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Ursula Homann
Der alltägliche Antisemitismus
Wolfgang Benz zu brisanten Fragen
Wer hat dies nicht schon erlebt? Man befindet sich in einer bunt
gemischten Runde, die Gespräche plätschern dahin, und
plötzlich macht jemand eine flapsig abfällige Bemerkung
über Juden oder Israel. Wird der oder die Betreffende
daraufhin angesprochen, heißt es oft, eigentlich habe man
nichts gegen Juden, aber man werde doch wohl noch seine Meinung
sagen dürfen.
Dabei handelt es sich durchweg nicht um einen plumpen,
offenkundigen Antisemitismus, wie er in rechtsextremistischen
Hetzparolen zum Ausdruck kommt, sondern um jene häufig
anzutreffende Haltung, die jede Judenfeindschaft empört von
sich weist und dabei zugleich geprägt ist von antisemitischen
Stereotypen, Klischees und Geschichtsklitterungen.
Was aber hat es mit diesem ganz alltäglichen Antisemitismus
auf sich? Wie kann man seine Ursachen und Wirkungen erkennen?
Antworten auf diese Fragen findet man in der neuen Studie von
Wolfgang Benz, der als Leiter des Zentrums für
Antisemitismusforschung wie kaum ein anderer dazu berufen ist, sich
über das hochexplosive Thema zu äußern, das immer
noch aktuell ist, - nicht nur wegen der Skandale, die mit den Namen
Möllemann und Hohmann verbunden sind.
Latenter Antisemitismus, gepflegt als stiller Vorbehalt, als
gerauntes Vorurteil und als Feindbild in schweigendem Einvernehmen,
ist laut Benz ein Alltagsphänomen, dessen Dimensionen mit
Meinungsumfragen ausgelotet werden, das sich aber der Wahrnehmung
im einzelnen eher entzieht. Oftmals wird bei antisemitischen
Vorfällen ein bestimmter Mechanismus in Gang gesetzt: Auf die
Entgleisung folgt Empörung, dann kommt es zu
Solidaritätsbekundungen durch Parteifreunde und gute Bekannte.
Hoch angesehene und als korrekt eingestufte Personen geben sich
uneinsichtig, fühlen sich moralisch in ihrem
Selbstwertgefühl bedroht und versuchen, sich zu rechtfertigen,
was wiederum schnell in Schuldzuweisungen an Juden ausarten
kann.
Benz analysiert nicht nur spektakuläre Entgleisungen von
Politikern, Medienleuten und Schriftstellern; er nimmt auch die
zahlreichen Briefe, die in den letzten Jahren beim Zentralrat der
Juden in Deutschland eingegangen sind, kritisch unter die Lupe.
Diese Briefe zeigen tief verwurzelte Ressentiments, die meistens in
einem aggressiven Ton vorgebracht werden und die in ihrer
Gesamtheit ein nicht gerade positives Bild vom geistigen Zustand
unserer Gesellschaft vermitteln.
Benz erläutert genau und umfassend, was alles zum Wesen des
Antisemitismus gehört. Er unterscheidet dabei vier Grundarten:
den christlichen Antijudaismus, den Rassenantisemitismus, der im
19. Jahrhundert entstand und im Holocaust mündete, den
sekundären Antisemitismus, der sich aus Gefühlen der
Scham und der Schuldabwehr speist - nicht trotz, sondern wegen
Auschwitz, und den Antizionismus.
Man dürfe, mahnt der Autor, Judenfeindschaft weder
dramatisieren noch schön reden oder bagatellisieren. Dieses
Phänomen in all seinen Ausprägungen entziehe sich zwar
jeder rationalen Diskussion und sei weitgehend resistent
gegenüber Aufklärung. Aber das sei kein Grund zur
Resignation. Vielmehr müsse man sich um Prävention und
Prophylaxe bemühen.
Zudem seien nicht nur antisemitische Handlungen, sondern auch
antisemitisches Denken und Reden zu bekämpfen. Vor allem
sollten sich Nicht-Juden klar machen, dass die jahrhundertelange
Erfahrung von Feindseligkeit und Hass die Juden wachsam und
miss-trauisch gegenüber der nichtjüdischen
Bevölkerung gemacht hat.
Benz zeigt auch, wo Israelkritik in Judenfeindschaft
übergeht, nämlich immer dann, wenn mit stereotypen
antijüdischen Vorstellungen hantiert wird. Ferner nimmt er
Parlamentsdebatten über Antisemitismus aufs Korn, die nicht
selten vor fast leeren Rängen stattfinden, und tadelt jene,
die wissenschaftliche Erkenntnisse über Judenfeindschaft
missachten, wie es etwa der ehemalige Bundeskanzler Kohl getan hat,
als er die Studie des renommierten Antisemitismusforschers Alphons
Silbermann über die Verbreitung judenfeindlicher Ressentiments
"absurd" nannte.
Eloquent und engagiert trägt er Ansichten und Analysen vor.
Der vielseitigen und materialreichen Studie, aus der man
interessante und brisante Einzelheiten erfährt und die manche
Fragen klären hilft, wünscht man viele aufmerksame
Leser.
Wolfgang Benz
Was ist Antisemitismus?
Verlag C.H.Beck, München 2004; 256 S., 14,90 Euro
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