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Ralf Hanselle
Eine lange Erzählung von der Befindlichkeit
der Menschen
In Berlin hat die umstrittene
Friedrich-Christian-Flick-Collection eröffnet
In Berlin scheint sich seit einigen Monaten ein
erstaunliches Phänomen zu zeitigen. Moderne Kunst, seit Jahren
das Stiefkind eines jeden Stadtkämmerers, bewegt sich aus
seiner angestammten Schmollecke heraus und schickt sich an, immer
neue Debatten zu forcieren. Kaum dass sich die letzten
MoMA-Besucher ihre Füße vor der Neuen Nationalgalerie
platt gestanden haben und die hochwertigen Kunstwerke für den
Abtransport bereit stehen, ist bereits eine neue Sammlung in der
Hauptstadt angekommen: die viel diskutierte
Friedrich-Christian-Flick-Collection.
Doch was viel Rumor macht, muss nicht immer
Kunst sein. Während es beim MoMA am Ende nur noch um Zahlen,
Daten und Rekorde ging, hängt sich auch die Flick-Debatte
weniger an den hier gezeigten Positionen und der Präsentation
von Kunstwerken auf. Es geht nahezu ausschließlich um die
Familiengeschichte des Sammlers. Das Eigentliche - eine der
bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen zur Kunst des
ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts - droht an dieser
Debatte zu ersticken.
Dass gestritten wird, tut Not. Denn Friedrich
Christian Flick ist nicht irgendein Sammler, sondern Enkel und Erbe
Friedrich Flicks - bereits zu Zeiten der Weimarer Republik einer
der bedeutendsten deutschen Industriellen und nach der
Machtergreifung der Nationalsozialisten erheblicher Profiteur von
"Arisierung" und Zwangsarbeit. Bis zu 60.000 Zwangsarbeiter soll er
in seinen Rüstungsunternehmen beschäftigt haben. Und fast
noch schlimmer: Ohne Anzeichen von Reue stieg "Flicken Fritz" nach
1950 wieder auf, wie der Phoenix aus der Asche.
Obwohl in Nürnberg zu sieben Jahren Haft
verurteilt, baute er nach seiner vorzeitigen Entlassung erneut ein
Imperium auf, das in der frühen Bundesrepublik seines Gleichen
suchte. Und die Sklavenarbeiter von einst, sie wurden zu Lebzeiten
Friedrich Flicks nie entschädigt. "Sollte von 1933 bis 1945
ein Vermögenszuwachs bei mir eingetreten sein", so gab Flick
in Nürnberg in einer einmaligen Dreistigkeit zu Protokoll, "so
wäre er selbst dann eingetreten, wenn ich während dieser
Jahre spazieren gegangen wäre."
Eine unverfrorene Geisteshaltung, die in den
Trümmerjahren oft ohne Einspruch durchgewinkt wurde. Mit der
Kunstsammlung des Enkels steht sie nun erneut zur Diskussion.
Wenige Monate vor Eröffnung schrieb Salomon Korn,
stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in
Deutschland, an der Sammlung klebe das "Blutgeld" der "Arisierung"
und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Was Korn erzürnte, war
die Weigerung des Flick-Enkels, als Privatmann in den
Zwangsarbeiterfond einzuzahlen.
Flick reagierte irritiert. Schließlich
hätten einstige Firmen des Konzerns durchaus in den Fond
eingezahlt und er als Privatmann eine in Potsdam ansässige
Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit gegründet. Als ihm
schließlich namhafte Stimmen, darunter die des renommierten
Sammlers Heinz Berggruen und des Direktors des Jüdischen
Museums, Michael Blumenthal, zur Hilfe kamen, in dem sie ihrerseits
Korn "Sippenhaft" vorwarfen, legte dieser nach. Nun sah er in
Berlin gar den Boden bereitet für eine hypothetische
Göring-Collection.
Der Zenit der Debatte war überschritten,
und die Argumente wurden immer verholperter. Nicht nur, dass der
Sammlung "Weißwäsche" der Historie vorgeworfen wurde, es
ging gar soweit, dass man den Chef-Kurator der Ausstellung, Eugen
Blume, als Holocaustleugner zu verunglimpfen suchte. Was als
notwendige Auseinandersetzung über die Verantwortung der
Nachgeborenen begann, endete nicht selten in einer unproduktiven
Diskurskeiferei.
Und die Kunst? Sie schwieg! Als trauten viele
ihr tatsächlich nicht mehr zu, als der ästhetische Kitt
zur Aufhübschung einer Familiengeschichte zu sein, wurde
über diese erst gesprochen, als am vergangenen Dienstag die
Sammlung im Hamburger Bahnhof in Berlin eröffnet wurde.
"Kunst", so Kulturstaatsministerin Christina Weiss vor der
Eröffnung, "lässt sich nicht als Geisel nehmen." Wer die
13.000 Quadratmeter, auf denen die Werke der
Friedrich-Christian-Flick-Collection in einer ersten Darbietung
ausgerollt wurden, in Augenschein nimmt, beginnt dem Inhalt dieser
Worte nachzuspüren.
Wie in Bruce Naumans Video "Raw Material", in
dem ein Mensch in hoher Geschwindigkeit unentwegt um seine eigene
Körperachse gedreht wird, vermag diese Kunst die Argumente
beider Seiten mit einem Mal schwindlig zu drehen. Eine Sprache, der
man zuvor stets das Wort abgeschnitten hatte, beginnt sich hier in
voller Wucht zu entfalten. Denn es wird jene Moderne gezeigt, die
in ihren Brüchen und Differenzen das letzte Jahrhundert
entscheidend geprägt hat und die ohne die barbarische
Zäsur Auschwitz so nie denkbar gewesen wäre.
Schon die Darbietung in den vom Architekten
Wilfried Kühn umgestalteten Rieckhallen verdeutlicht, dass die
gut 2.500 Werke der Friedrich-Christian-Flick-Collection nicht das
Dekor eines historischen Schandflecks sein wollen. Dieser
läuft vielmehr an allen Orten des Ausstellungsparcours mit.
Die Verstrickungen, Unsagbarkeiten und Auswirkungen von Geschichte
und Gegenwart werden letztlich mit jedem Kunstwerk neu
transportiert.
Da sind zum Beispiel die gut 70 Werke Bruce
Naumans. Der amerikanische Video- und Installationskünstler
hat sich in seinen Arbeiten nicht nur immer wieder mit den
Strukturen räumlicher und symbolischer Machtverhältnisse
auseinander gesetzt. Er macht diese in seinen begehbaren Skulpturen
geradezu physisch erlebbar. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass
gerade Naumans Arbeiten in Umfang und Präsentationsdichte
einen Schwerpunkt der Sammlung bilden.
Überhaupt sind es immer wieder Arbeiten,
die sich mit den Themenfeldern Gewalt, Autorität und Ohnmacht
auseinander setzen. Etwa die legendären Fotografien Larry
Clarks aus den 70er-Jahren, die um die Brutalität und
Erbarmungslosigkeit in der westlichen Jugendkultur kreisen, oder
jüngere Arbeiten des Turner-Preisträgers Wolfgang
Tillmanns. Dieser hat sich auf einer Serie "Soldiers" mit der
Präsenz eines militärischen Bildvokabulars in den
Massenmedien beschäftigt.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Sammlungen
des Hamburger Bahnhofs, den Sammlungen Marx und Marzona, mag die
des Friedrich Christian Flick eine geringere ästhetische
Dichte aufweisen. Hier ist nahezu jede künstlerische Position
vertreten, die in den letzten 30 Jahren von sich reden gemacht hat.
Von Marcel Broodthaers bis zu Daniel Richter, von den
Re-Fotografien eines Richard Prince bis zu den
Großflächenfotos von Thomas Struth. Eines aber ist diese
Sammlung, die Flick für sieben Jahre als Leihgabe den
Staatlichen Museen übereignet hat, mit Sicherheit nicht:
inhaltlich willkürlich.
Besonders dem Kurator Eugen Blume ist es zu
danken, dass die Werke neben der ihnen innewohnenden Kraft immer
auch eine zweite narrative Ebene bekommen. In einer Hängung
von 17 Kapiteln hat er versucht, eine "Erzählung von den
Befindlichkeiten des Menschen" zu entfalten. Diese reicht vom
"Schöpfungsmythos" bis zu
"Körpereinschreibungen".
In einer Abteilung, die unter den
symbolischen Titel "Raststätte" gestellt wurde, hängt
eines der unprätentiösten, dafür aber
aussagekräftigsten Werke dieser einmaligen Sammlung. Tief im
Kellergeschoss der Rieckhallen, entdeckt der Besucher eine der
vielleicht bedeutendsten Arbeiten Martin Kippenbergers. Schon zur
Zeit ihrer Entstehung war sie als ein ironisch-verspielter
Kommentar auf einen leichtfertigen Umgang mit Symbolen und auf die
Verantwortung von Kunst gedacht. Der Titel des Gemäldes, das
nicht viel mehr zeigt als schwarz-rot-weiße Balken, die auf
verspielte Art ineinander verschachtelt sind, holt an diesem Ort zu
neuer Schlagkraft aus. Er lautet: "Ich kann beim besten Willen kein
Hakenkreuz entdecken."
Friedrich-Christian-Flick-Collection im
Hamburger Bahnhof. Di - Fr 10:00 - 18:00 Uhr; Sa 11:00 - 22:00 Uhr;
So 11:00 - 18:00 Uhr. Die Eröffnungsausstellung läuft bis
zum 23. Januar 2005. Invalidenstraße 50 - 51.
Berlin.
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