Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
-
Homepage des Bundestages | Startseite | Volltextsuche | Ausgabenarchiv | Abonnement | Impressum | Links
-

Volltextsuche
Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

Zur Druckversion
Andrea Dunai

Die Mär von Blut und Geschlecht

Eine Geschichte des Rassismus

Nach Fredrickson bedeutet eine bloße Feindseligkeit Menschen fremder Kulturen oder Religionen gegenüber noch keinen Rassismus; sie kann jedoch direkt in Rassismus münden, sobald die Haltung in eine diskriminierende Handlung übergeht. Er ist, sozusagen, eine moderne Zivilisationskrankheit, und als Ideologie bedarf sie der Überzeugung von Massen. Die uralten Topoi von biblischen Flüchen über die Kreuzigung Christi bis hin zur "jüdischen Wurst" aus christlichem Fleisch dienen seit Jahrhunderten dazu, diese Ideologie für die Menschen auf der Straße "käuflich" zu machen.

Die wissenschaftliche Analyse des amerikanischen Historikers George M. Fredrickson, die auf der obigen These basiert, beginnt im mittelalterlichen Spanien und endet mit dem aktuellen Diskurs über Rassismus. Die Ausführungen über die verschiedenen Deutungen und Erscheinungsformen des Rassismus werden an historischen Beispielen verdeutlicht. Am interessantesten erscheinen die Beschreibungen aus den früheren Phasen der Weltgeschichte.

Katholische Staatsräson

Die streng katholische Staatsräson in Spanien ging mit religiöser Intoleranz einher; auch wenn die afrikanischen Sklaven in den reicheren Teilen der Iberischen Halbinsel seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Straßenbild gehörten und als Hilfskräfte an der Peripherie der Gesellschaft wahrgenommen wurden, galten sie nicht als rassisch Verfolgte. Gegenüber anderen Gruppen war jedoch die Haltung intolerant und rigoros.

Zu ersten Opfern einer ideologisch gerechtfertigten Diskriminierung wurden die zum Christentum übergetretenen Juden. Auf die "Conversos" wurden die über Jahrhunderte hindurch tradierten Vorurteile, denen zufolge die Juden etwa einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten, angewendet. Dies war eine Anschuldigung, welche die Unreinheit ihres Blutes vor ihrer christlichen Bekehrung in den Vordergrund schob. Ihre Integration, unabhängig davon, ob die Bekehrten ihre jüdische Identität heimlich beibehielten oder nicht, erwies sich wegen des geringen Grads an Akzeptanz innerhalb der Mehrheitsbevölkerung als ein mühsamer Prozess.

Muslime und Indianer

Und dennoch waren die Muslime von den Maßnahmen der Reconquista (1492) noch härter betroffen. Die neuchristlichen "Moriscos" wehrten sich in ihrer Mehrzahl gegen die von oben befohlene Assimilation. Hingegen wurden in Spanien die Indianer deutlich besser behandelt. Die Annahme der katholischen Religion war auch für sie obligatorisch, und obgleich ihre minderwertige Rolle als Sklaven in der Gesellschaft vorbestimmt war, sollten sie nach kirchlichen Kriterien anders als Juden und Muslime betrachtet werden. Sie waren eben "reinblütig". Der berüchtigte Fluch gegen Hams Sohn Kanaan , der ihn wegen des Verhaltens seines Vaters zum "Knecht aller Knechte" verurteilte, wurde ihrer Hautfarbe wegen auf die Schwarzen angewendet und diente somit als Legitimation für ihr "Sklavenschicksal".

Der Autor schreibt: "Im Denken der breiten Bevölkerung dienten die großen Verfluchungen dazu, den Christen die Behandlung anderer Menschen als Untermenschen zu erleichtern. Die Europäer konnten ihren Status und ihr Selbstwertgefühl erhöhen, wenn sie behaupteten, das Blut in ihren Adern sei dem von Menschen jüdischer Abstammung überlegen oder sie seien aufgrund ihrer Hautfarbe die natürlichen Herren der Afrikaner. (…) Doch um sein ganzes ideologisches Potential zu entfalten, musste sich der Rassismus erst vom christlichen Universalismus lösen."

"Weiße" und "Schwarze"

Dieser Prozess begann im Zeitalter der Aufklärung, als die magische Bedeutung des Blutes allmählich aus dem universalreligiösen Paradigma verschwand. Stattdessen konzentrierte sich die Diskussion im 18. Jahrhundert um den Begriff der "weißen" Rasse. Die immense Rolle der schwarzen Sklaven relativierte sich, und die Kontroverse über die staatliche Privilegien und Benachteiligungen verlagerte sich auf die Juden und Nichtjuden.

In den zunehmend demokratischer werdenden Gesellschaftsordnungen des 19. Jahrhunderts haben sich erst langsam, dann immer deutlicher und nachhaltiger, unterschiedliche Motive der Diskriminierung gegen die Juden in Europa und die Schwarzen in den USA sowie in Südafrika herauskristallisiert. Während sich gegen die Letzteren gerichtete rassistische Maßnahmen aus dem Überlegenheitsanspruch der Weißen herleiteten, verband sich der rassische Antisemitismus des 20. Jahrhunderts sowohl mit biologischen Vorurteilen als auch mit volkstümlicher Tradition. Beides lief dann in verhängnisvoller Entwicklung zusammen, die in der "Rassekunde" im NS-System mündete.

Die in dem Buch von George M. Fredrickson beschriebenen Tatsachen sind, genau besehen, letztlich bekannt. Zitiert werden Feststellungen von berühmten Autoren wie Jürgen Habermas, Johann Gottfried Herder und Zygmunt Bauman. Bei den vorliegenden Betrachtungen ist lediglich ein weiterer, aber eben doch auch neuer Aspekt zu erkennen: Der kulturhistorische Vergleich westlicher Rassismen, welche durch die verschiedenen Schauplätze und Zeiten der variierenden Erscheinungsformen akzentuiert und belegt werden.

Georg M. Fredrickson

Rassismus. Ein historischer Abriss.

Aus dem Amerikanischen von Horst Brühmann und Ilse Utz.

Hamburger Edition, Hamburg 2004; 194 S., 18,- Euro.

Zur Inhaltsübersicht Zurück zur Übersicht