|
|
Bert Schulz
Der warme Wind von Helsinki
Damals...vor 30 Jahren am 17. Oktober:
Außenminister Genscher spricht vor Bundestag über die
KSZE-Verhandlungen
Wohin außenpolitische Reisen führen, ist oft erst im
Rückblick zu erkennen, denn in keinem anderen Politikbereich
können unvorhergesehene Ereignisse zu so drastischen
Kurswechseln führen. Ansätze, solche
Richtungsveränderungen selbst einzuleiten, werden deswegen von
vielen Seiten mit Misstrauen betrachtet. So auch die
Entspannungspolitik der sozial-liberalen Bundesregierung Anfang der
70er-Jahre. Sie war eine wichtige Voraussetzungen für die
Einrichtung einer der seltsamsten internationalen Gremien der
Nachkriegszeit: der Konferenz über Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Deren 1975 in Helsinki
verabschiedete Schlussakte stellte, wie der langjährige
Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) 25 Jahre
später bei einer Festveranstaltung sagte, nicht die
Besiegelung eines bestehenden Zustandes dar, sondern sie war
vielmehr "der Ausgangspunkt für einen dynamischen Prozess, der
in die Überwindung der Teilung des Kontinents
mündete".
Eine solche Entwicklung war nicht abzusehen im Herbst 1974, als
Genscher vor dem Bundestag zum Stand der Verhandlungen Stellung
nahm. Ebenso hätte sie scheitern können und mit ihr die
ganze damalige Entspannungsphase im "Kalten Krieg". Denn der Weg
nach Genf, wo seit September 1973 die Vertreter von 35 Staaten aus
Ost- und Westeuropa sowie die USA, Kanada und die Sowjetunion an
einem Tisch saßen, war lang gewesen. Zwar hatte sich die
Sowjetunion seit den 50er-Jahren um eine europäische
Sicherheitskonferenz bemüht, allerdings den Ausschluss der USA
und Kanadas davon zur Bedingung gemacht - Konditionen, die
insbesondere für die Bundesrepublik unannehmbar waren. Die
UdSSR, so glaubte man berechtigterweise, wolle einen Keil zwischen
Europa und Amerika schieben. Als sie diese Forderung aufgab, war
eine erste Vorbedingung für einen runden Tisch geschaffen.
Seit Ende der 60er-Jahre war immer deutlicher geworden, dass die
Lösung der ideologischen und politischen Spaltung Europas
untrennbar verbunden war mit der Lösung der Deutschlandfrage;
letztere war vielmehr ein Kern dieses globalen Problems. Mit der
sozial-liberalen Ostpolitik, den Verträgen von Moskau und mit
der DDR, wurde eine formale Grundlage zur Kommunikation über
den Eisernen Vorhang hinweg geschaffen - eine weitere
Voraussetzung für die KSZE. Schließlich hatte auch das
inzwischen über Jahrzehnte stabile strategische Gleichgewicht
zwischen den beiden Lagern dazu geführt, dass keine Seite an
eine direkt bevorstehende Auseinandersetzung glaubte, auch weil man
sich den Auswirkungen eines atomaren Krieges langsam bewusst wurde.
Das Risiko, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzten, schien
dagegen vergleichbar klein.
So begannen im November 1972 Vorgespräche zur KSZE, die mit
einer Außenministerkonferenz im Juli 1973 schließlich
eröffnet wurde. Die zweite Phase, als deren Ergebnis der
Gastgeber und Leiter der schweizerischen Delegation den Beschluss
von Rechtsregeln und nicht nur bloßen Willenserklärungen
forderte, startete im September in Genf.
Ein gutes Jahr später erklärte Hans-Dietrich Genscher
vor dem Bundestag bei einer durch eine Große Anfrage der Union
ausgelösten Debatte sechs Positionen, die "allseits
akzeptiert" werden sollten. So sollte die Konferenz zu einer
"dauerhaften Verständigung" beitragen, unabhängig von
Störungen aufgrund "politischer Tageschwankungen". Auch
sollten die Ergebnisse den Menschen "unmittelbar zugute" kommen.
Sicherheit und Zusammenarbeit würden am besten gefördert,
wenn Menschenrechte und Grundfreiheiten "überall" beachtet
würden. Zudem sei ein "wie immer geartetes Ergebnis" der
Konferenz kein Ersatz für die NATO, sagte Genscher. Der
Außenminister erkannte schon allein in der Tatsache, dass die
Konferenz zustande gekommen war, ein bereits verbreitetes "Klima
der Entspannung" in Europa.
Die Opposition zeigte sich bereit, diese Positionen zu
unterstützen. Karl Carstens (CDU) drängte darauf, dass
man sich bei den Verhandlungen nicht unter Zeitdruck setzen lasse,
auch weil die sowjetische Seite Ziele verfolge, die der
westeuropäischen Einigung geradezu entgegengesetzt seien.
Außerdem forderte er die Aufhebung des Schießbefehls an
der Mauer.
Schließlich wurde die KSZE-Schlussakte von 35 Staaten
unterzeichnet, die allerdings kein verbindlicher Vertrag war,
sondern lediglich eine gemeinsame Absichtserklärung. Dennoch
gilt sie als Meilenstein auf dem schwierigen politischen Weg zur
Überwindung der Trennung Europas. Denn, so Hans-Dietrich
Genscher wiederum 25 Jahre später, mit dem Dokument wurden
"stabile Rahmenbedingungen geschaffen für einen friedlichen
Veränderungsprozess in ganz Europa".
Zurück zur
Übersicht
|