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Josef-Thomas Göller
Four more years: Alles ruhig am Potomac
Ein Wahl-Feature aus den USA am Tag
danach
Four more years: Amerika wird weiterhin von
George Walker Bush als US-Präsident regiert. Die Konsequenzen
daraus lauten: Vermutlich vier weitere Jahre Krieg, nicht nur im
Irak, sondern mit der nahöstlichen, respektive muslimischen
Welt. Krieg im militärischen wie im ideologischen Sinne. Die
Gräben zwischen der betont christlich geprägten
Bush-Regierung und den Arabern werden sich vertiefen, Abneigung und
Hass auf beiden Seiten werden wachsen.
Eine Stunde nach Bekanntgabe der Niederlage
des demokratischen Herausforderers John Kerry, wurde in
Regierungskreisen bereits davon gesprochen, Ziele im Iran, die mit
dem Atomprogramm des Landes verknüpft sind, aus der Luft
anzugreifen. Die US-Regierung will den Aufstieg des
fundamentalistisch-islamischen Landes zur Atommacht im Nahen Osten
nicht dulden. Von einer militärischen Invasion werde "derzeit"
abgesehen, hieß es in Pentagonkreisen. Auch Syrien erhielt
neuerlich eine gelbe Karte, wurde angemahnt, endlich seine Grenze
zum Irak für Infiltranten dicht zu machen, oder...
Keine Frage - die Bush-Administration
fühlt sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht, verfügt
über geradezu uneingeschränkten Spielraum. Nicht nur
wurde bei dieser Wahl deutlich, dass die Mehrheit der Amerikaner
Präsident Bush ihr Vertrauen aussprach, sie stattete ihn
außerdem noch mit einer satten Übermacht im
Repräsentantenhaus und im Senat aus, wo die Republikaner
jeweils Sitze dazugewinnen konnten; Sieg auf der ganzen Linie. Das
ist eine carte blanche, die der Präsident zweifelsohne als
solche versteht und nutzen wird.
Zwar appellierte John Kerry bei Bekanntgabe
seiner Niederlage an seine Wähler und an die Republikaner
gleichermaßen, nunmehr aufeinander zuzugehen, und auch Bush
sprach rasch von "nationaler Einheit" - aber das ist entweder
Wunschdenken oder ein Lippenbekenntnis. Bush hat nach seiner ersten
Wahl im Jahr 2000 schon die gleiche Rhethorik gebraucht, aber
kaltschnäuzig gegenteilig gehandelt.
Seit er am 21. Januar 2001 ins Weiße
Haus einzog, trieb er mit einer gezielten ideologischen
Konfrontationspolitik die amerikanische Nation in eine tiefe
Spaltung, die sich jetzt endgültig manifestieren
könnte.
Der Geist der 60-er Jahre ist über Nacht
nach Amerika zurückgekehrt - im positiven wie im negativen
Sinne. Damals trieb Präsident Lyndon B. Johnson die USA in den
Alptraum eines Vietnamkrieges, aus dem die Amerikaner am Ende
keinen anderen Ausweg sahen, als ihre eigene Regierung mit
jahrelang anhaltenden Demonstrationen in Millionenstärke zur
Aufgabe zu bewegen. Politischer Aktivismus war damals angesagt, vor
allem unter der jungen Generation.
Ein ähnlicher Geist machte sich bereits
am Wahltag breit. Die Wahlbeteiligung erreichte nach Jahren
politischer Trägheit wieder jene von 1964, also mehr als 60
Prozent, vor allem hervorgerufen durch Jungwähler. Sowohl
Republikaner als auch Demokraten waren in der Lage, junge
Erwachsene für ihre Argumente zu mobilisieren. Selbst Teenager
erschienen am schulfreien Wahltag vor den Wahlbüros, halfen an
den Aktionsständen der Parteien mit, sangen, lachten,
provozierten neckisch politische Gegner. Eine neue, moderne Art von
Happening-Feeling machte sich mancherorts breit. Neu ist auch, dass
den konservativen Republikanern auffallend viele junge Amerikaner
zuströmen. Mit ihrer Opposition zu gleichgeschlechtlichen
Ehen, Abtreibung und vorehelichem Sex liegen ausgerechnet die
Republikaner auf der Linie von vielen der jungen Generation. Hier
zeichnet sich auch ein dramatischer Unterschied zu Europa ab, der
in Zukunft eher noch zunehmen wird und möglicherweise eine
weitere Kluft zwischen der Alten und der neuen Welt schafft: die
der unterschiedlichen Werte-Vorstellungen.
Die "Jugend" der Demokraten hingegen zeigte
sich bereits unmittelbar nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses
ungeduldig. Die Verbitterung und Enttäuschung unter der
demokratischen Wählerschaft geht diesmal weit über das
Normalmaß hinaus. Anzeichen dafür, dass Amerika diese
Wahl als Schicksalswahl begriffen hat, gab es bereits am Wahltag
selbst. Der Mehrheit der Wähler war klar, dass sie über
Krieg oder Frieden entscheidet und dass ihre Wahl mehr als jede
andere zuvor eine enorme Auswirkung auf die ganze Welt haben
wird.
Es ist keine Übertreibung festzustellen,
dass die meisten Staaten rund um den Erdball gemeinsam mit den
Amerikanern am 2. November sinnbildlich den Atem angehalten haben -
in der Hoffnung, der unbeliebteste amerikanische Präsident
aller Zeiten werde aus dem Amt gewählt. Mehr als 70 Prozent
der Weltbevölkerung hätten sich einen anderen Ausgang der
Wahl gewünscht. Das haben zum Beispiel Umfragen der
Universität von Maryland und des German Marshal Funds ergeben.
Deutsche und Norweger liegen mit ihrer Abneigung Bushs am weitesten
vorn: jeweils 74 Prozent favorisierten den demokratischen
Herausforderer John Kerry.
Aber immerhin auch nahezu die Hälfte der
Amerikaner - um die 48 Prozent - hätten lieber den besonnenen
Kerry als neuen Präsidenten gesehen, als weiterhin den
bibelfesten, von sich und seiner "Mission" überzeugten Mann
aus Texas. Dies sollte nicht außer Acht gelassen werden. Mit
bewegter Stimme haben mir demokratische Freunde gesagt: "Es gibt
auch ein anderes Amerika. Wir wollen, dass dies die Welt nicht
vergisst."
Nie zuvor habe ich sie derart
niedergeschmettert über diese politische Entwicklung gesehen:
verstört, zu kaum einem anderen Thema fähig nachzudenken
als zu dumpfer Angst vor der Zukunft. Andere rafften sich auf, ihre
Verbitterung, Trauer und Wut bereits kurze Zeit später in
Tatendrang umzusetzen. Junge und alte Demokraten, die nicht dem
trägen Parteiestablishment angehören, kündigten
sogar außerparlamentarische Opposition an, um die
Anti-Kriegsdemos der 60-er wieder ins Leben zu rufen. Millionen von
demokratischen Wählern sind sauer auf ihre Politiker. Für
ihren Geschmack - und das Wahlergebnis bestätigt sie - war die
Wahlkampfstrategie der Demokraten insgesamt zu lau, Kerry zu zahm;
er stand selbst der Argumentation Bushs viel zu nahe und benutzte
teilweise sogar die gleiche Wortwahl wie sein Konkurrent. Über
Osama Bin Laden und sein Terroristen-Netzwerk Al Qaida sagte Kerry:
"We gonna hunt them down! - Wir werden sie zur Strecke bringen."
Das ist wortwörtlich dasselbe, was Bush kurz nach dem
Terroranschlag vom 11. September 2001 verkündete.
Der einstige Deutschland-Korrespondent der
Washington Post, Marc Fisher, brachte in einem Leitartikel auf den
Punkt, welche Krisen, Versäumnisse und Probleme im
amerikanischen Wahlkampf gar nicht thematisiert worden sind: "Wo
blieb die Werte-Diskussion über die Bilder des irakischen
Gefängnisses Abu Ghraib? Was lehren wir eigentlich unsere
Kinder damit? Welche Konzepte haben wir gegen Arbeitslosigkeit und
Armut in einem reichen Land? Wie anders als militärisch
hindern wir Islamisten daran, uns in die Luft zu sprengen? Die
Frage ‚Warum hassen sie uns' ist bis heute nicht beantwortet
worden."
Marc Fisher konstatiert deshalb eine
Entfremdung zwischen Politikern und der Öffentlichkeit,
insbesondere unter Demokraten.
Sollte die Verärgerung der Opposition
tatsächlich nicht nur anhalten, sondern sich insbesondere
unter jungen Leuten steigern, steht der amerikanischen Nation eine
schwere innenpolitische Krise ins Haus, unabhängig davon, wie
stark sich Präsident Bush nun auch immer fühlen mag. Dass
sich die Fronten zwischen beiden Lagern verhärtet haben,
zeigte die Wahlnacht auch auf anderer Ebene. Wie immer bei Wahlen
in den USA, stand nicht nur eine, sondern mehrere Entscheidungen
an. Neben dem Präsidenten wurde auch über Landes- und
Lokalpolitik abgestimmt, einige Gouverneure, Senatoren und
Parlamentarier wurden neu gewählt. Es fällt auf, dass
jene, die neu ins Amt kamen, jeweils zu den Hardlinern ihrer Partei
gehören. Sprich: moderate Politiker in beiden Lagern wurden
abgewählt. Wagnersche Morgendämmerung zeichnet sich am
politischen Horizont der amerikanischen Hauptstadt ab. Noch
fließt der Potomac träge durch Washington, D.C, erste
Plakate werden gemalt, Plastikeimer zu Trommeln umfunktioniert,
Gitarren werden gestimmt: "We shall overcome …". Die
Bereitschaftspolizei rückt ihre Schlagstöcke zurecht.
"Alles ruhig am Potomac", meldete Ende 1860 - am Vorabend des
Bürgerkrieges - ein Wachposten dem Weissen Haus. Alles ruhig
am Potomac.
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