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Astrid Pawassar
Georg Milbradt bleibt kaum eine Wahl
Sachsen: Bei der Landtagswahl verliert die CDU
die absolute Mehrheit und koaliert wohl mit der SPD
"Auf eine Farbe hätten wir gut verzichten
können" - diesen Spruch hört man allenthalben bei den
frisch gewählten Abgeordneten des Sächsischen Landtags.
Nun ist die NPD also drin, und man wird lernen müssen, mit ihr
umzugehen. "Bloß nicht dämonisieren", raten
Politikwissenschaftler, und auch Landtagspräsident Erich
Iltgen (CDU) verweist darauf, dass der Wähler eben so und
nicht anders entschieden hat. Unerwartet heftig hat der
Souverän die in 14 Jahren absoluter CDU-Regierung etwas
behäbig gewordenen Parlamentarier vor neue Aufgaben gestellt.
Die alten Rollenverteilungen sind komplett aufgehoben.
Die CDU kann nicht mehr mit erdrückender
Mehrheit jeden Gegenvorschlag vom Tisch wischen; sie muss nun
für ihre Überzeugungen werben und ihre Argumente
wohlüberlegt vortragen. Die PDS ist zwar noch die
größte Oppositionsfraktion, und ihr Spitzenkandidat,
Peter Porsch, frohlockte bereits, dass ihm die öffentliche
Diskussion um seine Vergangenheit als möglicher
Stasi-Zuträger nicht geschadet habe. Aber die Postsozialisten
haben mit den Grünen und der FDP nun gleich zwei Konkurrenten
bekommen, die ihre eigene Vorstellung von Oppositionsarbeit haben
und nicht bereitwillig mit den Sozialisten gemeinsame Sache machen
werden. Alle drei werden sich von der angekündigten
"Fundamental-opposition" der NPD abgrenzen wollen und damit auch
einen ständigen Diskurs über demokratische Grundwerte und
Verhaltensweisen führen.
Die SPD schließlich findet sich in der
absurden Position des Verlierer-Champions wieder, dem die
Regierungsbeteiligung unverhofft in den Schoß fällt. Eine
Skandalisierung der sächsischen Regierungspolitik, wie sie in
der Vergangenheit vor allem vom wirtschaftspolitischen Sprecher der
SPD-Fraktion, Karl Nolle, mit ausdrücklicher Duldung durch den
Fraktionsvorsitzenden, Thomas Jurk, betrieben wurde, ist für
mitregierende Sozialdemokraten schlechterdings nicht
möglich.
CDU und SPD haben im zurückliegenden
Wahlkampf gleichermaßen unter der alles überlagernden
Last der Hartz-IV-Debatte gelitten. Es sei nicht möglich
gewesen, die landespolitischen Themen in den Vordergrund zu
rücken, heißt es. Die Stimmenzuwächse für NPD
und PDS stützen die Interpretation, dass die Angst vor der
Arbeitsmarktreform wahlentscheidend gewesen ist. Auch die FDP hat
in Sachsen Plakate mit dem Slogan "Herz statt Hartz" geklebt. Und
Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) musste sich bereits
heftige Kritik wegen seines "Wackelkurses" in dieser Frage
anhören.
Aber Hartz IV allein kann nicht Schuld
gewesen sein an dem massiven Absturz der CDU. Schließlich
haben die Grünen mit einem rein landespolitischen Wahlkampf -
wenn auch mit Mühen und nach langem wahlabendlichen Zittern -
den Sprung in den Landtag geschafft und dabei nicht nur der CDU,
sondern auch der PDS Wähler weggenommen. Außerdem
schneidet der Ministerpräsident bei den Sympathiewerten auf
einer Skala von +5 bis -5 mit der Note 2,5 vergleichsweise gut ab.
Auch die Beurteilung der Regierungspolitik in Sachsen wird mit 1,5
immer noch positiv bewertet, wenn auch niedriger als noch 1999.
Damals lag der Wert sogar bei 2,2. Er habe seine Sympathiewerte
nicht auf die Gesamtpartei übertragen können, lautet
Milbradts Wahlanalyse.
Dass die unbestreitbaren und außerhalb
des Landes viel stärker wahrgenommenen wirtschaftlichen
Erfolge Sachsens nicht offensiv genug vorgetragen worden seien,
monieren PR-Berater wie der Wahlkampfexperte Peter Radunski. So
habe man aus der Kür Georg Milbradts zum
"Ministerpräsidenten des Jahres" kein Kapital schlagen
können. Manch einer aus der CDU-Fraktion trauerte in der
Wahlnacht dann auch den alten Zeiten nach, in denen ein
charismatischer Landesfürst mit einem solchen Pfund gewuchert
hätte. Vereinzelt wurde daran erinnert, dass die
Parteiführung mit Kurt Biedenkopf nicht gerade freundlich
umgegangen ist, weshalb der als Wahlhelfer nahezu komplett
ausgefallen sei. Ob das der CDU letztlich geholfen hätte,
steht in den Sternen. Denn immerhin hat die Forschungsgruppe Wahlen
ermittelt, dass die Sachsen nach 14 Jahren Alleinherrschaft einer
Partei jetzt eine andere Konstellation in der Regierung haben
wollten.
Nur noch 35 Prozent der Befragten konnten der
absoluten Mehrheit einer Partei etwas Gutes abgewinnen, eine
deutliche Mehrheit von 57 Prozent war dagegen. So hat die CDU dann
auch an sämtliche anderen Parteien Wähler abgeben
müssen, insgesamt 375.000. Dabei wanderten 55.500 Stimmen an
das Sammelsurium der "sonstigen Parteien" ab, 22.600 an die PDS,
den Löwenanteil sahnte mit 86.100 Stimmen die FDP ab und etwa
gleichauf lagen NPD (84.200 Stimmen) und das Lager der
Nichtwähler (84.300). Nach der Altersstruktur hat die CDU ihre
zuverlässigsten Wähler bei den Älteren. In der
Gruppe der 18- bis 29-Jährigen verlor sie jedoch 22 Prozent
und bei den 30- bis 44-Jährigen 17 Prozent. Auch SPD und PDS
haben in diesen Altersgruppen Wähler verloren; die NPD
hingegen konnte dort mit 17 beziehungsweise 12 Prozent kräftig
punkten.
Die CDU wird nun ihre Hausaufgaben machen
müssen. Sie wird sich künftig noch weniger hinter dem
Ministerpräsidenten verstecken und in seinem Windschatten
mitsegeln können. Bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen
mit den Sozialdemokraten stehen inhaltlich einige harte Nüsse
auf der Tagesordnung. Zuoberst die Schul- und Bildungspolitik. Hier
möchten die Christdemokraten am gegliederten Schulsystem
festhalten, während die SPD eine Differenzierung der
Bildungswege erst ab Klasse neun favorisiert. Bei der
Wirtschaftsförderung haben die Sozialdemokraten stets für
eine breitere Streuung, vor allem zugunsten der strukturschwachen
Gebiete plädiert, während die CDU mit ihrer
"Leuchtturmpolitik" die Konzentration von Großinvestitionen
gefördert hat.
Immerhin nehmen die künftigen
Koalitionspartner dem Ministerpräsidenten, der sich zur
Wiederwahl stellen will, eine Sorge ab: Die allseits erwartete
Kabinettsumbildung ergibt sich nun von selbst. Und bisher steht auf
Seiten der SPD auch schon fest, wer auf keinen Fall in der
Regierungsmannschaft auftreten wird. Leipzigs
Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee hat allen Gerüchten,
die seine Mitarbeit in der Verhandlungsdelegation bei den
Koalitionsgesprächen als Präjudiz interpretierten, einen
Riegel vorgeschoben: Er wolle auf jeden Fall im April 2005 wieder
als Oberbürgermeister in Leipzig kandidieren.
Ursprünglich war geplant, dass der neue
Landtag bereits am 6. Oktober zu seiner Konstituierenden Sitzung
zusammenkommt. Dies hält gegenwärtig aber niemand mehr
für realistisch. Nach Auskunft des Landtagssprechers Ivo
Klatte wird der 19. Oktober, laut Verfassung der letztmögliche
Termin, eher wahrscheinlich sein.
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