|
|
Karl-Otto Sattler
Von bäuerlichen Raubrittern und
gekröpften Nordanflügen
Baden-Württemberg: Zoff um Fluglärm,
Landkauf und Atommüll - am Hochrhein hängt zwischen
Deutschen und Schweizern der Haussegen schief
Sage niemand, Deutsche und Schweizer würden sich nicht
verstehen. So sangen vor wenigen Tagen lokale
Würdenträger aus den Dörfern Hilzingen und
Büsingen im Kreis Konstanz sowie aus den eidgenössischen
Gemeinden Thayingen und Dörflingen auf einem Acker das hohe
Lied der Freundschaft. Bei einer Feier bestaunte die illustre
Gesellschaft sieben neue Granitblöcke, die fortan 16 alte
Kalkgrenzsteine ersetzen. 6.000 Quadratmeter Land tauschten die
Schweiz und Deutschland aus, um die zuvor unregelmäßig
verlaufende Demarkationslinie zu begradigen. Vor allem
eidgenössische Landwirte hatten sich geärgert, weil die
querfeldein herumstehenden Grenzsteine hinderlich bei der Arbeit
waren. Kommunalpolitiker hatten es geschafft, dass die Regierungen
und Parlamente in Bern und Berlin den Staatsvertrag von 1839
über den Grenzverlauf änderten.
So harmonisch geht es am Hochrhein indes nicht immer zu. Im
Gegenteil. Im Klettgau, aber auch in anderen Gegenden gelten
Schweizer Landwirte bei ihren südbadischen Kollegen als
"Raubritter". Bei Treckerdemonstrationen, bei Versammlungen und bei
Mahnfeuern lassen hiesige Bauern ihrem Zorn gegen die Nachbarn
freien Lauf, lancierten sogar bereits die Idee von Grenzblockaden.
Einen "Brandherd" hat der gesamtdeutsche Bauernpräsident Gerd
Sonnleitner ausgemacht: Besonders Viehzüchter mit
Milchkühen sind sauer, weil Eidgenossen mit vielen Franken in
der Tasche auf badischem Terrain in großem Stil
Grundstücke kaufen und pachten und so die
Entwicklungsmöglichkeiten deutscher Hofbesitzer beschneiden.
Erhard Graunke, Sprecher der Grenzlandwirte, erinnert drohend
daran, dass in dieser Region schon einmal eine Revolte begann,
nämlich 1524 der Bauernkrieg.
Aber nicht nur auf der Scholle hängt der binationale
Haussegen schief. Jüngst protestierten in Benken bei
Schaffhausen deutsche und eidgenössische
Bürgerinitiativen gegen ein unterirdisches Endlager für
Atommüll, dessen Bau die Schweizer Nuklearwirtschaft in dem
Weindorf unweit der Grenze prüft. Auf badischer Seite hegt man
nicht nur bei Kernkraftgegnern, sondern auch in Bürgermeister-
und Landratsämtern erhebliche Sicherheitsbedenken im Blick auf
dieses Projekt, einer der profilierten Kritiker ist der Waldshuter
CDU-Landrat Bernhard Wütz. Und für gewaltigen
Zündstoff selbst in Bern, Berlin und Brüssel sorgt der
seit Jahren tobende Streit um den Lärm, den die Bewohner des
deutschen Hochrheins wegen der Landeanflüge auf den Airport
Zürich über ihrem Gebiet ertragen müssen. Landrat
Wütz kompromisslos: "Einen derartigen Lärmexport
akzeptieren wir nicht."
Zusammentreffen vieler Probleme
2004 ist kein gutes Jahr für die deutsch-schweizerischen
Beziehungen, jedenfalls nicht vor Ort - zumal auch noch im
Frühsommer der Bundesgrenzschutz kurzzeitig mit
verschärften Kontrollen lange Warteschlangen an den
Übergängen und erheblichen Ärger provozierte.
Gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung" zeigte sich
Ministerpräsident Erwin Teufel, der den fluglärmgeplagten
Bewohnern Hohentengens und anderer Orte Rückhalt gibt und
dessen Agrarminister Willi Stächele die badischen
Grenzlandbauern unterstützt, "unglücklich darüber,
dass jetzt ein paar Probleme zufällig zusammengekommen sind
und die Beziehungen da und dort erschweren". Aber deshalb
müsse man "nicht gleich den Staatsnotstand ausrufen", versucht
der Stuttgarter Regent die Gemüter zu beruhigen: "Es ist doch
natürlich, dass auch gute Nachbarn mitunter Probleme zu
lösen haben." Diese Diplomatie kann nicht verdecken, dass eine
Lösung der Konflikte nicht in Sicht ist: Die Situation ist
verfahrener denn je.
Im Sommer ist ein Versuch misslungen, bei einer Schlichtung
einen Kompromiss beim Zoff um den Fluglärm zu finden. Der
Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger hatte die
Airportbetreiber, die Stadt Zürich, südbadische
Landkreise und Bürgerinitiativen am runden Tisch versammelt.
Doch schon beim ersten Treffen platzte diese Mediation: wegen
diverser Züricher Anwohnervereinigungen, die sich dagegen
wehren, den Lärm vom Hochrhein auf den Süden und Osten
der Stadt zu "verlagern". Bereits zuvor war ein zwischen den
Regierungen in Berlin und Bern ausgehandelter Staatsvertrag
über eine Fluglärmreduzierung am Widerstand Zürichs
und des Ständerats, der Kammer der Kantone, gescheitert.
Dieses Abkommen sah vor, die Landeanflüge von Norden auf
jährlich 100.000 zu beschränken und zudem ein striktes
Nachtflugverbot zu dekretieren. Der Vereinbarung waren
unzählige Demonstrationen, Petitionen, Krisensitzungen und
Verhandlungen vorausgegangen.
Mittlerweile hat Deutschland von sich aus Nachtflugverbote
verhängt und will überdies nach und nach die Zahl der
Landeanflüge über südbadischem Territorium
reduzieren. Die Retourkutsche aus Bern auf dieses einseitige
Vorgehen Berlins ließ nicht lange auf sich warten: Die Schweiz
hat vor dem EU-Gerichtshof in Luxemburg Klage eingereicht, weil der
Airport Zürich durch diese Restriktionen "diskriminiert"
werde. Überdies erwägen die Eidgenossen einen so
genannten "gekröpften" Nordanflug: Die Maschinen würden
dann nicht mehr über badisches Gebiet, aber direkt an der
Grenze entlangdonnern - die Hohentengener litten immer noch unter
dem Lärm. Auf den ersten Blick ist es eindeutig: Der Flughafen
Zürich und damit die Schweizer Wirtschaft exportieren den
Lärm auf fremdes Territorium, und das geht nicht. Doch so
simpel ist die Gemengelage nicht: Das Komitee "Weltoffenes
Zürich", das sich für den Airport stark macht, weist
darauf hin, dass die Eidgenossenschaft als europäisches
Transitland erhebliche Verkehrslasten auf sich nimmt - wovon auch
die Bundesrepublik profitiert.
Der Fluglärm am Hochrhein: ein Streit ohne Ende. Gleiches
gilt für den "Bauernkrieg". "Deutsche Grenzlandwirte in Wut,
weil der Staat nix tut": So steht es auf badischen Transparenten.
Schon 3.500 Hektar Nutzfläche in der Grenzregion sind in
eidgenössischer Hand, in manchen Orten gehören bereits
über 50 Prozent der Äcker den Nachbarn, deutsche Bauern
sehen ihre Existenz gefährdet. Stuttgart schaltete
mittlerweile über den Bundesrat die Bundesregierung wegen des
Schweizer Landkaufs ein. Es fanden zwischen Berlin und Bern auch
Verhandlungen statt, freilich bislang ohne Ergebnis. Seit 2002
erlaubt ein Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und Bern
Schweizer Bauern den unbeschränkten Kauf von Grundstücken
nördlich des Hochrheins. Den dort angebauten Weizen
können die Eidgenossen zollfrei ins eigene Land
einführen, wo sie hochsubventioniert beste Preise erzielen.
Die deutschen Landwirte indes müssen Zölle berappen beim
Export nach Süden. Die Finanzkraft der eidgenössischen
Bauern, die ihren badischen Kollegen Äcker wegschnappen, kommt
nicht von ungefähr. Aber auch in diesem Fall hat die Wahrheit
zwei Gesichter. Deutsche Landwirte empören sich zwar über
reiche Schweizer "Raubritter". Doch von steigenden Kaufpreisen und
Pachtzinsen profitieren badische Landsleute: jene, die verkaufen
oder verpachten. Aber darüber redet man nicht so gerne.
Zurück zur
Übersicht
|