Andrea Dunai
Die Mär von Blut und Geschlecht
Eine Geschichte des Rassismus
Nach Fredrickson bedeutet eine bloße Feindseligkeit
Menschen fremder Kulturen oder Religionen gegenüber noch
keinen Rassismus; sie kann jedoch direkt in Rassismus münden,
sobald die Haltung in eine diskriminierende Handlung übergeht.
Er ist, sozusagen, eine moderne Zivilisationskrankheit, und als
Ideologie bedarf sie der Überzeugung von Massen. Die uralten
Topoi von biblischen Flüchen über die Kreuzigung Christi
bis hin zur "jüdischen Wurst" aus christlichem Fleisch dienen
seit Jahrhunderten dazu, diese Ideologie für die Menschen auf
der Straße "käuflich" zu machen.
Die wissenschaftliche Analyse des amerikanischen Historikers
George M. Fredrickson, die auf der obigen These basiert, beginnt im
mittelalterlichen Spanien und endet mit dem aktuellen Diskurs
über Rassismus. Die Ausführungen über die
verschiedenen Deutungen und Erscheinungsformen des Rassismus werden
an historischen Beispielen verdeutlicht. Am interessantesten
erscheinen die Beschreibungen aus den früheren Phasen der
Weltgeschichte.
Katholische Staatsräson
Die streng katholische Staatsräson in Spanien ging mit
religiöser Intoleranz einher; auch wenn die afrikanischen
Sklaven in den reicheren Teilen der Iberischen Halbinsel seit der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Straßenbild
gehörten und als Hilfskräfte an der Peripherie der
Gesellschaft wahrgenommen wurden, galten sie nicht als rassisch
Verfolgte. Gegenüber anderen Gruppen war jedoch die Haltung
intolerant und rigoros.
Zu ersten Opfern einer ideologisch gerechtfertigten
Diskriminierung wurden die zum Christentum übergetretenen
Juden. Auf die "Conversos" wurden die über Jahrhunderte
hindurch tradierten Vorurteile, denen zufolge die Juden etwa einen
Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten, angewendet. Dies war
eine Anschuldigung, welche die Unreinheit ihres Blutes vor ihrer
christlichen Bekehrung in den Vordergrund schob. Ihre Integration,
unabhängig davon, ob die Bekehrten ihre jüdische
Identität heimlich beibehielten oder nicht, erwies sich wegen
des geringen Grads an Akzeptanz innerhalb der
Mehrheitsbevölkerung als ein mühsamer Prozess.
Muslime und Indianer
Und dennoch waren die Muslime von den Maßnahmen der
Reconquista (1492) noch härter betroffen. Die neuchristlichen
"Moriscos" wehrten sich in ihrer Mehrzahl gegen die von oben
befohlene Assimilation. Hingegen wurden in Spanien die Indianer
deutlich besser behandelt. Die Annahme der katholischen Religion
war auch für sie obligatorisch, und obgleich ihre
minderwertige Rolle als Sklaven in der Gesellschaft vorbestimmt
war, sollten sie nach kirchlichen Kriterien anders als Juden und
Muslime betrachtet werden. Sie waren eben "reinblütig". Der
berüchtigte Fluch gegen Hams Sohn Kanaan , der ihn wegen des
Verhaltens seines Vaters zum "Knecht aller Knechte" verurteilte,
wurde ihrer Hautfarbe wegen auf die Schwarzen angewendet und diente
somit als Legitimation für ihr "Sklavenschicksal".
Der Autor schreibt: "Im Denken der breiten Bevölkerung
dienten die großen Verfluchungen dazu, den Christen die
Behandlung anderer Menschen als Untermenschen zu erleichtern. Die
Europäer konnten ihren Status und ihr Selbstwertgefühl
erhöhen, wenn sie behaupteten, das Blut in ihren Adern sei dem
von Menschen jüdischer Abstammung überlegen oder sie
seien aufgrund ihrer Hautfarbe die natürlichen Herren der
Afrikaner. (…) Doch um sein ganzes ideologisches Potential zu
entfalten, musste sich der Rassismus erst vom christlichen
Universalismus lösen."
"Weiße" und "Schwarze"
Dieser Prozess begann im Zeitalter der Aufklärung, als die
magische Bedeutung des Blutes allmählich aus dem
universalreligiösen Paradigma verschwand. Stattdessen
konzentrierte sich die Diskussion im 18. Jahrhundert um den Begriff
der "weißen" Rasse. Die immense Rolle der schwarzen Sklaven
relativierte sich, und die Kontroverse über die staatliche
Privilegien und Benachteiligungen verlagerte sich auf die Juden und
Nichtjuden.
In den zunehmend demokratischer werdenden Gesellschaftsordnungen
des 19. Jahrhunderts haben sich erst langsam, dann immer deutlicher
und nachhaltiger, unterschiedliche Motive der Diskriminierung gegen
die Juden in Europa und die Schwarzen in den USA sowie in
Südafrika herauskristallisiert. Während sich gegen die
Letzteren gerichtete rassistische Maßnahmen aus dem
Überlegenheitsanspruch der Weißen herleiteten, verband
sich der rassische Antisemitismus des 20. Jahrhunderts sowohl mit
biologischen Vorurteilen als auch mit volkstümlicher
Tradition. Beides lief dann in verhängnisvoller Entwicklung
zusammen, die in der "Rassekunde" im NS-System mündete.
Die in dem Buch von George M. Fredrickson beschriebenen
Tatsachen sind, genau besehen, letztlich bekannt. Zitiert werden
Feststellungen von berühmten Autoren wie Jürgen Habermas,
Johann Gottfried Herder und Zygmunt Bauman. Bei den vorliegenden
Betrachtungen ist lediglich ein weiterer, aber eben doch auch neuer
Aspekt zu erkennen: Der kulturhistorische Vergleich westlicher
Rassismen, welche durch die verschiedenen Schauplätze und
Zeiten der variierenden Erscheinungsformen akzentuiert und belegt
werden.
Georg M. Fredrickson
Rassismus. Ein historischer Abriss.
Aus dem Amerikanischen von Horst Brühmann und Ilse Utz.
Hamburger Edition, Hamburg 2004; 194 S., 18,- Euro.
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