bilanziert knapp und übersichtlich die deutsche
Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Bündnis und kommt
nach einer allgemeinen Analyse zu dem Ergebnis: "So lange die NATO
ein funktionsfähiger multinationaler Handlungsrahmen bleibt,
dürfte es deutsche Politik bleiben, ihre Sicherheitspolitik an
diesem auszurichten. Dies liegt im aufgeklärten Eigeninteresse
Deutschlands, dessen Macht den Partnern nur im multilateralen
Rahmen akzeptabel ist."
Marco Overhaus sieht dagegen in dem deutschen Engagement in der
EU zur Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik einige Brüche
und Ambivalenzen, weil die Beiträge sich in den vergangenen
Jahren an drei Grundmustern orientiert hätten:
- Brückenfunktion im transatlantischen Sinn,
- Deutsch-französische Beziehungen und
- "das spezifische deutsche Funktionsverständnis
gegenüber den europäischen Sicherheitsinstitutionen,
welches sich immer weniger mit den tatsächlichen Entwicklungen
und Entscheidungen auf europäischer Ebene deckt".
Diese Gemengelage habe deutsche Sicherheits- und
Verteidigungspolitik in den vergangenen Jahren zuweilen
überfordert, da die Balance verloren gegangen sei.
Schließlich konstatiert Overhaus: "Die Entwicklungen seit
August 2002 lassen die Tendenz erkennen, dass sich Deutschland zwar
rhetorisch weiterhin in der Mitte des Atlantiks befindet, seine
Prioritäten jedoch in der Substanz weg von Amerika und
stärker auf den Kontinent verlagert hat."
Fehlende Konzepte
In diesem Sinn verstehen schließlich die Herausgeber die
gesamte sicherheits- und verteidigungspolitische Entwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren. Sie vermissen
neue Initiativen, erkennen Passivität und bemängeln -
außer in der Verteidigungspolitik - fehlende Konzepte.
Vor allem müsse eine gestaltende Austarierung der
Kooperationen mit Frankreich und mit den Vereinigten Staaten
angemahnt werden, um den übrigen Aufträgen in der
internationalen Politik gerecht zu werden. Darüber hinaus
fehle es den Verteidigungspolitischen Richtlinien an einem
sicherheitspolitischen Überbau, damit die Ansätze der
verschiedenen Sicherheitspolitiken gebündelt und damit
wirksamer gestaltet werden könnten.
Die Herausgeber haben fleißig erarbeitete Aufsätze
vorgelegt, die als Grundlage für weitere und tiefergehende
Diskussionen dienen können; sie bedürfen
jedoch noch einer intensiven und praxisorientierten
sicherheitspolitischen Reflexion, wenn sie in der
wissenschaftlichen Auseinandersetzung nachhaltig Bestand haben
sollen. Vielleicht gibt's dazu ja noch einen weiteren Band.
Sebastian Harnisch / Christos Katsioulis / Marco Overhaus
(Hrsg.)
Deutsche Sicherheitspolitik.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004;
267 S., 29,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|