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Martin Wagener
In der Sinnkrise: Operation "Tantalus"
Der Terror-Bekämpfung mangelt es an einer
konsequenten Außen- und Innenpolitik
Nach den Anschlägen von New York und
Washington D.C. vor nun mehr als drei Jahren hat die deutsche
Regierung klug gehandelt. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte
ohne großes Zögern die Unterstützung des Kampfes
gegen den islamistischen Terrorismus auch mit militärischen
Mitteln zu. Und in der Tat stimmt das von
Bundesverteidigungsminister Peter Struck geprägte Bild, wonach
Deutschland nun auch am Hindukusch verteidigt werden müsse.
Denn die Wahrscheinlichkeit, dass nach den Anschlägen von
Madrid am 11. März dieses Jahres weitere Terrorakte in Europa
durchgeführt werden, ist nur dadurch zu senken, dass
Gruppierungen wie der Al Qaida und den Taliban Rückzugs- und
Vorbereitungsräume für Anschläge entzogen
werden.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der
Operation "Enduring Freedom" sowie der International Security
Assistance Force (ISAF) in Afghanistan liegt grundsätzlich im
nationalen Interesse Deutschlands. Die konkrete Ausgestaltung
einzelner Missionen, insbesondere aber ihre mangelnde Einbettung in
eine stringente Innen- und Außenpolitik, gibt jedoch
berechtigten Anlass zur Kritik.
Fraglich ist zum Beispiel mit Blick auf die
Lage in Afghanistan, ob es nicht geradezu zynisch ist, dass die
dort eingesetzten deutschen Soldaten de facto zu unfreiwilligen
Helfern des Schlafmohnanbaus geworden sind. Da die
Drogenbekämpfung nicht zum Aufgabengebiet der Bundeswehr
gehört, können die heimischen Bauern ungestört
Rekordernten einfahren, die allein 2003 um acht Prozent gesteigert
worden sind. Mittlerweile erfolgen 75 Prozent der weltweiten
Opiumproduktion in Afghanistan, und es ist keine Polemik zu
behaupten, dass es heute eine ganz neue Wirkungskette zwischen
Mitarbeitern des Bundesverteidigungs- und des
Bundesgesundheitsministeriums gibt. Je stärker die einen der
Produktion von Heroin tatenlos zuzusehen haben, desto aktiver
müssen die anderen bei der Suchtbekämpfung werden. Die
Schlange beißt sich hier gleich mehrfach in den Schwanz: Die
Bundeswehr unterstützt die Übergangsregierung von
Präsident Hamid Karzai, zu deren Hauptaufgaben die Entwaffnung
der Kriegsherren gehört, die ihre Ausrüstung jedoch
gerade über die Erlöse aus dem Schlafmohnanbau
finanzieren.
Am Horn von Afrika
Weitere derartige Absurditäten
ließen sich anführen. Wie effektiv können
beispielsweise die auf Fregatten am Horn von Afrika eingesetzten
deutschen Boarding Teams im Rahmen der Operation "Enduring Freedom"
sein, wenn sie Schiffe nur nach Erlaubnis des jeweiligen
Kapitäns durchsuchen dürfen?
Die Diskussion dieser und ähnlicher
Details prägt gegenwärtig die Debatte um Sinn und Unsinn
deutscher Auslandseinsätze. Die besonderen Bedingungen des
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus legen jedoch noch
eine weitaus schwerwiegendere Kritikebene offen: Die mit den
Operationen "Enduring Freedom" sowie der ISAF verbundenen
Hoffnungen laufen zu einem großen Teil ins Leere, da sie nicht
auf einer in sich stimmigen Außenpolitik basieren und auch
innenpolitische Handlungserfordernisse ignorieren. Die Bundeswehr
befindet sich dabei in der Rolle des Tantalus, Sohn des Zeus, der
die an den Zweigen hängenden Früchte nie erreichte, da
sie zurückschnellten, sobald er nach ihnen griff.
Die Wirkungen des Kampfes gegen den
internationalen Terrorismus werden begrenzt bleiben, wenn
Deutschland in gutem Glauben zu jenen Ländern umfassende
Beziehungen pflegt, deren Führungen islamistische
Zielsetzungen verfolgen oder in Teilen sogar offen mit der Al Qaida
sympathisieren. Verwunderlich ist etwa, dass Bundeskanzler Gerhard
Schröder der gegenwärtigen türkischen Regierung ohne
Vorbehalte gegenübersteht. Für Berlin scheint die
islamistische Vergangenheit von Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan und seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP)
keine Rolle mehr zu spielen. Erdogan hatte in der mittlerweile
verbotenen Wohlfahrtspartei Karriere gemacht, wobei er es bis zum
Bürgermeister Istanbuls brachte. Zwischenzeitig saß er
wegen verfassungsfeindlicher, gegen den Kemalismus gerichteter
Aktivitäten im Gefängnis.
Die Frage des EU-Beitritts der
Türkei
Der Islam-Experte Bassam Tibi wunderte sich
deshalb über die positiven Reaktionen der Bundesregierung auf
den Sieg der AKP im November 2002: "Erdogan und sein Stellvertreter
Abdullah Gül sind ebenso Islamisten wie ihr Ziehvater Erbakan;
sie vertreten eine islamistische Ordnung, sind aber klüger und
pragmatischer als ihre Vorgänger und denken, ein Spatz in der
Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Europa und die EU sind
nah, ein neo-osmanisches Großturkestan ist fern. Wer wie
Erdogan seine Tochter in den Westen schickt, damit sie mit Kopftuch
studieren kann, weil dies in der säkularen Türkei nicht
möglich ist, der kann politisch nur den Wunsch verfolgen, dass
mit Hilfe Westeuropas die Frauen in der Türkei wieder
verschleiert werden können ("Die Welt", 10. November
2002)."
Erdogan ist mit Sicherheit kein Sympathisant
der Al Qaida, zumal Istanbul im November 2003 selbst von mehreren
Terroranschlägen heimgesucht worden ist. Die von ihm verfolgte
Förderung schariatischer Strukturen in und außerhalb der
Türkei begünstigt aber jene Form des Islam, auf dessen
Basis radikales Gedankengut entsteht. Sollte das Land am Bosporus
daher in den nächsten Jahren tatsächlich in die
Europäische Union aufgenommen werden, würde dies nicht zu
einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des
Islamismus beitragen.
Mindestens genauso problematisch sind die
Beziehungen zu Saudi-Arabien. Deutschland kann sich seine
außenpolitischen Partner zwar nicht immer aussuchen. Und
natürlich ist es unter bestimmten Bedingungen richtig, zum
Wohle der Menschen auch mit autoritären Staaten
Kooperationsformen einzugehen. Im Kampf gegen den Terrorismus
dürften bestimmte bilaterale Projekte aber eher
kontraproduktiv sein. Berlin pflegt freundschaftliche Bande mit
Riad, die zuletzt im Oktober 2003 durch einen Besuch Gerhard
Schröders ausgebaut worden sind. Für enge Beziehungen
gibt es mehrere gute Gründe. Das Königreich nimmt eine
strategisch bedeutende Stellung am Persischen Golf ein, ist
Hüter der Heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina,
verfügt über
25 Prozent der bekannten
Welterdölreserven und scheint für deutsche Unternehmen
ein zunehmend interessanter Absatzmarkt zu werden.
Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit aber
auch immer wieder massiv den internationalen Islamismus
gefördert, was sich bis 2001 symbolisch in der diplomatischen
Anerkennung des Taliban-Regimes gezeigt hat. Auch wenn Osama Bin
Laden bereits seit Jahren zum Sturz des Königshauses aufruft,
weil dieses US-Truppenstationierungen auf heimischem Boden
erlaubte, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Familie Al
Saud nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern weltweit die
Wahhabiten-Bewegung fördert. Diese zählt innerhalb des
sunnitischen Islam zu den äußerst konservativen
Glaubensrichtungen und lehnt Religionsfreiheit strikt ab,
wenngleich dieses Recht in westlichen Ländern für eigene
Einrichtungen regelmäßig eingefordert wird. Es wäre
zu weit gegriffen, Saudi-Arabien als Auftraggeber von Attentaten zu
bezeichnen. Innerhalb der Führung um König Fahd existiert
jedoch eine radikalislamische Gruppierung, zu der vor allem
Innenminister Prince Nayef gehört. Er wird von Experten in die
ideologische Nähe der Al Qaida gerückt. Aus diesem
Dunstkreis stammt auch Prinz Turki, ehemaliger Chef des saudischen
Geheimdienstes und gegenwärtig Botschafter in
Großbritannien. Er gilt als einer der zentralen Organisatoren
des Aufstiegs der Taliban in den 90er-Jahren und soll
vorübergehend mit Osama Bin Laden persönlich befreundet
gewesen sein. Es dürfte kaum zu bestreiten sein, dass
zumindest ein Teil der saudischen Führung terroristische
Strukturen wenigstens ermöglicht hat.
Aus dieser Perspektive wirkt die Zustimmung
der deutschen Behörden zum Bau der König-Fahd-Akademie in
Bonn, die 1995 eröffnet worden ist, geradezu blauäugig.
Sicherheitskreise gehen davon aus, dass diese Institution zum
Anziehungspunkt radikaler Muslime geworden ist, die dort ihre
Kinder unterrichten lassen. So ehrenwert das damalige Ansinnen auch
war, einen Dialog der Religionen fördern zu wollen: Fraglich
ist, ob dies der richtige Weg ist - und wieviel gleichberechtigten
Dialog der Wahhabismus, der eine Ausbreitung des Islam und damit
missionarische Ziele anstrebt, zulässt. Den an der
König-Fahd-Akademie verwendeten und mittlerweile
übersetzten Schulbüchern sind keine glaubwürdigen
Anzeichen von Toleranz und Integrationswillen zu entnehmen.
Vielmehr werden die Schüler systematisch mit antisemitischem,
antiwestlichem und islamistischem Gedankengut indoktriniert. Daher
sollten sowohl bestehende als auch künftige derartige
Kooperationsprojekte Deutschlands mit Saudi-Arabien
grundsätzlich überdacht werden.
Weitere Voraussetzung eines erfolgreichen
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ist eine logische
Abstimmung zwischen Innen- und Außenpolitik. Dies ist
gegenwärtig nur bedingt der Fall. Während Soldaten der
Bundeswehr am Hindukusch einen Beitrag dazu leisten, Anhängern
der Taliban und der Al Qaida den Nährboden zu entziehen, ist
die Bundesregierung weder willens noch fähig, konsequent gegen
islamistische Gruppierungen auf deutschem Staatsgebiet vorzugehen
und diese notfalls zu verbieten. Der Fall des Metin Kaplan ist hier
nur die Spitze des Eisbergs. Erst nach den Anschlägen von New
York und Washington D.C. wurde dessen 1984 gegründete
Organisation "Kalifatsstaat" im Dezember 2001 verboten. Bis heute
ist es nicht gelungen, den "Kalifen von Köln", der über
Jahre gegen das Judentum, den NATO-Verbündeten Türkei und
die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands gehetzt
hat, auszuweisen.
Metin Kaplan hat es sowohl Regierung als auch
Opposition einfach gemacht, ihn zur unerwünschten Person zu
erklären. Weitaus problematischer sind Gruppierungen, die mit
gezielten Camouflage-Taktiken arbeiten. Der Verfassungsschutz geht
in seinem jüngsten Bericht vom Mai 2004 davon aus, dass im
vergangenen Jahr 24 islamistische Organisationen mit circa 30.950
Mitgliedern in Deutschland aktiv waren. Hinzu kommen Tausende von
Sympathisanten, die über zahlreiche Moscheen und Islamische
Zentren eingebunden werden.
Warnung des Verfassungsschutzes
Die mit Abstand stärkste Organisation
ist die türkische Islamische Gemeinschaft Milli
Görüs e.V. (IGMG), die über 26.500 Mitglieder
verfügt. Nach wie vor sieht sie Necmettin Erbakan, der
für die islamistische Wohlfahrtspartei von 1996 bis 1997
für kurze Zeit türkischer Ministerpräsident war, als
geistigen Führer an. Die IGMG strebt danach, für ihre
Anhänger schariatische Lebensbedingungen innerhalb der
deutschen Gesellschaft zu schaffen. Der Verfassungsschutz warnt
deshalb: "Bezüglich der von der Organisation angestrebten
Ziele zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem nach außen
vertretenen Anspruch und intern an die Mitglieder gerichteten
Verlautbarungen. [...] Auch Versicherungen von
IGMG-Funktionären, die Wertordnung des Grundgesetzes
vollinhaltlich anerkennen zu können, ist mit Skepsis zu
begegnen."
Nachdenklich sollte auch die Aussage des
Verfassungsschutzes stimmen, wonach in Deutschland circa 1.300
Anhänger der ägyptischen Muslimbruderschaft aktiv sind.
Sie war 1928 von Hassan al-Banna gegründet worden, blickt auf
eine äußerst militante Vergangenheit zurück und gilt
als ideologisches Vorbild der Al Qaida. Die hierzulande
mitgliederstärkste Gruppierung innerhalb der
Muslimbruderschaft ist die Islamische Gemeinschaft in Deutschland
e.V. (IGD), die wiederum zu einem von 19 Mitgliederverbänden
des Zentralrats der Muslime gehört. Dessen Vorsitzender,
Nadeem Elyas, ist von "Report Mainz" in einer Sendung vom 21. Juli
2003 kritisch dargestellt worden. Redakteure des Südwestfunks
hatten herausgefunden, dass er in den 70er- und 80er-Jahren in den
Vereinsregisterakten der IGD geführt worden war. Der Bericht
zitiert zudem Hartwig Möller, den Chef des Verfassungsschutzes
von Nordrhein-Westfalen, der Elyas als Repräsentanten der
Muslimbruderschaft bezeichnet. Nach seiner Auffassung seien
insgesamt sogar mindestens neun der 19 Vereine, die unter dem Dach
des Zentralrates der Muslime kooperieren, der Muslimbruderschaft
zuzurechnen. Elyas behauptet zwar stets, kein Muslimbruder zu sein.
Nicht nachvollziehbar ist dann jedoch, warum er weiterhin auf
seiner Internetseite für die IGD wirbt. Ein offener
Unterstützungsaufruf für Osama Bin Laden hätte eine
vergleichbare Qualität! Vor diesem Hintergrund ist es kaum zu
glauben, dass Elyas eine derart angesehene gesellschaftliche
Stellung besitzt, die ihn nicht nur zum anerkannten
Gesprächspartner von Regierung und Opposition macht. Auch der
ehemalige Bundespräsident Johannes Rau ließ in
offiziellen Reden wie jener vom 24. März 2003 nicht den
geringsten Zweifel an den friedvollen Absichten von Nadeem Elyas
aufkommen. Ja selbst Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der
Juden, scheinen die Berichte des Verfassungsschutzes zu den
Verflechtungen der Muslimbruderschaft nicht zu stören.
Regelmäßig nimmt er mit Elyas an gemeinsamen
Veranstaltungen teil.
Diese Beispiele zeigen, dass die deutsche
Außenpolitik in sich nicht logisch strukturiert und auch nicht
systematisch mit der Innenpolitik verbunden ist.
Lebensgefährliche Einsätze wie jener am Hindukusch, wo
das deutsche Feldlager "Camp Warehouse" in Kabul
regelmäßig mit Raketen beschossen wird, lassen sich kaum
rechtfertigen, solange die Konsequenzen bilateraler Beziehungen
nicht richtig durchdacht und Freiräume gewaltbereiter Muslime
in Deutschland nicht eingeengt werden. Die Beteiligung der
Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom" und der ISAF macht
zwar grundsätzlich, unter den gegenwärtigen Bedingungen
aber nur sehr begrenzt Sinn.
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