wol
Position zum Islamismus zwischen Konfrontation
und Dialog
Öffentliche Anhörung
Inneres. Die Aussagen in der öffentlichen Sitzung des
Innenausschusses von den Sachverständigen zum Thema
"Islamistische Einflüsse auf die Gesellschaft und ihre
Auswirkungen" bewegten sich am 20. September zwischen einer
Zuspitzung der Positionen und einer Suche nach geeigneten Formen
und Ebenen des Dialogs zwischen Politik und gesellschaftlichen
Kräften Deutschlands und den Sprechern und Führern der
verschiedenen Glaubensrichtungen der insgesamt rund 3,3 Millionen
in Deutschland lebenden Muslime. Dies ergab sich bereits aus den
Eingangsstatements der Experten und den dazu gestellten Fragen.
Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz (BfV), stellte dar, dass aufgrund der
grundgesetzlichen Religionsfreiheit nicht der Islam Gegenstand der
Tätigkeit des BfV sei oder sein dürfe, sondern einzig die
Auswirkungen des Islamismus. Dabei sei zwischen einer religiös
motivierten Form, einem ausdrücklich politischen Charakter und
einer versteckten oder offenen Aufforderung zu Gewalttaten zu
unterscheiden. In diesem Zusammenhang sei zu differenzieren
zwischen Fundamentalismus und orthodoxer Auslegung bis hin zu
konkreten islamistischen Handlungsvorhaben, deren Folgen die
freiheitlich-demokratische Grundordnung oder ein anderes
Schutzgebiet des grundsätzlichen Bereichs beeinträchtigen
könnten. Zum anderen sei das Amt erst aufgefordert, wenn
begründete Fakten hierzu vorlägen, betonte Fromm.
Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur in Berlin
legte dar, der Islam als Religion habe eine größere
Bedeutung für seine Anhänger, als bei anderen Religionen.
Die Schwierigkeit, der islamischen Weltgemeinschaft von Schiiten,
Sunniten und anderen Gruppen angemessen zu begegnen, liege in einem
"Zukunftsmodell", orientiert an dem von Mohammed postulierten
"Jahrhundert der Glückseligkeit". Seit dem Zeitpunkt des in
der französischen Revolution deklarierten
Aufklärunggedankens gebe es einen deutliches
Auseinanderdriften des Verständnisses.
Johannes Kandel von der Friedrich-Ebert-Stiftung sagte, es gelte
zunächst eine grundsätzliche Positionierung vorzunehmen
und sozusagen ein "Management der Diversität" als Hauptaufgabe
demokratischer Gesellschaft herzustellen. Dabei führe eine
Feindbildargumentation zu einer "self-fulfilling prophecy" und zur
Verfestigung der Unterschiede, denn noch seien 70 bis 80 Prozent
der in Deutschland lebenden Muslime nicht organisiert.
Professor Tilman Nagel von der Universität Göttingen
verdeutlichte, bei der Begegnung mit dem Islam habe es bislang
keinen Impuls zu einer "historischen Aufarbeitung" gegeben, sondern
ein Festhalten am geschriebenen Wort. Diesem Ritus müsse durch
Relativierung sowohl im islamischen Religionsunterricht als auch in
der Diskussion langfristig begegnet werden. Politischer Druck auf
die hiesigen orthodoxen Gemeinden des Islams könne dagegen zu
kontraproduktivem Verhalten und zu einer Parallelgesellschaft
führen.
Nicht in die Falle der Islamisten gehen
Ahmet Senyurt, freier Journalist und Publizist aus Köln,
riet ebenfalls dazu, den Islam als Religion nicht gleichbedeutend
mit dem Islamismus zu setzen. Es gelte, genau hinzusehen und "nicht
mit einer Zuspitzung der unterschiedlichen Ansichten in die Falle
der Islamisten zu gehen": Eine grundsätzlich ablehnende
Haltung gegen den Islam könne sonst zu einer Homogenisierung
der islamischen Gruppen führen und diese mit einer
stärkeren Ausprägung des Islamismus vereinen. Anderseits
sei deutlich zu machen, wo der Islamismus in Deutschland die
grundgesetzlichen Grenzen überschreite.
Professor Werner Schiffauer von der Europa-Universität
Viadrina legte dar, Gegenpositionen zum ultraorthodoxen Islam mit
revolutionärer Auslegung könnten nur aus dem Kreis der
islamischen Gemeinden heraus entwickelt werden. Besondere Bedeutung
kommt Gemeinden zu, in denen es in den 80er und 90er Jahren
türkeibezogen zu einer Überwindung ehemals islamistischer
Positionen gekommen sei. Druck auf solche Gemeinden,
Polizeikontrollen vor Moscheen seien zwar angesichts der Angst
verständlich, werde sich aber langfristig äußerst
kontraproduktiv auswirken. Im Übrigen seien Moscheen nicht
allein als Gotteshäuser zu betrachten, sondern als umfassendes
Bildungsangebot des Islam. Hier sei die Diskussion anzusiedeln.
Professor Udo Steinbach, Direktor des Deutschen Orient-Instituts
in Hamburg konstatierte, angesichts des nie gekannten Ausmaßes
von Gewalt in der islamischen Welt sei das Thema Islamisten in
Deutschland kein ganz großes Thema. Um so mehr gelte es,
hierzulande ein friedliches Nebeneinander zu organisieren, um
Frustration und Verzweiflung der Betroffenen aufzufangen und eine
Zunahme an Feindseligkeit und Abschottung zu verhindern. wol
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