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Sandra Schmid
"Stark, klug - und verwundbar"
Welches Bild von Deutschland haben die zehn
neuen EU-Mitgliedsstaaten?
Die Deutschen sind pünktlich, gewissenhaft, fahren schnelle
Autos, essen viel Wurst und benehmen sich im Urlaub gern daneben.
Deutsche kennen diese Vorurteile: Stereotype sind das zwar, doch
sie sind häufig überzeugt, dass solche Klischees ihr Bild
im Ausland prägen. Aber welches Deutschlandbild haben Polen,
Ungarn oder die Bevölkerung in den Baltischen Staaten
wirklich? Was assoziieren die Menschen in den Ländern mit
Deutschland, die erst vor wenigen Monaten, am 1. Mai 2004, Mitglied
der Europäischen Union geworden sind? Gibt es überhaupt
ein Deutschlandbild und hat es sich seit den Umbrüchen in den
letzten Jahrzehnten verändert?
Diese Fragen standen am 28. September im Mittelpunkt einer
Podiumsdiskussion in der Berliner Akademie der Künste. Auf
Einladung der Initiative "Kulturjahr der Zehn", die den kulturellen
Austausch und Dialog zwischen Deutschland und den neuen
EU-Ländern fördert, diskutierten Wissenschaftler und
Journalisten aus Polen, Ungarn, der Slowakei, Litauen und Lettland
über unterschiedliche Deutschlandbilder, über
Ängste, Hoffnungen und Erwartungen.
"Wenn man die ältere Litauer nach ihrem Deutschlandbild
fragt, dann stößt man ab und zu noch auf
Sprichwörter", erzählte Alvydas Nikzentaitis, Historiker
aus Vilnius. Selten sind diese schmeichelhaft: "Klein und dick wie
ein Deutscher", zitiert Nikzentaitis ein solches erst auf
litauisch, dann auf deutsch. Während das Publikum lachte,
berichtete der Historiker weiter, in seinem Land fiele den meisten
Menschen zu Deutschland als erstes "Mülltrennung" ein. Er
erntete erneut Gelächter - die Deutschen fühlten sich
erkannt.
Doch was so amüsant klingt, hat einen ernsten Kern: Gerade
die jüngeren Litauer scheinen nicht viel mit Deutschland zu
verbinden. "Die Deutschen haben in der Vergangenheit viel geredet,
aber wenig getan", meinte Nikzentaitis. Besonders in der
Auseinandersetzung mit Russland über die Regelung des Transits
von Russland nach Kaliningrad, fühle sich Litauen
übergangen, erklärte der Historiker. "Die
deutsch-russischen Beziehungen gehen über unsere Köpfe
hinweg." In dieser Kritik schwingen Befürchtungen mit, die
auch viele Letten teilen. So sagte der lettische Journalist Ainars
Dimants, es gäbe eine latente Furcht davor, von Deutschland
und Russland übergangen zu werden. Besonders die Älteren
hegten noch immer viele Ressentiments. Anders dagegen die
Jüngeren: Für sie sei Deutschland als enger
Vebündeter der USA und Mitglied der EU positiv besetzt.
Dennoch ist die deutsche Vergangenheit, besonders die
nationalsozialistische, häufig ausschlaggebend für das
Deutschlandbild in den neuen EU-Staaten. Je traumatisierender die
Erfahrungen, desto negativer und eindimensionaler - auf diese
Erfahrungen konzentriert - die Wahrnehmung Deutschlands. In Polen
dominiert die Frage der Reparationen, die Deutschland an Polen zu
zahlen habe, nicht nur die Diskussion in Medien und Politik,
sondern auch ihre Perspektive auf den Nachbarn. "Viele Polen
fühlen sich an die Zwischenkriegszeit, die Jahre der Weimarer
Politik erinnert", sagte die Germanistin Maria Gierlak. Zwar
gäbe es kein einheitliches Deutschlandbild, doch mit dem
Aufflammen der Reparationsdebatte sei es sehr schwer geworden, sich
differenziert mit Deutschland auseinander zu setzen. "Über die
Vetreibungen von Deutschen aus Polen kann ich heute mit meinen
Studenten kaum noch sprechen", berichtete die
Universitätsdozentin.
Ganz anders die Gefühlslage in Ungarn und der Slowakei: In
beiden Ländern war der Einfluss deutscher Kultur und
Wissenschaft groß, Deutsch lange wichtigste Fremdsprache.
Durch Krieg und Nationalsozialismus änderte sich das zwar,
doch sind, so der slowakische Historiker Dusan Kovac, in der
Slowakei kaum noch Ängste gegenüber den Deutschen
vorhanden. "Die alten kulturellen Beziehungen haben nun wieder eine
Chance", glaubt er. Ungarn hingegen erhoffe sich viel von
Deutschland, sagte der Theologe und Politikberater Zoltán
Balog. Aber auch Verständnis, schließlich wisse
Deutschland, wie es ist, in einem postkommunistischen Land zu
leben. "Wir sind eigentlich die besseren Deutschen", scherzte er
und fügte hinzu: "Wir glauben oft, besser zu wissen, was
Deutschland tun sollte." Aber die Deutschen beschäftigten sich
zu viel mit sich selbst. "Immer geht es um 1945, warum nicht
häufiger um 1989?" fragte der Theologe. "Aber wir mögen
sie", meinte Balog schmunzelnd, "sie sind stark, klug - und
verwundbar." Wenn sie nicht so wollten wie die Ungarn, könne
man sie immer an Hitler erinnern. "Dann kriegen sie ein schlechtes
Gewissen und wir haben sie auf unserer Seite."
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